Amerika, der Länge nach (XIX):"Wir töten und wir rauben"

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Abends darf man nicht mehr in El Salvador einreisen. Zu gefährlich. Doch tagsüber wird es auch nicht besser.

Robert Jacobi

An der Grenze zu El Salvador darf ich nicht einreisen. Es ist fünf Uhr nachmittags, an einem schwülen Sonntag. Der Busfahrer hat mich vor dem Grenzposten abgesetzt.

Zwei Frauen, die hinter dem Schalter der Republik El Salvador sitzen, schauen besorgt. Es sei zu gefährlich, um diese Zeit durchs Land zu reisen. Sie könnten für meine Sicherheit nicht garantieren. Ich soll ein Zimmer an der Grenze nehmen.

Der Eingang zu dem Hotel in einem Bungalow ist verspiegelt. Die Fenster sind vergittert. Eine ältere Frau öffnet.

Ich nehme ein Zimmer ohne Klimaanlage. Es wird dunkel und ich langweile mich. Morgens bin ich in Antigua in Guatemala aufgewacht. Ein ruhiger Morgen.

In der Zeitung las ich, dass in der Primera Division Mixco gegen Malacateco spielt. Es gibt Eier und Bohnen zum Frühstück.

Von Antigua nehme ich einen bunten Bus nach Guatemala City. Auf der Landstraße spüre ich etwas an meiner Hüfte. Ich schaue nach unten. Auf der anderen Seite des Gangs sitzt ein ungewaschener Junge. Seine Hand fingert an meiner Hosentasche. Darin stecken Geldscheine.

Der Junge stellt sich vor als Jorge und sagt mir, ich hätte Glück gehabt. Auf dem Boden steht eine Holzkiste. Jorge ist Schuhputzer.

Guatemala City ist kein Ort für Touristen. Es gibt wenig zu sehen. Die Straßen gelten als gefährlich für Ausländer.

Wenn ich schon da bin, setze ich mich auf den Platz vor der Kathedrale und beobachte die Menschen. Es ist der Tag des Kindes.

Eine Band spielt, es gibt Luftballons zu kaufen und Schuhe. Ein Mädchen bläst Seifenblasen. In der Zeitung stand auch, dass jedes zweite Kind in Guatemala arbeiten muss.

Dann nehme ich einen Stadtbus zum Terminal für längere Fahrten. An einem Stand kaufe ich frische Papayas und eine Scheibe Ananas. Die Länder in Mittelamerika sind klein.

Auf der Panamericana sind es zwei Stunden bis zur Grenze. In diesem Teil der Welt ist es noch üblich, Abfall aus dem Fenster zu werfen. Der Straßenrand wirkt wie eine lange, schmale Müllkippe. Am Horizont stehen Vulkane. Die Wiesen sind grün.

Nach meiner Nacht an der Grenze zu El Salvador nehme ich einen roten Kleinbus. Darin gibt es neun Sitze und fünfzehn Passagiere.

Die erste Stadt ist Santa Ana. Ich schaue mir das frisch renovierte Theater an. Früher standen klassische Stücke auf dem Spielplan.

Die Gesellschaft der Stadt traf sich im Foyer. Dann kam der Bürgerkrieg. Seitdem ist das Leben anders.

Nun sind aus Wunden Narben geworden.

Nach meinem Rundgang fahre ich weiter zu meinem eigentlichen Ziel, der Hauptstadt. Ich habe weder Hoteladressen noch einen Stadtplan. Ein Taxifahrer bringt mich zum Hotel Europa.

Meinen Reiseführer habe ich irgendwo in Guatemala liegen lassen. Das Zimmer kostet fünf Dollar. El Salvador hat keine eigene Währung mehr. Der Mann an der Rezeption schimpft, dass seitdem alles teurer geworden ist.

Dann zeichnet er mir eine halbe Stunde lang einen Stadtplan mit vielen Details. Er freut sich, dass ich sein Land besuche. Genauso wie die anderen Menschen, die ich treffe.

Die meisten Backpacker reisen von Guatemala direkt nach Honduras. Dabei lassen sie El Salvador aus. In der Hauptstadt hängen Werbeplakate der Regierung mit der Aufschrift: "Tourismus - das sind wir alle."

Die Innenstadt von San Salvador besteht aus zwei Teilen. In der Altstadt steht nur ein modernes Gebäude. Das ist die Kathedrale "El Salvador del Mundo", gewidmet dem Retter der Welt.

Rundum verfallen die Bürohäuser. In der Nationalbibliothek gibt es nur wenige Bücher. Der Markt ist laut und schmutzig. Vor dem alten Präsidentenpalast steht eine Statue von Christopher Kolumbus.

El Salvador ist nach Costa Rica das Land in Mittelamerika mit der stärksten Wirtschaft. Der andere Teil der Hauptstadt sieht deshalb aus wie Pittsburgh oder Albuquerque. Das Metrocenter ist eine riesige Mall.

Ich gehe nicht zu Kentucky Fried Chicken oder Pizza Hut, sondern zu "Tony Roma's - Famous for Ribs". Die Familie neben mir spielt Uno. Ich bestelle einen Cheeseburger mit Pommes.

Zwei Tage später reise ich weiter. Im Bus lese ich, dass am Tag zuvor eine Bande einen Bus auf genau dieser Linie überfallen hat.

Die Männer haben den Busfahrer erschossen und eine Frau vor den Augen der Passagiere vergewaltigt. Das ist fast schon normal in El Salvador. Zwei Gangs, die MS-13 und die MS-18, kontrollieren ganze Gegenden. Ihr Motto: "Wir töten, wir rauben, wir vergewaltigen."

(Foto: N/A)

Ein junger Mann setzt sich neben mich und sagt, dass es leichtsinnig ist, hier alleine zu reisen. Langsam fühle ich mich unwohl und freue mich, dass der Bus auf dem Weg zur nächsten Grenze ist. Der Mann erzählt mir seine Geschichte.

Während des Bürgerkriegs war sein Vater Militärpolizist. Einmal besuchte die Familie ihn auf seinem Posten in den Bergen. Guerillas griffen den Posten an.

Kugeln schlugen ein.

Kurz danach machte sich die Mutter mit zwei Kindern auf den Weg nach Norden. Schlepper halfen ihnen über die Grenze nach Nordamerika. Die Familie zog nach New Jersey.

Dort leben viele Menschen aus El Salvador. Der junge Mann geriet in unsichere Kreise. Bald war er reich.

Das Geschäft mit Drogen lief gut. An einem frühen Morgen stürmte das FBI sein Haus. Die Beamten fanden drei Kilo Kokain.

Drei Jahre verbrachte er im Gefängnis.

Dort begann er, Bücher zu lesen, und holte seinen High-School-Abschluss nach. Auch lernte er, als Elektriker zu arbeiten. Heute sagt er, Amerika sei das beste Land der Welt: "Sie haben mir eine zweite Chance gegeben."

Trotzdem wurde er für sieben Jahre ausgewiesen und nach El Salvador geschickt. Genau das ist der Moment, in dem die Jugendgangs zugreifen.

Deren Personal besteht aus jungen Männern, die in den USA straffällig wurden. Ihre Familien leben dort, sie dürfen nicht zurück. Die meisten haben keine Ausbildung und finden in El Salvador keinen Job.

Ihr Spanisch hört sich manchmal etwas seltsam an. Sie fühlen sich fremd. Die Gangs bieten Geld und Freunde. Mein Sitznachbar hat verzichtet. Er hatte etwas Drogengeld gerettet und eine kleine Firma gegründet.

Wir reden lange, der junge Mann steigt aus. Wir nähern uns der nächsten Grenze. Ein breiter Fluss trennt El Salvador von Honduras.

Mal wieder wechsle ich Geld auf der Straße. Wechselstuben gibt es hier nicht. Und mal wieder gehe ich zu Fuß über eine Grenze. Das bereitet mir Freude.

Ich bekomme einen neuen Stempel in meinen Pass und warte auf den nächsten Kleinbus, der mich weiter ins Land hinein bringt.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der Süddeutschen Zeitung als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Durch seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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