Amerika, der Länge nach (XXI):Im Disneyland für Naturfreunde

In Costa Rica gefällt es Touristen so gut, dass viele bleiben wollen. Nun fühlen sich die Einheimischen so fremd im eigenen Land, dass die Regierung keine Visa mehr ausstellt.

Robert Jacobi

Costa Rica ist ein Disneyland für Naturliebhaber. Direkt neben der Küstenstraße klettern Nasenbären durch den Urwald. Eine Viertelstunde vom Parkplatz entfernt kracht ein Wasserfall in einen natürlichen Swimmingpool.

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(Foto: Grafik: Thiessat)

Nachts brüllen Affen hinter der Hütte am Strand. Ein riesiger blauer Schmetterling verfängt sich in einem Spinnennetz.

Menschen gibt es auch, aber die fallen kaum auf.

Die Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica habe ich im Dunkeln überquert. Der letzte Bus ins Land fährt in einer Viertelstunde.

Ich lasse mir von Gustavo helfen, einem zehnjährigen Jungen. Ich habe dazugelernt und weigere mich, die erfundene Aufenthaltssteuer zu bezahlen. An der Ausreisestelle von Nicaragua arbeiten die Grenzbeamten mit Computern. Das hilft nichts, weil der Strom ausgefallen ist.

Gustavo schleust mich an einer Schlange vorbei, die aus mehreren hundert Menschen besteht. Ich bekomme den Stempel und böse Blicke. Später erklärt mir Gustavo, dass er fünf Dollar braucht, um sie mit dem Beamten zu teilen.

Wie man das hier nennt, frage ich. "Chorizo", antwortet Gustavo. Es regnet. In Costa Rica bekomme ich meinen Stempel schnell. Der Bus ist trotzdem weg. Gustavo hilft weiter.

Im Schnellimbiss finden sich zwei Männer, die mich für zehn Dollar in die nächste Stadt mitnehmen wollen. Wir einigen uns auf sieben Dollar und eine Fahrt bis nach Kana. Das sind ungefähr zwei Stunden.

Bald trocknet die Luft. Der Vollmond geht auf. Am nächsten Tag ist Mondfinsternis. In Kana setzen mich die Fahrer vor dem "Gran Hotel" ab und warnen mich davor, alleine herumzulaufen.

Der Rezeptionist im "Gran Hotel" nimmt drei Dollar für das Zimmer, steckt sie in die Tasche seines grünen Trainingsanzugs und fragt mich, ob ich ein Mädchen brauche.

Zwei arbeitsbereite Damen warten im Fernsehraum. Drei Minuten verbringe ich in der Dusche, dann klopft der Rezeptionist und erklärt mir, dass andere Gäste auch duschen wollen. Ich besuche das chinesische Restaurant gegenüber.

In der Nacht kracht ein betrunkenes Paar in mein Zimmer.

Im Disneyland für Naturfreunde

Die Tür lässt sich von innen nicht abschließen. Wir unterhalten uns kurz. Schon nach wenigen Stunden wirkt Costa Rica harmlos.

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Das Land hat keine Armee. Der Präsident trägt den Friedensnobelpreis. Der Eintritt in die Thermalbäder kostet fünfzig Dollar, und der Pazifikstrand ist ein Rentnerparadies. Nationalgericht ist frittiertes Huhn mit Reis.

Am nächsten Morgen warte ich an der Panamericana auf einen Bus. Die Menschen sind gut erzogen und werfen den Müll nicht aus dem Fenster. Ich frage mich, ob diese Straße eine Seele hat.

Von meiner Seite jedenfalls fühle ich schon jetzt eine Freundschaft. Bis ich in Chile ankomme, werde ich noch viele tausend Kilometer mit dieser langen Straße verbringen. Mir geht es gut dabei. Die Aussicht ist schön.

Es ist warm, und ich widme der Panamericana ein Gedicht:

Im Bus Auf der Straße Sitze ich

Noch weit Ist mein Weg Denke ich

Doch nah Ist mein Ziel Fühle ich

Im Bus Auf der Straße Sitze ich

Nach drei Stunden steige ich am Flughafen von San Jose aus. Das ist die Hauptstadt. Ein paar Straßen weiter steht eine Chipfabrik von Intel. Für das kleine Land war es ein großer Erfolg, die Fabrik zu bekommen.

Seither misst Costa Rica sein Bruttoinlandsprodukt doppelt, einmal mit Intel und die vielen Firmen rundum, und einmal ohne. An der Business School in Harvard haben wir den Fall studiert.

Der Flughafen ist niedlich und sauber. Nach der Reise durch Guatemala und Nicaragua wirkt es, als bewege ich mich in einer Modelllandschaft. Ich warte auf meine Freundin Laura aus New York. Eine Woche werden wir durchs Land reisen.

Für mich eine Art Urlaub vom Backpackerleben. Ich habe keinen Reiseführer. Laura ist deshalb Reiseleiterin und hat eine Route entwickelt. Wir mieten ein Auto.

Costa Rica gilt als Vorbild für Ökotourismus. In der Küche unseres kleinen Appartements am Strand sitzt ein Frosch. Auf dem Dach klappert nachts ein Basilisk. Das ist ein Tier, das aussieht wie der letzte verbliebene Dinosaurier.

Die Vermieterin heißt Emmy und kommt aus Lübeck. Ihr Hund folgt uns und geht mit uns schwimmen. Als Emmy kam, war die Bucht leer. Jetzt ist sie zugebaut.

Das Programm der Rundreise gefällt mir. Im Urwald bewerfen Kapuzineräffchen mich mit Ästen. Am Strand von Montezuma krabbeln lustige Krebse. Hoch oben im Wolkenwald von Monteverde sitzt ein Faultier im Baum.

Für zwanzig Dollar besichtigen wir eine Kaffeefarm, die mehr an Touristen verdient als am Kaffee. In den Hügeln vor La Fortuna sitzen Tausende Glühwürmer im Wald.

Das Frühstück hat Carlos serviert. Früher war er Matrose. In den siebziger Jahren hat er mit einem Bananendampfer mal in Rostock angelegt, später auch in Hamburg und Emden. Ich frage nach, wegen der Sache mit Rostock und Bananen und dem Sozialismus.

Im Disneyland für Naturfreunde

Doch Carlos kennt Rostock. Zwei Sätze auf Deutsch hat er sich gemerkt: "Bitte ein Bier" und "Niemand weiß Bescheid".

Früher waren Kaffee und Bananen die wichtigste Einkommensquelle von Costa Rica. Inzwischen ist es der Tourismus. Viele Ausländer sind geblieben.

In diesem Jahr stellt die Regierung kein Visum mehr aus. Die Menschen in Costa Rica fühlen sich fremd im eigenen Land. Die Hotels gehören Fremden, viele Restaurants auch. Die Einheimischen arbeiten als Aufseher und Putzkräfte in ihrem Vergnügungspark.

Langsam verstehe ich, was Ökotourismus bedeutet: Besonders viel Geld ausgeben, Fruchtsalat essen und einmal am Tag mit dem Fernglas in die Bäume schauen.

Nach einer Woche kommt es mir vor, als hätte ich mich wurmartig in "Brehm's Tierleben" hineingefressen und eine Woche im Kapitel "Tropische Fauna Mittelamerika" gelebt.

Ich bin entspannt und bereit, mich wieder auf den Weg zu machen.

Erst muss ich vom Flughafen in die Stadt, dann mit dem Taxi von einem Busterminal zum nächsten. Aus dem Fenster versuche ich, San Jose mit der Kamera in seiner grauen Monotonie festzuhalten. Abends komme ich in Puerto Viejo an.

Das liegt an der Karibikküste. In meinem Hostel am Strand übernachten viele Amerikaner. Sie trinken viel Bier und sprechen laut. Ich schlafe in meiner Hängematte ein.

Der Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der Süddeutschen Zeitung als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Durch seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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