Amerika, der Länge nach (VII):Das heimliche Glück der Katastrophe

In Valdez bekreuzigen sich die Menschen am Karfreitag gleich doppelt, zweimal hat der "Good Friday" dem Ort eher unangenehme Ereignisse beschert: Ein Tsunami und das Exxon Valdez-Desaster. Trotzdem ist die Landschaft einzigartig und einen Besuch wert.

Robert Jacobi

Im Jahr 1964 rollte ein Tsunami über den Prinz-William-Sund, plättete den Hafen und trug einen Fischkutter bis in den Pausenhof der High School.

Unter dem Meer vor Alaska hatte die Erde genauso stark gebebt wie vor anderthalb Jahren im Indischen Ozean. Riesige Wellen rollten über den Pazifik.

In Valdez starben 32 Menschen, darunter viele Kinder, die an der Mole auf ein Schiff mit Blumen und Gemüse warteten. Aus Furcht vor neuen Beben verlegten die Bewohner den kompletten Ort.

Das Exxon Valdez-Desaster

Das zweite Desaster kam am Karfreitag des Jahres 1989. Am Abend zuvor war die Exxon Valdez mit einem Bauch voller Öl aus dem Hafen gelaufen, in dem die Trans-Alaska-Pipeline endet.

Als der Riesentanker auf Kurs gebracht war und genug Fahrt aufgenommen hatte, ging der Kapitän von der Brücke. Zehn Minuten später ächzte das Metall unter Deck. Ein knirschendes Geräusch betäubte die Ohren der Arbeiter.

Die Exxon Valdez war auf das Bligh-Riff aufgelaufen - ein Hindernis, das auf jeder Seekarte verzeichnet ist. Die größte Umweltkatastrophe auf See aller Zeiten nahm ihren Lauf. Hunderttausende Vögel und Fische starben. Noch heute lässt sich Schwermetall an manchen Lachsen nachweisen. Und wer in der Gegend die Erde aufgräbt, trifft auf eine Schicht Öl, das zu Teer gehärtet ist.

Einige Wochen später merkten die Menschen in Valdez, dass die schwarze Flut zwar schrecklich war, aber nicht ganz ungelegen kam.

Der Ölpreis lag damals tief, Valdez befand sich in einer Krise. "Nach dem Leck hatte auf einmal hatte jeder einen Job," erinnert sich Steve, der zu den ersten Männern gehörte, die Exxon zum Aufräumen aufs Meer schickte.

Steve sitzt hinter mir in einem roten Seekajak, das wir samt Fuehrer gemietet haben. Wir kurven um Eisberge, die im Sommer vom Gletscher abbrechen. In der Sonne schmilzt das Eis, und die Tropfen, die aus verschiedenen Höhen ins Wasser fallen, klingen wie ein Glockenspiel. Ein Eisberg kommt aus dem Gleichgewicht und fällt krachend um.

Es ist mein erster echter Sommertag in Alaska. Die Seeotter scheinen sich mit mir zu freuen. Ungerührt liegen sie auf dem Rücken im Wasser und verspeisen die Krustentiere, die sie vom Meeresboden tauchen. Als wir auf einer Insel unsere Mittagspause machen, läuft ein Baumstachler vorbei, auch bekannt als "Neuweltstachelschwein".

Auf einer Warnboje aus Metall sitzt ein Stellerscher Seelöwe, größter Vertreter seiner Art.

Rund um Valdez steigen die Chugach Mountains direkt aus dem Meer auf mehr als viertausend Meter. Ich übernachte bei Laura, in deren Garage ein blank polierter Mustang aus den siebziger Jahren steht. Laura holt mich an der Fähre ab, mit der ich von Whittier übergesetzt habe. Dorthin hatte mich wiederum die Alaska Railroad aus Anchorage gebracht.

Zu groß geratene Barackensiedlung

Spätestens seit dem Erdbeben ist Anchorage nicht viel mehr als eine zu groß geratene Barackensiedlung. Die Stadt gibt es erst seit dem letzten Weltkrieg, als das Militär hier einen Stützpunkt brauchte. Ich gebe Anchorage eine Chance und treibe durch Kneipen.

Als ich um drei Uhr nachts die letzte Bar verlassen muss, bringt mich der Taxifahrer zum "Fantasy" - ohne zu sagen, dass es sich um einen Stripclub handelt.

Die Kunden sind jung und lässig. Frauen wie Männer. Die Damen auf der runden Bühne sind komplett nackt. In einer Sofaecke gibt es Lapdance für zwanzig Dollar. Anfassen streng verboten. Der Bartender verkauft nur Saft und Red Bull. Es handelt sich um einen trockenen Stripclub.

Und weil Jugendliche unter 21 nicht trinken, aber strippen oder dafür bezahlen dürfen, ist das "Fantasy" der einzige Laden, in dem sie feiern können.

Am nächsten Morgen gehe ich in den Bergen um Anchorage wandern.

Fünf Tage später habe ich Anchorage fast schon vergessen. Ich stehe alleine am Richardson Highway und hoffe darauf, dass mich jemand mitnimmt über den Thompson-Pass nach Glenallen. Kanada wartet, meine nächste Station.

Aber niemand nimmt mich mit, das bekannte Problem. Busse gibt es hier nicht. Der einzige Weg aus Valdez führt über Anchorage. Aber da war ich doch erst und will nicht wieder hin.

In Alaska und anderswo in Amerika sind die Zeiten für Anhalter schlecht. Verboten ist es sowieso, mit ausgestrecktem Daumen an der Straße zu stehen. Romantiker der Landstrasse haben trotzdem oft angehalten, zumindest für Jack Kerouac und seine Freunde. Nicht in Zeiten des Terrors und erst recht nicht an einem Tag, an dem der Benzinpreis mal wieder rekordhoch ist.

Weil der Verkehr dünn ist, lese ich in einem kleinen Band mit Kurzgeschichten von Jack London. Wenigstens regnet es nicht. Abends baue ich am Highway mein Zelt auf. Morgens tanze ich mit Kopfhörern auf dem Seitenstreifen zu Janis Joplins "Take Another Little Piece of My Heart" und singe zu Johnny Cashs "Daddy Sang Bass", um mich aufzuwärmen. Bald gebe ich auf und ziehe ins "Lake House" um. Abends spiele ich mit Blick auf den See die amerikanische Nationalhymne auf dem Klavier.

Elizabeth, die Studentin, die sich dort im Sommer um die Pensionsgäste kümmert, fährt mich am nächsten Tag nach Valdez zurück. Dort verbringe ich die fünfte Nacht, davon die dritte davon ungewollt. Als Bill, der Chef des Campingplatzes, meine Geschichte hört, fragt er mich, ob ich um vier Uhr morgens aufstehen will. Ja, ich will.

Im Morgennebel nehmen Bill und sein Freund Gene mich und meinen Rucksack mit über den Pass.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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