Anschläge auf Touristen:"Terror gehört zu unserem Alltag"

Lesezeit: 3 min

Egal ob in Bangkok, Antalya oder Bali: Immer häufiger bedrohen Terroristen gezielt Urlauber mit Anschlägen. Die Deutschen lassen sich das Reisen trotzdem nicht vermiesen, sagt Tourismus-Forscher Karlheinz Wöhler. Zu stark sei der Ruf der Ferne - und die "touristische Amnesie".

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de:2006 gab es Anschläge in türkischen Touristenzentren, eine Beinahe-Terrorkatastrophe am Londoner Flughafen und zuletzt eine Bombenserie in Bangkok, bei der auch Urlauber Opfer wurden. Führt der Terror dazu, dass wir künftig lieber Ferien zu Hause machen?

Terrorgefahr droht überall, "egal ob wir in der Türkei oder in London sind oder in Köln in den Zug steigen": Ägyptischer Soldat patrouilliert vor der Sphinx und einer der Pyramiden in Gizeh. (Foto: Foto: AP)

Karlheinz Wöhler: Alle unsere Untersuchungen zeigen: Reisen hat höchste Priorität. Wir haben einen unbändigen Drang, zu reisen, ein Drang der unstillbar ist. Das ist kein westeuropäisches Phänomen: Je industrialisierter, je demokratisierter eine Gesellschaft ist, desto stärker wollen wir reisen.

sueddeutsche.de: Der Terror wird also den urlaubsverliebten Deutschen das Reisen nicht vermiesen?

Wöhler: In einer Erhebung, für die wir 1500 Menschen befragt haben, liegt der Terror weit hinten bei den befürchteten Reise-Risiken. Etwa an der sechsten, siebten Stelle.

sueddeutsche.de: Was wurde am häufigsten genannt?

Wöhler: Die Furcht vor Unfall und Krankheit, Kriminalität, Probleme mit der Unterkunft und so weiter - und dann erst kommt die Terrorangst mit knapp 13 Prozent.

sueddeutsche.de: Worauf führen Sie dieses Ergebnis zurück?

Wöhler: Wir sind reiseerfahren. Die wenigsten Menschen haben Terror oder Naturkatastrophen erlebt. Viele Menschen haben sich auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gesagt: "Wir lassen uns unseren Alltag nicht kaputt machen. Wir trotzen dem."

sueddeutsche.de: Aber Anschläge wie beispielsweise 2006 in der Türkei, wirken sich doch auf den Tourismus aus.

Wöhler: Na ja. Nur wenige Urlauber haben damals umgebucht.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Wöhler: Wie ich eingangs sagte: Wir können uns ein Leben ohne Urlaub nicht mehr vorstellen. Auch unser Alltag ist in hohem Maße touristifiziert, das erleben wir hier im Norden wie auch Sie in München. Wir nehmen auch Verhaltensweisen aus dem Urlaub mit.

Zu Hause tun wir so, als wären wir am Strand - sobald die Sonne rauskommt. Egal ob man ein türkisches, thailändisches oder italienisches Lokal besucht: Die Welt wird auf dem Teller serviert. Da werden Ängste abgebaut, man wird aufgeschlossener.

Außerdem haben die Menschen auch nach Katastrophen gleich welcher Art Vertrauen in die Reiseländer. Vertrauen, dass die Reiseveranstalter und Hotels alles dran setzen, Risiken zu minimieren.

Trotzdem: Wir fühlen uns durch Terror unsicherer im Urlaub.

sueddeutsche.de: Wie stellen sich die Reisenden auf die Terrorgefahr ein?

Weinender Tourist nach dem Bombenterror in Bangkok (Foto: Foto: AFP)

Wöhler: Indem sie sich eigenverantwortlich verhalten. Nach dem Motto: Ich muss selbst Vorkehrungen treffen, selbst für meine Sicherheit sorgen. So wie man sich selbst um seine Gesundheit und seinen Arbeitsplatz sorgen muss.

Die anderen kümmern sich um den Rest: Die Sicherheit am Flughafen, die Krankenhäuser im Urlaubsgebiet. Alles ist getan, jetzt müssen wir uns dementsprechend verhalten.

Also: Nicht die Pfade verlassen, nicht abseits der Skipiste fahren.

sueddeutsche.de: Können sie diesen Trend zur Eigenverantwortlichkeit auch wissenschaftlich untermauern?

Wöhler: Ja. Wir haben festgestellt, dass im Lauf der letzten fünf Jahre immer seltener dem Reiseland oder dem Veranstalter der Vorwurf gemacht wird, dass nicht ausreichend vorgesorgt wurde.

sueddeutsche.de: Warum geben Reisende die Schuld nicht länger dem Veranstalter oder dem Reiseland?

Wöhler: Der Tourist ist relativ aufgeklärt. Er weiß, dass der Terror nicht ausgerottet werden kann. Er weiß, dass er missbraucht und bloßes Mittel zum Zweck ist.

sueddeutsche.de: ...und somit als Tourist eine Zielscheibe auf zwei Beinen ist: Eigentlich ein Grund mehr, nicht mehr in vom Terror heimgesuchte Länder zu fliegen.

Wöhler: Egal ob wir in der Türkei oder in London sind oder in Köln in den Zug steigen: Terror gehört zu unserem Alltag. Das wissen wir doch inzwischen.

Übertragen auf den Tourismus: Früher waren drei S - Sonne, Sand und Sex - wichtig. Inzwischen kam das vierte S hinzu: Sicherheit.

Unsere Erhebungen zeigen: Die Zahl der unbekümmert Reisenden nimmt ab, die Gruppe der Vorsichtigen wächst. Doch bei allem Lob muss man auch feststellen: Das geografische Wissen tendiert bei vielen Reisenden gen Null. Die touristische Amnesie ist weit verbreitet.

sueddeutsche.de: Können Sie Beispiele nennen?

Wöhler: Viele nehmen die Türkei nicht als islamisches Land wahr, ebenso wenig Indonesien. Sie wissen nicht, dass es auch Terror in Indien gibt und Hurrikans in der Dominikanischen Republik.

sueddeutsche.de: Das ist dann wohl die schrumpfende Gruppe der Unbekümmerten, die Sie zuvor erwähnten.

Wöhler: Ja, die der Glücklichen - so könnte man sie auch bezeichnen - die keine Zeitung lesen.

sueddeutsche.de: Haben Sie Angst vor einem Terroranschlag, wenn Sie verreisen?

Wöhler: Ja, schon, wenn meine Frau und ich in Madrid U-Bahn fahren. Da denkt man schon dran.

Karlheinz Wöhler ist Professor für empirische und angewandte Tourismuswissenschaft an der Universität Lüneburg.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: