Angestaubte Magie:Missverstandene Metropole

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Auch wenn die Besucherzahlen in Peking zurückgehen: So leer ist es in der Verbotenen Stadt nur sehr früh. Ein städtischer Bediensteter jätet Unkraut. (Foto: Wilson Chu/Reuters)

Smog, unfreundliche Taxifahrer, Lebensmittelskandale: Die Besucherzahlen gehen zurück. Peking sucht ein neues Image, das der Hauptstadt Chinas gerecht wird.

Von Kai Strittmatter

Die Magie ist weg. Vielleicht ist es das. "Der Schleier des Mysteriösen ist gehoben", sagte der chinesische Tourismusforscher Dai Bin kürzlich. Früher seien die Leute aus aller Welt quasi von selbst gekommen - mit einem Mal muss sich China anstrengen. Wenn über Chinas Tourismus geschrieben wird, dann meist über die explodierende Zahl der Chinesen, die die Welt bereisen. China boomt, so ist man das gewohnt. Dabei hat der Tourismus in China ein Problem: Die Zahlen der einreisenden Touristen fallen, seit drei Jahren schon. Besonders stark ist der Rückgang in Peking: Von Jahr zu Jahr scheinen mehr Reisende Chinas Hauptstadt meiden zu wollen.

Peking, die Heimat von Verbotener Stadt, Himmelstempel und Großer Mauer, war eigentlich immer ein Muss für Chinareisende. Nicht mehr länger. Die Attraktivität der Stadt jenseits historischer Museumsinseln hat in den vergangenen Jahren stark gelitten durch großflächigen Abriss der Altstadt, Dauerstau und Horrorsmog. Die Disneyfizierung von Teilen der Altstadt, wo chinesische Touristen zu Hunderttausenden durch Retortenversionen von "Alt-Peking" getrieben werden, ist für Besucher aus dem Westen nur bedingt interessant.

Es half wahrscheinlich auch nicht, dass Pekings Bürgermeister seine eigene Stadt kürzlich erst für eigentlich "unbewohnbar" erklärte. Als die Zeitschrift Condé Nast Traveller vergangenes Jahr ihre Leser befragte, da erklärten viele zwar, Peking sei "faszinierend" und "schön", aber am Ende wählten sie Peking doch auf Platz sechs der Liste der unfreundlichsten Städte der Welt. Und bei einer Umfrage des Webportals Trip-Advisor schaffte Chinas Hauptstadt es sogar auf Platz zwei, als nach der Stadt gefragt wurde mit den weltweit patzigsten Taxifahrern und den am wenigsten hilfsbereiten Einheimischen. Gleich hinter Moskau.

Der an die Pekinger gerichtete Vorwurf fehlender Hilfsbereitschaft ist dabei unfair, wahrscheinlich steckt dahinter eher das Sprachproblem: Kaum ein Tourist spricht Chinesisch - und kaum ein Pekinger Englisch. Die Pekinger waren sich schon immer selbst genug, ihnen können auch die ganzen innerchinesischen Touristen gestohlen bleiben, deren Zahlen von Jahr zu Jahr ungebremst zunehmen und die im Kaiserpalast oder Lamatempel für solch sagenhafte Aufläufe sorgen, dass Besuchern dort an chinesischen Feiertagen mitunter der Erstickungstod droht. Die solchermaßen angeschwollenen Massen, mit denen man sich die paar historischen Quadratmeter Peking teilen muss, mögen ein weiterer Grund für die zunehmende Zurückhaltung der Ausländer sein. Das Erstaunliche an den chinesischen Zahlen allerdings ist, dass sie in starkem Kontrast zu denen der Nachbarländer stehen: Taiwan, Japan, Südkorea verzeichnen alle zweistellige Zuwachsraten bei der Einreise internationaler Reisender (wobei dort die meisten neuen Touristen aus China stammen). China selbst vermeldete 2014 im dritten Jahr in Folge erneut einen Rückgang von diesmal 1,1 Prozent bei den Einreisen. Peking zählte sogar 5,7 Prozent weniger ausländische Touristen als noch im Jahr davor.

Längst ist Peking keine billige Stadt mehr. Auch langwierige Visaanträge sind wenig hilfreich

Bei den Japanern ist der Rückgang besonders stark, die vergrault sich China durch den anschwellenden Nationalismus. Aber auch die Deutschen bleiben öfter zu Hause: 410 300 Deutsche haben bis August dieses Jahres Peking besucht, das waren wieder 3,5 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2014. In einer globalen Umfrage der chinesischen Tourismusindustrie stand China bei den Deutschen nur mehr auf Platz 13 bei der Frage nach ihren Reisezielen in den nächsten drei Jahren, noch hinter Südkorea. Längst ist Peking keine billige Stadt mehr, und die Aufwertung des Renminbi im Vergleich zum Euro macht China noch einmal um 20 bis 30 Prozent teurer als noch vor ein, zwei Jahren. Gleichzeitig schließt die Stadtregierung so beliebte Ramschtempel wie den Yaxiu-Markt oder das Kaufhaus beim Himmelstempel, in der Vergangenheit Pflichttermin bei ausländischen Touristen, die sich dort gerne mit (oft gefälschten) Billigklamotten, -taschen und -perlen eindeckten - die Regierung lässt sie renovieren und als Shoppingmeilen für die dickere Geldbörse wieder eröffnen.

Viele Besucher klagen zudem über den langwierigen Visumsprozess, den die Regierung über die Jahre hinweg immer noch komplizierter und teurer gestaltete. "Das schreckt die Leute ab", sagt Li Jinglong, ein Professor für Tourismusmanagement in Anhui. "Wenn wir mehr Besucher wollen, muss der Prozess vereinfacht werden." Das vor zwei Jahren eingeführte Programm, das Reisenden aus 45 Ländern für 72 Stunden den visumsfreien Besuch von Städten wie Peking oder Shanghai ermöglicht, gleicht den Rückgang an anderer Stelle lange nicht aus.

Fragt man chinesische Experten, erhält man eine weitere Antwort: China hat ein Imageproblem. "Die Welt kennt China nicht gut genug", sagt Ban Ruochuan, Redakteur bei der China Tourism News. "Die ausländischen Medien berichten meist negativ", sagt Liu Zhiming, Tourismusforscher an der Akademie für Sozialwissenschaften. "Also ist Chinas Image abgestürzt." Smog, Korruption, Wohlstandsgefälle, Lebensmittelskandale - wegen der Berichterstattung der westlichen Presse verbinde man im Ausland sofort solche Dinge mit China. "Das macht keine Lust aufs Reisen", sagt Liu. Redakteur Ban und Forscher Liu sehen aber beide auch große Defizite aufseiten Chinas - bei der verstaubten PR vor allem, die immer noch von Propagandakadern alten Stils gemacht wird. "Sehen Sie sich Indien an", sagt Liu Zhiming. "Das Land ist viel rückständiger als China, aber in der Tourismuswerbung sind sie viel erfolgreicher als wir. Sie arbeiten mit Hollywood zusammen, mit CNN, mit National Geographic. 'Magisches Indien', das hat es in die Köpfe der Menschen geschafft. So etwas brauchen wir."

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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