Süddeutsche Zeitung

Amerika, der Länge nach (XI):Das beste Marihuana in Nordamerika

... gibt es angeblich in Nordkalifornien. Was sich unter Schwarzenegger immer schwerer verbergen lässt. Mit der Surf- und Bikiniszene des Südens hat der Norden nichts zu tun - hier finden sich eher alternativ denkende Menschen ein.

Robert Jacobi

Auf dem Pacific Coast Highway begleitet mich eine rollende Schildkröte, die einen ungepflegten braungrauen Bart trägt und schlecht ernährt wirkt. Es handelt sich um Paul Cavitt, Geschichtsdozent am öffentlichen College in McMinnville, Oregon. Unter dem Künstlernamen "Rolling Turtle" reist Cavitt im Sommer durchs Land. In Kneipen tritt er mit einer Mandoline auf, die ihm seine dritte Ex-Frau geschenkt hat.

Paul hat kein Geld. Deshalb steht er in der Küstenstadt Florence am Straßenrand. Ich habe mir vorgenommen, alle halbwegs vernünftig aussehenden Tramper mitzunehmen. Und so kommt es dazu, dass Paul und ich wenig später Lieder von Bob Dylan im Autoradio mitsummen. Ein Schild am Straßenrand informiert darüber, dass ich die halbe Strecke vom Polarkreis zum Äquator zurückgelegt habe.

Wie in einem Freiluftaltenheim

Florence ist ein wundervoller Ort, um mal einen ruhigen Tag einzulegen. Ein Magazin für ältere Menschen hat es vor zwei Jahren als den besten Ruhestandssitz in den Vereinigten Staaten auserwählt. Auf den Straßen des Städtchens fühle ich mich wie in einem Freiluftaltenheim. Eine Meile ausserhalb wird es noch ruhiger. Ich wandere durch Sanddünen, die sich wüstengleich über den Boden wellen.

Entlang der Felsenküste stehen viele Leuchttürme, die heute in automatischem Betrieb die Schiffe warnen. Wie überall haben die Amerikaner auch hier an jeden halbwegs sehenswerten Ort ein Besucherzentrum gebaut.

Ausgestopfte Tiere stehen neben geologischen Modellen. Meistens gibt es ein Auditorium für Videofilme, immer einen Souvenirladen und einen Informationsstand mit bunten Broschüren.

Am Yaquina Head Lighthouse arbeitet Bill Jones, der Rentner ist und mit seiner Frau hier den ganzen Sommer verbringt. Zwanzig Stunden in der Woche kümmert sich Bill um die Touristen, dafür darf er sein Wohnmobil auf staatlichem Gelände aufstellen und dort Wasser und Strom zapfen. Statt daheim vor dem Fernseher zu sitzen und Bier zu trinken, macht er sich im Ruhestand auf große Reisen.

Einen Feldstecher für die Großfamilie

Die Felsen vor der Küste sind übrzogen von Exkrementen der Kormorane, Meergänse und Rotschnabelalks.

Durch ein Münzfernglas beobachte ich eine Großfamilie aus Seehunden, die sich ziemlich faul auf einem Felsvorsprung räkelt.

Das freut mich so sehr, dass ich mir am nächsten Tag in der Jagd-und Waffenabteilung bei Wal-Mart einen japanischen Fernstecher kaufe, dazu Weingläser für einen teuer erstandenen Pinot Noir der Marke Flying Dutchman.

An der Hafenpromenade in Bandon teile ich mein Brot, meinen Käse und meine Äpfel mit Paul Cavitt, der mir dafür auf seiner Mandoline vorspielt.

Bevor wir weiterfahren, fotografiere ich ihn neben einer Schildkröte aus Holz.

Paul weigert sich, mir seinen Künstlernamen zu erklären - hat mit den Indianern in seiner Heimat zu tun. In San Francisco will er ein Jam mit Neil Young besuchen.

An der Grenze zu Kalifornien lasse ich mich fotografieren. War doch ein weiter Weg, von Alaska bis zum Staat des Sonnenscheins, und ich freue mich. In Crescent City lasse ich Paul aussteigen und fahre zu einem Campingplatz im Redwood Forest.

Sehr viele Mammutbäume stehen dort, und mir fällt auf, dass mich meine Reise aus dem Land ohne Bäume ins Land der höchsten Bäume geführt hat.

Waschbären unter sich

Als ich ein Lagerfeuer errichte und mein Abendmahl ausbreite, nähert sich ein dicklicher Waschbär. Ich bevorzuge es, mein Brot für mich zu behalten, und verscheuche das Tier. Einige Minuten später kämpfe ich mit einer ganzen hungrigen Waschbärenfamilie. Biologen übrigens wissen bis heute nicht, warum Waschbären alles erst waschen, bevor sie es verspeisen.

Ungeduldig beschleunige ich das Feuer mit Benzin aus meinem Campingkocher. Eine ungeschickte Bewegung führt dazu, dass das linke Bein meiner Nylonhose plötzlich brennt. Das Material schmilzt und stinkt. Mir gelingt es, die Hose rechtzeitig abzustreifen und auf dem Waldboden zu löschen.

Nach ruhigem Schlaf fahre ich die neblige Küste entlang und sehe wieder viele hohe Bäume.

Am nächsten Morgen in Trinidad springt mein Auto nicht an. Das ist deshalb ärgerlich, weil ich mich wieder auf einem abgelegenen Waldcampingplatz befinde.

Paul Krugstadt säubert dort die Toiletten und hackt das Brennholz. Aus New Jersey ist er vor langer Zeit an die Westküste gekommen, hat aber das erste Semester des Medizinstudiums nicht überstanden. In Washington arbeitete er eine Weile als Park Ranger, bis ihn eine Indianerfamilie in der Nähe von Trinidad aufnahm.

Krugstadt schimpft über Amerika und die moderne Zivilisation. Er empfiehlt mir, ein paar Jahre lang Geld zu verdienen, eine Familie zu gründen und mich in ein einsames Haus auf einem Berg zurückzuziehen, mit Quellwasser und Sonnenstrom.

Nach mehreren Versuchen schafft Paul es, meinen Thunderbrid zu starten, und ich lasse mir beim nächsten Fordhändler eine neue Lichtmaschine einbauen.

Mit Rudi Dutschke in einer WG

Nordkalifornien hat mit der Surf- und Bikiniszene des Südens nichts zu tun. Kühl ist es hier und neblig. Collegestädtchen wie Arcata ziehen alternativ denkende junge Menschen an. Angeblich wächst hier das beste Marihuana in Nordamerika, was sich unter Arnold Schwarzenegger aber immer schwerer verbergen lässt.

In einem Gemischtwarenladen in Mendocino arbeitet eine ältere Dame, die früher mit Rudi Dutschke in seiner Wohngemeinschaft in Westberlin gelebt hat.

Irgendwann wird mir der Highway entlang der Felskueste zu kurvig und ich biege ab in Richtung Autobahn. Kurz bevor die Sonne untergeht, leuchten die Weinberge in feurigen Farben. Es wird dunkel. Die Meilenzahl nach San Francisco sinkt schnell. An der Mautstation zahle ich fünf Dollar und fahre über die Golden Gate Bridge.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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