Über Wochen ging kaum noch ein Flugzeug in die Luft: Wegen der Corona-Pandemie wurden weltweit Reisebeschränkungen verhängt, die Airlines annullierten die meisten ihrer Flüge. Der Ticketpreis muss den Passagieren erstattet werden, so ist die Rechtslage. Doch viele Fluggäste warten auch Wochen später noch auf ihr Geld, Airlines reagieren nicht auf die Rückforderungen oder bieten stattdessen Gutscheine an. Es geht um viel Geld, für die Fluggesellschaften und oft auch für die Passagiere. Im Streitfall kann die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr weiterhelfen. Wie das geht, erläutert ihr Geschäftsführer Heinz Klewe.
SZ: Herr Klewe, es häufen sich die Klagen, dass Airlines den Ticketpreis bei gestrichenen Flügen nicht erstatten und auf entsprechende Forderungen nicht reagieren. Spiegelt sich das in der Zahl der Beschwerden wider?
Heinz Klewe: Die Zahl der wöchentlich eingehenden Schlichtungsanträge hat sich aufgrund der durch die Pandemie entstandenen Probleme im öffentlichen Personenverkehr zum Teil mehr als verdoppelt. Dies gilt insbesondere für den Bereich Flug und Bahn.
Was raten Sie den Betroffenen?
Wenn Reisende auf ihre Beschwerde keine oder keine sie zufriedenstellende Antwort erhalten, sollten sie einen Schlichtungsantrag stellen. Die Schlichterinnen und Schlichter der söp, alle haben die Befähigung zum Richteramt, prüfen dann die Beschwerde und erarbeiten auf den gesetzlichen Vorgaben einen Schlichtungsvorschlag.
Wie viel Zeit sollte man der Airline lassen?
Angesichts der Vielzahl der Beschwerden sowie den durch Home-Office sich ergebenden organisatorischen Problemen bei der Fallbearbeitung sollte man schon etwas Geduld mit den Flugunternehmen haben. Dies gilt im Übrigen auch für das Schlichtungsverfahren. Auch wenn viele Fälle in nur wenigen Wochen abgeschlossen werden können, kann es auch einmal länger als die Regelzeit von drei Monaten dauern.
Was ist der Vorteil der Schlichtung gegenüber dem Klageweg?
Die für Verbraucher kostenfreie Schlichtung beruht nicht auf dem Prinzip: "Wir machen mal 'Fifty-Fifty'." Unsere Schlichtungsempfehlungen beruhen auf den gesetzlichen Vorgaben. Den Verbrauchern wird die ihnen rechtlich zustehende Ausgleichszahlung bzw. Entschädigung also in voller Höhe zugesprochen. Weder Gerichtskosten noch Bearbeitungsgebühren oder Honorare kürzen den Betrag. Zudem schont die Schlichtung die Nerven und kommt schneller zum Ergebnis.
Birgt sie nicht das Risiko, weniger Geld herauszubekommen als über dem Klageweg?
Nein, aus den gerade genannten Gründen nicht. Der Verbraucher kann außerdem, wenn er mit dem Schlichtungsergebnis nicht einverstanden ist, immer noch Klage einreichen. Der Rechtsweg steht ihm jederzeit offen.
Bei einigen Airlines sind die Online-Kontaktformulare für Entschädigungen nicht mehr verfügbar, stattdessen werden Gutscheine angeboten. Ist das nicht eine bewusste Täuschung der Passagiere über ihre Rechte?
Angesichts der Vielzahl der zu erstattenden Tickets war bekanntlich von der Bundesregierung eine Gutscheinlösung als Ersatz für eine Barerstattung vorgesehen. Diese sollte die Liquiditätsprobleme der Airlines lösen helfen. Mit der Entscheidung der EU-Kommission, dass die Fluggastrechte-Verordnung weiterhin anzuwenden ist, haben die Verbraucher die Wahlfreiheit zwischen Geldzahlung und Gutschein.
Coronavirus in Europa und weltweit:Was Sie jetzt zum Reisen wissen sollten
Die allgemeine Reisewarnung entfällt, stattdessen gibt es nun Hinweise für einzelne Länder. Kann man seinen Urlaub wegen der Coronakrise trotzdem noch kostenlos absagen? FAQ zu drängenden Reisefragen.
Vor allem Billig-Airlines haben einen schlechten Ruf, was Kundenservice angeht. Ist dieser berechtigt?
Es gibt bei den Verkehrsunternehmen sicherlich Unterschiede in der Qualität ihres Kundenservice. Was das Schlichtungsverfahren betrifft, ist jedoch für alle 400 daran freiwillig teilnehmenden Unternehmen festzustellen, dass sie ihre Kunden sehr wertschätzen: Zwischen 80 und 90 Prozent unserer Schlichtungsempfehlungen stimmen nicht nur die Verbraucher als Beschwerdeführer, sondern auch die Unternehmen zu.
Der Anspruch auf Rückerstattung bei einer Flugannullierung ist rechtlich unumstritten. Doch wie sieht es mit einer Entschädigung aus? Es waren ja nicht nur die außergewöhnlichen Umstände, sondern möglicherweise auch wirtschaftliche Erwägungen, die zu Flugstreichungen geführt haben?
Ob aufgrund der Corona-Pandemie annullierte Flüge einen berechtigten Anspruch auf Ausgleichszahlung darstellen, wird sicherlich noch die Gerichte befassen.
Können sich auch Pauschalurlauber, deren Reise abgesagt wurde, an die Schlichtungsstelle wenden?
Seit Dezember 2019 nehmen auch die ersten Reiseveranstalter und Reisevermittler am Schlichtungsverfahren teil, derzeit sind es ebookers.com, Expedia, Evaneos, Holidaycheck, Journaway und weg.de. Aufgrund der Corona-Pandemie und der riesigen Probleme der Reisebranche mussten weitere Verhandlungen mit Reiseunternehmen über eine Mitgliedschaft im söp-Trägerverein erst einmal ausgesetzt werden.