Süddeutsche Zeitung

Amerika, der Länge nach (XXV):Entführt in Peru

Lesezeit: 5 min

Eigentlich sollte es nur ein Barbesuch in Lima werden. Dann wird unser Autor verschleppt. Von Polizisten.

Robert Jacobi

In Nasca fragt mich eine Kellnerin, ob es sein kann, dass sie mich aus dem Fernsehen kennt. Das ist mir an dem Tag schon mehrfach passiert. Ein Streifenpolizist wusste sogar meinen Namen.

Zwei Mädchen auf der Straße wollten mich fotografieren. Auch der Mann hinter dem Bankschalter erkannte mich.

Fünf Tage zuvor hatten mich Polizisten in Lima einen Abend lang entführt und beraubt. Das Fernsehen berichtete mehrfach landesweit über den Fall.

Alle wichtigen Zeitungen Perus druckten mein Foto. Der Chef der Nationalpolizei gab Interviews, in denen er versprach, jetzt wirklich hart gegen Korruption vorzugehen.

Es ist mein erster Tag in Peru. Am Abend zuvor war ich erst spät aus Ecuador in Lima angekommen. Auf der Terrasse des Hostal Espana schmiegte sich eine Riesenschildkröte an meinen Schuh.

Tagsüber besichtige ich Museen und Klöster. Abends will ich aufs Shakira-Konzert. Es gibt keine Karte mehr.

Stattdessen stehe ich auf der Plaza de Armas. Dort fotografiere ich den beleuchteten Präsidentenpalast und den Balkon des Bischofpalais.

Aus der Kathedrale kommen Hunderte Menschen. Ein sanft wirkender Mann spricht mich an. Die Mitglieder des Neokatechumenats hätten gerade mit dem Bischof ihre Jahresmesse gefeiert.

Dabei handelt es sich, wie mir der Mann erklärt, um eine geistliche Bewegung in der katholischen Kirche. Ihre Anhänger wollen die Taufe symbolisch noch einmal erleben. Es gehe um Zuversicht. Auch wer krank oder arm oder anders benachteiligt sei, könne ein glücklicher Mensch sein. Er müsse nur glauben.

Als nächstes spricht mich ein lässiger junger Mann mit Basketballmütze an. Er kann etwas Englisch und Deutsch, erzählt von Freunden in Berlin und Nächten in Discos. Nach einer Weile fragt er, ob ich ein Bier mit ihm trinken will. Ich bilde mir ein, nach der langen Reise die Menschen einordnen zu können, und traue ihm.

Wir überqueren auf einer alten Brücke den Rio Rimac. In einer Kneipe schräg gegenüber der Cristal-Brauerei trinken wir. Nach einer Weile lenkt Alberto, wie er sich nennt, das Gespräch auf Sex. Er macht eindeutige Angebote.

Ich sage ihm, dass ich, soweit ich weiß, nicht schwul bin. Er tut so, als glaube er das nicht.

Nach dem langen Tag bin ich müde und genervt. Ich will ins Hotel. Alfredo geht kurz raus. Angeblich, um zu telefonieren.

Ich komme nach. Alfredo will mir unbedingt einen Club zeigen, der angeblich nur einen Block entfernt ist. Ich denke mir, das machen wir noch, dann gibt er endlich Ruhe, und ich bin weg.

Einen halben Block weiter hält schräg vor uns ein Streifenwagen. Drei Polizisten steigen aus. Wir sollen stehen bleiben. Polizeikontrolle. Alfredo lässt zwei kleine Pakete zwischen uns fallen.

Die Pakete sehen aus wie Kokain. Die Polizisten fordern uns auf, einzusteigen. Sie wollen Personalien feststellen. Ich gehorche. Ein Fehler.

Der Fahrer des Wagens öffnet die Pakete. Weißes Pulver. Der Beifahrer erzählt mir, dass die Polizei in Peru jeden strafrechtlich untersucht, der nur zusammen mit Drogenbesitzern angetroffen wird. Wir fahren los, angeblich zur Wache. Ich habe nichts Verbotenes getan. Deshalb denke ich mir nichts dabei.

Wir fahren ziemlich lange. Dann halten an, irgendwo im Dunkeln. Ich erkläre den Polizisten die Lage. Alberto jammert und bittet um Gnade. Dann behauptet er, ich hätte Drogen von ihm kaufen wollen. Wir fahren weiter.

Halten wieder an. Ich erfahre, dass zwei Wochen Gefängnis vor mir stehen. Wegen der Blutuntersuchung.

Das verstört mich. Dann aber verstehe ich, worum es hier geht. Ich frage, ob ich freikomme, wenn ich eine Geldstrafe bezahle. Ja, antwortet der Fahrer des Streifenwagens, und zwar tausend Dollar.

Die Polizisten bringen mich zum Geldautomaten. Während ich das Geld abhebe, notiere ich das Nummernschild.

Normalerweise wandere ich nur mit etwas Bargeld durch Städte wie Lima. Die Karten lasse ich im Safe. An jenem Morgen hatte ich kein passendes Schloss fürs Schließfach im Hotel.

Deshalb nahm ich meinen Geldbeutel mit. Ob die Sache ohne Kreditkarten harmloser geworden wäre, oder noch unangenehmer - wer weiß.

Nach zweieinhalb Stunden soll ich die Geldscheine dem Beamten neben mir geben. Der Beifahrer will meine Kamera sehen. Erst denke ich, er will die auch haben, aber es geht um die Speicherkarte.

Die Polizisten wollen sicherstellen, dass ich keine Bilder von ihnen oder dem Lockvogel gemacht habe. Dann steige ich aus.

Etwas benommen durchquere ich die Altstadt. Auf den Stufen vor der Kathedrale sitzen Touristen. Ich erzähle meine Geschichte. Dann gehe ich schlafen.

Am Morgen rufe ich bei der Deutschen Botschaft an. Das hilft nicht viel. Die Rezeptionistin bekommt die Geschichte mit. Sie schickt mich zur Generalinspektion.

Ich überlege kurz und entscheide, die Polizisten anzuzeigen. Nicht nur wegen des Geldes, sondern auch, um meinen Ärger loszuwerden.

Zwei Stunden später sitze ich im Büro des Abteilungsleiters der Peruanischen Nationalpolizei für Entführungen und trinke Orangensaft. Die Herren bemühen sich, ihren Ruf zu retten.

Das Nummernschild lässt sich eindeutig einer Streife zuordnen. In einer Serie von Porträtaufnahmen erkenne ich sofort zwei der drei Polizisten.

Dem Staatsanwalt Nicolas Iscarra muss ich alles noch mal erzählen. Kurz danach beginnt er, wegen Entführung, räuberischer Erpressung und Amtsmissbrauch zu ermitteln.

Zwei Kriminalpolizisten in Zivil bringen mich zum Hotel, um meine Sachen zu holen. Um Revanche zu verhindern, soll ich im Dormitorium der Nationalpolizei übernachten. Das liegt im zwölften Stock eines Bürogebäudes. Auch der Geheimdienst ist dort untergebracht. Ich darf Internet und Fernseher benutzen.

Zwei weitere Tage verbringe ich im Hauptquartier. Selbst wenn ich einen Kaffee hole, begleiten mich zwei Beamte.

Vor dem Gebäude laufen plötzlich mehrere Menschen mit Fotoapparaten auf mich zu. Dann ein Kamerateam.

Was denn passiert sei, fragt die Reporterin. Ob es mir gut gehe. Soweit schon, antworte ich. Danke.

Ich hatte angenommen, es handle sich um Lokalzeitungen und Lokalsender aus Lima. Handle. Die Beiträge laufen aber landesweit. Alle großen Zeitungen berichten am nächsten Tag detailliert über den Fall.

Kommentatoren verlangen, endlich bei der Polizei aufzuräumen. Jeder fünfte Polizist in Peru sei korrupt.

Von der Citibank erfahre ich, dass ich gute Chancen habe, das Geld erstattet zu bekommen. Mit den Kriminalpolizisten fahre ich die Strecke ab, die wir an dem Abend zurückgelegt haben. Die Kneipenwirtin erinnert sich und kennt Alberto, den Lockvogel. Er kommt oft mit Fremden, dass sie dachte, er sei Fremdenführer.

Bevor ich Lima verlassen darf, muss ich noch eine Gegenüberstellung bestehen. Ohne Glaswand stehen jeweils fünf Polizisten mit Nummern in der Hand vor mir. Ich darf sie von vorne und in beiden Profilen sehen.

Wieder kann ich meine Räuber sofort identifizieren. Noch am Abend werden sie in Handschellen abgeführt.

In Lima kenne ich niemanden. Meine Freundin Gabriela aus Kolumbien rät mir am Telefon, das Land sofort zu verlassen. Einer der Kriminalpolizisten setzt mich am Busterminal ab. Der nächste Bus fährt auf der Panamericana nach Nasca.

Ich höre Musik und schlafe ein. Nach zwei Stunden wache ich auf und habe nur noch die Kopfhörer im Ohr.

Das Gerät ist verschwunden.

Der Mann neben mir auch.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig. Für seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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