Süddeutsche Zeitung

Amerika, der Länge nach (XXVIII):Durst - und nur Champagner

In der Atacama-Wüste konfiszieren Polizisten die Alkoholvorräte der Busreisenden. Und das am regenärmsten Ort der Welt.

Robert Jacobi

Am Ende der Reise läuft die Panamericana im rechten Winkel auf das Meer zu. Ich könnte das Auto ins Wasser fahren. Dann wäre aber die Autovermietung sauer. Deshalb steige ich aus, bevor ich in den Pazifik tauche. Das Wasser hat maximal zehn Grad. Die Besatzung eines Fischerboots schaut mir zu. Ich flüchte ans Ufer.

Da stehe ich also in meiner nassen Boxershort und blicke auf ein ziemlich hohes Denkmal. Eine Art Zirkel, der auf einem steinernen Kompass steht. Die Kompassnadel ist mit Graffiti beschmiert. Im Kreis sind Bronzetafeln angeordnet, eine für jedes Land, durch das die Panamericana führt. Kanada haben sie vergessen.

Ich drücke den Korken aus der Champagnerflasche und versuche, nicht alles zu versprudeln. Christian macht Fotos.

Ich kenne ihn aus Berlin. Jetzt wohnt er in Buenos Aires. In Santiago de Chile haben wir uns getroffen, um zehn Tage zusammen zu reisen. Christian klopft mir auf die Schulter: "Coole Aktion".

Wir befinden uns an der Südspitze der Insel Chiloe im Süden Chiles. Von hier aus gibt es keine Straße mehr, nur Fähren weiter hinunter, bis Feuerland. Auf einer der Bronzetafeln steht, dass es von Anchorage in Alaska bis hierher nach Quellon in Chile ziemlich genau 22.000 Kilometer sind. Das ist ziemlich weit.

Meistens bin ich gar nicht auf der Panamericana gereist. Das wäre zu langweilig. Erst die Umwege zu hohen Bergen und leeren Stränden haben aus der Reise den Trip meines Lebens gemacht.

Wenn ich also die Umwege mitzähle, dann waren es wohl nicht ganz, aber fast 30.000 Kilometer. Einmal Erde, von oben bis unten.

In Chile lässt es sich dann nicht mehr vermeiden, auf der Panamericana zu reisen. Das Land ist zu schmal und lang für mehrere Autobahnen nebeneinander. Kurz nach Antofagasta wird die "Pana", wie die Menschen hier sagen, zum ersten Mal seit Mexiko wieder vierspurig. Die Busse sind bequemer als jeder Greyhound.

Kurz nach Antofagasta steigen an einer Mautstation zwei Polizisten ein. Sie konfiszieren Alkohol. Offenbar hatte der Fahrer gemeldet, dass ein paar Passagiere auf dem Rückweg zu ihren Familien sich fröhlich ins Wochenende trinken. In Chile herrscht Ordnung. Auch wenn Pinochet seit ein paar Wochen tot ist.

Der Abstand im Lebensstandard zwischen Bolivien und Chile ist größer als zwischen Chile und Deutschland. Es kommt mir vor, als sei ich daheim. Hinter mir sitzt ein junges deutsches Paar. Die Frau zittert, weil sie eine Email mit dem Ergebnis ihrer Lehramtsprüfung bekommen hat, aber das Attachment nicht öffnen konnte.

Der Grenzübergang zwischen Chile und Bolivien liegt auf fast viertausend Metern. Eine Stunde später, nach steiler Abfahrt auf frisch geteerter Straße ohne Kurven, waren wir in San Pedro de Atacama angekommen. Erst dort durchsuchte die chilenische Grenzpolizei das Gepäck. Einem Amerikaner nahm sie Kokablätter ab.

Die Atacama-Wüste ist einer der trockensten Orte der Erde. Es gibt dort angeblich Flecken, auf die es noch nie geregnet hat. Ich war schon in Bolivien ziemlich lange in der Wüste und würde ganz gerne mal wieder grüne Pflanzen sehen. Am Terminal gibt es noch genau einen Platz für den Nachtbus nach Santiago. Ich zögere nicht.

Vier Stunden später rollen wir also in Antofagasta ein. In einem halben Tag bin ich von viertausend Höhenmeter auf null Höhenmeter gereist. Einen Monat lang war ich hoch oben in den Anden. Ich atme tief und bilde mir ein, dass meine Lungen sich öffnen. Jedenfalls fühlt es sich gut an. Zu kalt war es s mir da oben auch irgendwann.

Als ich morgens im Bus aufwache, fahren wir an Weinbergen und Olivenhainen vorbei. Dann kommt Santiago. Am Busterminal wartet Christian. Er ist etwas sauer, weil ich mich wegen der Zwischenfälle in Bolivien um zwei Tage verspätet habe. Leider ist es völlig unmöglich, mit Zeitplan durch Südamerika zu reisen.

Ich verzichte dafür darauf, jetzt noch eine Tour durch Santiago zu machen. Scheint ohnehin recht monoton zu sein. Statt dessen geht es in den nächsten Bus, direkt weiter an die Küste, nach Valparaiso. Pablo Neruda hat dort von Salz und Sonne und Haut gedichtet. Die Häuser sind so bunt angemalt, als gingen sie mit zum Fasching.

Irgendwie fänd ich's lustig, wenn etwas passiert. Aber hier passiert nichts. Nach Bolivien und Peru ist das Leben in Chile erschreckend normal. Im Hostel treffen wir Fiona und Giles aus Irland und Astrid und Christina aus Deutschland. Christina kocht Gemüselasagne. Das Wohnhaus von Neruda ist wegen Feiertag geschlossen.

Die Chilenen leben in einem Dilemma. Einerseits sind sie stolz darauf, dass ihr Land das Wirtschaftswunderkind Südamerikas ist. Zumindest den Zahlen nach. Andererseits räumen sie ein, dass sie das der modernen Wirtschaftspolitik ihres Diktators zu verdanken haben. Und sie wissen, dass der Preis dafür zu hoch war

Ich gewöhne mich an den Gedanken, dass meine Reise bald vorbei ist. Bevor ich zurück nach Deutschland fliege, will ich noch ein paar entspannte Tage verbringen und viel Sonne sehen. In Valparaiso geht das, die nächste Etappe endet aber im Regen. Ganz unten, auf der Insel Chiloe. Am Strand bei Ancud stehen Pinguine.

Die letzte Fahrt im Nachtbus

Im Bus nach Puerto Montt hatten wir Bierflaschen versteckt, die wir später leer trinken, um besser schlafen zu können. Im Fernseher läuft ein schlechter Film. Es ist die letzte Nachtbusfahrt auf dem Weg nach Süden. Ich vergesse meinen Fleecepulli im Bus, der mich seit Alaska gewärmt hat. Mein Rucksack wird immer leichter.

Auf dem Weg zu den Pinguinen setze ich das Auto in den Morast am Straßenrand. Zwei chilenische Bauern helfen uns. Auf dem Rückweg überfährt Christian eine weiße Katze. Ich schaue mich um. Die Katze hebt noch ein Hinterbein. Dann ist sie tot. Ich halte nicht viel von Katzen. Aber eine Katze töten ist nicht schön.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig.

Durch seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes.

Nach einem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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