Antikes Italien: Pompeji:Live dabei beim Untergang

Hufe trappeln übers Pflaster, Wacholderduft zieht durch den Raum, dann erscheint der Hausherr als Hologramm und spricht: Multimedial werden die letzten Stunden von Pompeji nachgestellt.

"Nichts währt ewig", mahnt die verhallende Stimme des Hausherrn Julius Polybius, nachdem die Schemen seiner Gestalt im Rauch entschwinden. Der Beamte, als Hologramm auferstanden, ist Teil eines neuen Angebots in Pompeji. Prof. Claudio Salerno aus Neapel will Besuchern damit ermöglichen, den Alltag und den Untergang Pompejis mit allen Sinnen zu erleben.

Tritt man ins Vestibül und schließt die Tür, hört man von draußen knarzende Karren, Pferdegetrappel, Rufe und das Hämmern auf Holz und Metall. Als wäre man mittendrin im Alltag des 24. August 79 nach Christus in der kleinen Handelsstadt zwischen dem Vesuv, den Milchbergen und dem Mittelmeer. Der Hausherr empfängt die Besucher an der Schwelle zum Atrium und plaudert ein wenig, ehe er mit seiner eindringlichen Mahnung im Nichts entschwindet. Feine Schwaden von Bergamotte und Wacholder durchziehen die Räume.

Im Garten, der von drei Seiten von einer Säulenhalle, dem Peristyl, begrenzt wird, duften reale Äpfel an den Bäumen, die Feigen sind noch grün. Aus der Küche hört man Topfgeklapper und Brutzeln. Die Besucher studieren noch die dreidimensionale Projektion des rekonstruierten Hauses, da ruft ein Glöckchen zum Abendessen, dem sie übers Peristyl in den Speisesaal folgen.

Doch plötzlich beginnt der Wind zu heulen, Hunde bellen, von Ferne ist Donnern und Zischen zu hören, und der Guide bittet die Besucher nun in den schwarzen Salon. "Rrrumms", schließt sich die nicht mehr vorhandene Türe des fensterlosen Raumes. Aufgeregte Stimmen dringen durch die Dunkelheit, sie werden immer hohler und verzerrter. "Wegen der Sauerstoffarmut", erklärt der Guide knapp.

Die schwangere Tochter des Hausherrn erscheint stumm und entsetzt als Hologramm, kurz darauf hört man ihren Herzschlag und den ihres Fötus, bis auch diese verstummen und es totenstill wird. Eine Stille, welche die zwölf Bewohner bis ins 20. Jahrhundert unter einem riesigen Berg von Asche und Gestein einschloss. Erst zwischen 1913 und 1978 wurde der Komplex ausgegraben.

Steinschlag, Glutlawinen und Vulkangase

Wie sich jener 24. August in diesem Hause wahrscheinlich abgespielt hat, haben Archäologen, Paläobiologen, Vulkanologen und andere Wissenschaftler gemeinsam nachvollzogen. "Das alte Latein kennen wir von den antiken Schreibern, während sich das Geräusch von Mahlsteinen über die Jahrhunderte ja nicht verändert hat", erläutert Professor Salerno das Konzept.

Rekonstruktion mit Gipsabdrücken

Gesicht und Gestalt des Polybius' und seiner Tochter haben Experten anhand von Gipsabdrücken der Hohlräume rekonstruiert, welche die Leichen nach ihrer Verwesung in der erstarrten Asche hinterließen. Die Archäologen fanden die beiden neben vier anderen in Stein erstarrten Leichen im schwarzen Salon. In diesen mit feinen Fresken verzierten Raum waren sie mit schnell gegriffenen Münzen und Schmuckstücken geflüchtet, ehe die Asche ihnen den Weg abschnitt. Sechs andere Personen hatten Zuflucht im weißen Nebenraum gesucht. Alle erstickten.

Mit ihnen starb damals eine ganze Stadt, in der 8000 bis 10.000 Menschen lebten. Wer nicht in die Häuser flüchtete, starb an Steinschlag und Glutlawinen oder erstickte wie der Historiker Plinius der Ältere zwei Tage später vor den Stadttoren durch die Vulkangase. Der verheerende Ausbruch des Vesuv traf das Haus während der Renovierung. Das beweisen nicht nur die im Vestibül gefundenen Kalkfässer. Das Speisezimmer, in dem nun Liegen mit runden Tischchen stehen, war vor fast 2000 Jahren vollgestellt mit Bronzegegenständen, die Wände waren noch nicht ganz fertig dekoriert.

Im Peristyl standen Schränke, offenbar ebenso vorübergehend. Statt des Holzes halten die bronzenen Scharniere heute die Abgüsse des verrotteten organischen Materials. Renovierungen waren auch nebenan in der Via dell' Abbondanza im vollen Gange, obwohl man hier schon nach dem vorangegangen Erdbeben im Jahre 62 einiges wieder instand gesetzt hatte. Nach einem Fresko in einem Salon wurde das Gelände "Haus der keuschen Liebenden" genannt.

Hier lassen sich Archäologen dabei beobachten, wie sie Pferdeskelette aus dem Stall heraus präparieren. Auch das Infomaterial in der Hand oder der Audioguide im Ohr helfen dabei nachzuvollziehen, wie sich das Leben in Pompeji abspielte, als das Forum zugleich Sitz von Göttern, Verwaltung, Gericht und Marktplatz war und die Bürger auf Basaltquadern die Abwässer in den Straßen überquerten.

Wegweiser zum Freudenhaus

Schräg gegenüber der beiden Grundstücke liegt eine der vielen Garküchen mit einer gemauerten Theke, in die Tonkrüge eingelassen sind. Hier nahmen die gemeinen Pompejaner zum Mittag ihr Fastfood ein, meist im Stehen. Wer Zeit und Geld hatte, wurde in Hinterzimmern aufwendiger auf gemauerten Liegen verköstigt.

Wie gut die Wirte mit den Gelagen der Vermögenden verdienten, lässt sich an den Gebäudegrundrissen und den Weingärten in der Nähe des Amphitheaters ablesen. Prächtige Mosaikbrunnen verteilten hier einst das Wasser des Aquädukts.

Gen Westen in Richtung Porta Marina ist Wahlwerbung an einer Hauswand zu lesen, diskrete Penissymbole zeigen auf dem Pflaster die Richtung des nächstgelegenen Freudenhauses an. Spätestens in den Tempelruinen der Schutzpatronin Venus kommt einem die Mahnung des Polybius wieder in den Sinn: Nichts währt ewig!

Informationen:

Der Eintritt in die archäologische Stätte kostet elf Euro, darin sind eine Karte und ein kleiner Führer enthalten. Der geführte Besuch im Hause des Julius Polybius kostet fünf Euro. Nach vorheriger Vereinbarung ist auch eine synästhetische Führung mit verbundenen Augen durch zwei blinde Führer möglich.

Weitere Informationen: Archäologische Behörde von Neapel und Pompeji (www.pompeiisites.org), Staatliches Italienisches Fremdenverkehrsamt (ENIT), Barckhausstraße 10, D-60325 Frankfurt (Tel.: 069/23 74 34, E-Mail: frankfurt@enit.it, www.enit-italia.de).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: