Anschläge an Urlaubsorten:Wie sich Terroristen in unsere Köpfe bomben

Terror

Islamistisch motivierte Anschläge in den vergangenen Jahren.

  • Mit Anschlägen auf Urlauber treffen islamistische Terroristen zwei ihrer Hassobjekte zugleich: Die liberalen Heimatländer der Touristen und die Regierungen der Urlaubsländer.
  • Für die Wirtschaft Ägyptens, Tunesiens und der Türkei spielt der Tourismus eine enorme Rolle.
  • Bisher erholten sich diese Länder immer wieder relativ schnell von solchen Anschlägen. Ob das in Zeiten der IS-Terror-Propaganda gelingt, ist fraglich.

Von Paul-Anton Krüger und Jochen Temsch

Erst Tunesien, dann der Anschlag auf einen russischen Ferienflieger in Ägypten. Und nun Istanbul: Mit Terror gegen Touristen verfolgen islamistische Extremisten eine perfide Strategie, die es ihnen ermöglicht, zwei ihrer Hassobjekte zugleich zu treffen: Sie töten Bürger westlicher Staaten oder neuerdings auch Russlands, deren Lebensstil sie als sündhaft ablehnen und deren Regierungen sie zu Feinden erklärt haben. Und sie treffen die Urlaubsländer Ägypten, Tunesien oder jetzt die Türkei, gegen deren Regierungen sie kämpfen.

Das Kalkül der Attentäter ist es, diese Staaten durch eine verhängnisvolle Kettenreaktion zu destabilisieren: Die Anschläge schüren Angst, die Gäste bleiben weg, die Wirtschaft nimmt Schaden, was über steigende Arbeitslosigkeit wiederum zur Radikalisierung beitragen kann.

Die Tourismus-Branche bietet weniger gut ausgebildeten Menschen Jobs

Tourismus ist für die Wirtschaft dieser Länder eine der wichtigsten Branchen. In der Türkei erzeugte er 2014 alleine 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, rechnet man indirekte Beiträge wie Investitionen oder die Ausgaben der in der Branche Beschäftigten hinzu, erreicht der Anteil laut dem World Travel & Tourism Council (WTTC) sogar zwölf Prozent. In Ägypten waren es direkt 5,9 Prozent und insgesamt 12,8 Prozent, in Tunesien lagen die Zahlen noch höher: 7,4 und 15,2 Prozent.

Die Branche bietet vielen auch weniger gut ausgebildeten Menschen Jobs, von denen sie oft auch ihre Familien ernähren können. In der Türkei hängt laut WTTC jeder zwölfte Job direkt oder indirekt an den Urlaubern, in Ägypten ist es jeder achte, in Tunesien jeder siebte. Zudem sind die Einnahmen eine wichtige Devisenquelle.

Die Deutschen reisen wie selten zuvor

Die Schäden, zumindest die kurzfristigen, sind enorm. In Ägypten sind die Übernachtungszahlen nach dem Anschlag auf den russischen Ferienflieger im vergangenen Oktober mit 224 Toten eingebrochen, allein im November kamen 38 Prozent weniger Gäste: 2014 waren es noch 898 000 Besucher, 2015 laut der offiziellen Statistik nur noch 558 000, die Zahl der Übernachtungen halbierte sich. Und erst im Dezember dürfte es sich voll bemerkbar gemacht haben, dass wegen Sicherheitsbedenken weder russische noch britische Fluggesellschaften Scharm el-Scheich und andere Urlaubsziele am Roten Meer anfliegen. Hoteliers rechnen mit Ausfällen von 60 Prozent oder mehr, die Verluste schätzen sie auf eine halbe Milliarde Dollar pro Monat.

Tunesien hat nach den Anschlägen im vergangenen März in Tunis und dem Massaker am Strand von Sousse im Juni schon bis Ende September eine Million Besucher verloren. Aber auch in Paris oder nach einer Attacke von Islamisten auf eine Universität in Kenia bleiben zumindest zunächst viele ausländische Gäste aus, auch wenn die Angriffe nicht gezielt Touristen galten.

Angesichts des Terrors in etlichen Urlaubsländern ist es erstaunlich, dass die Deutschen reisen wie selten zuvor. Im Jahr 2015 nahmen die Veranstalter 27 Milliarden Euro ein - eine Milliarde mehr als 2014. Dafür gibt es psychologische Gründe: "Die meisten Touristen sind hoch erfahrene Konsumenten", sagt der Tourismusforscher Martin Lohmann, "sie können Risiken einschätzen." Es gebe längst ein Bewusstsein dafür, dass es überall auf der Welt gefährlich werden kann. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass es nirgendwo auf der Welt sicherer oder unsicherer ist als anderswo - also kann man auch reisen.

Zudem gibt es handfeste finanzielle Gründe für die Reiselust: Wirtschaftswachstum, gute Lohnabschlüsse und geringe Arbeitslosenquoten. Gerade ist Hauptbuchungszeit für die Sommerurlaube. Die Nachfrage ist sogar noch höher als 2015. "Ich glaube nicht daran, dass sich der Terror langfristig auf das Reisen auswirken wird", sagte der Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV) bei der Präsentation der aktuellen Bilanzen. Die Frage ist allerdings, wohin die Reise geht.

Nach ein bis zwei Jahren ist eine Katastrophe vergessen

In einer repräsentativen GfK-Umfrage nach den Anschlägen auf das russische Passagierflugzeug über dem Sinai und den Attentaten von Paris sagten 20 Prozent der Befragten, sie wollten ihre Reisepläne ändern. Ziele in islamisch geprägten Ländern, etwa in Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurden deutlich kritischer beurteilt als andere Orte. Die Türkei dagegen genoss zum Zeitpunkt dieser Umfrage, im November, weiter Sympathien. Ob sich das nach dem Anschlag von Istanbul ändert, lässt sich noch nicht sagen. Beim größten deutschen Reiseveranstalter, der Tui, heißt es: "Es gibt kaum Umbuchungswünsche."

Die beliebteste Urlaubsform der Deutschen ist der pauschale Strandurlaub. Sonne, warmes Wasser, vielleicht noch ein Tagesausflug mit Kultur - das bieten viele Länder. So austauschbar die Urlaubsziele dadurch sind, so schnell wird eben umgebucht, wenn ein Land nicht mehr sicher zu sein scheint. Dabei ist das Gedächtnis der Urlauber kurz. In der Branche gilt die Daumenregel: Nach ein bis zwei Jahren ist eine Katastrophe vergessen - es sei denn, es ereignet sich ein weiterer Vorfall.

"Wie schadet der Tourismus dem Terrorismus?"

In Tunesien hatte sich der Tourismus von dem Anschlag 2002 auf Djerba wieder erholt, bei dem 14 Deutsche getötet worden sind, in Ägypten machte sich die Branche nach dem Niedergang in Folge der Umbrüche in den Jahren 2011 bis 2013 gerade berechtigte Hoffnung auf kräftiges Wachstum. Beide Länder haben Werbekampagnen für Millionen Dollar gestartet, die auf den europäischen Markt zielen.

Allerdings ist fraglich, ob die alten Gesetze der Branche noch gelten, oder ob die an westlicher Popkultur orientierte Propaganda des islamischen Staates und die zumindest gefühlte Zunahme von Terroranschlägen nicht eine Atmosphäre der Angst schafft, die Touristen auf Dauer verschreckt. Die grausamen Videos der Dschihadisten sind in den Köpfen präsenter, als es die langen arabischen Audiobotschaften eines Osama bin Laden aus einer Höhle in den afghanischen Bergen je waren. Die große Frage in der Türkei, aber auch für Ägypten und Tunesien also ist, ob die Folgen der Anschläge eher kurz- oder langfristig sein werden.

Wissenschaftler wie Martin Lohmann betonen die positiven Seiten des Tourismus, die Offenheit, den kulturellen Austausch, den er zum Nutzen von Krisenregionen bewirken kann, seinen möglichen Beitrag zur Befriedung. Er sagt: "Die Frage darf nicht nur lauten: Wie schadet der Terrorismus dem Tourismus. Sondern: Wie schadet der Tourismus dem Terrorismus?"

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