Amerika, der Länge nach (V):Gestrandet in Coldfoot

In Alaska machen viele ältere und gelangweilte Pauschaltouristen Pause von ihrer Kreuzfahrt - mit Bussen werden sie nach Coldfoot gekarrt. Für Individualreisende ist es hier hingegen nicht so leicht, wieder wegzukommen.

Robert Jacobi

In Coldfoot treffe ich Helga und Ned. Helga kommt aus Wien, Ned aus Nebraska. Beide haben längst Enkelkinder, Helgas Mann ist gestorben, Neds Frau ist gestorben. Ungefähr ein Jahr später buchen beide, ohne voneinander zu wissen, eine Gruppenreise nach Australien. Vier Wochen fahren sie mit jungen Menschen in einem Jeep durch die Wüste. Ein halbes Jahr später heiraten sie.

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(Foto: Grafik: Thiessat)

Heute leben Ned und Helga in zwei Wohnmobilen, die sie vor eine aufgelassene Goldmine in Arizona gestellt haben. Mehrfach im Jahr fliegt Helga nach Wien, um bei ihren Enkeln die Strickwaren abzuliefern, die sie auf langen Reisen anfertigt. Diesen Sommer sind Ned und Helga mit einem der Wohnmobile zum fünften Mal nach Alaska gefahren. "Uns gefällt's schon sehr gut da," sagt Helga.

Ned versteht kein Deutsch und will weiterfahren. Helga und Ned haben in Coldfoot nur angehalten, um zu tanken und etwas zu essen, wie fast alle hier. Auf dem Weg nach Norden kommt auf dem Dalton Highway nichts mehr, am Straßenrand steht ein Warnschild "No service on the next 293 miles." Das ist so, als gäbe es auf der Autobahn zwischen Frankfurt und Berlin keine Raststätte und keine Notrufsäule.

Ich verbringe schon den dritten Tag in Coldfoot, obwohl es nichts außer einer Tankstelle, einem Hotel, einem Postamt gibt. Vom Ende des Dalton Highways, in Deadhorse, hätte mich ein Linienkleinbus bis nach Fairbanks bringen sollen, der einzigen größeren Stadt in Nordalaska. Wir passierten bedrohliches Gebirge und die nördlichste Fichte Amerikas, die leider gestorben ist. Im Bus saßen noch vier Rentner aus Maryland.

Um mein Selbstverständnis eines furchtlosen Individualreisenden wiederherzustellen, bat ich Matt, den Busfahrer, mich an einem kleinen Campingplatz ohne sanitäre Anlagen sechs Meilen vor Coldfoot abzusetzen. Wann der nächste Bus kommen würde, stand nicht fest, aber notfalls würde ich trampen, dachte ich mir. Immerhin gab es hier eine Wasserpumpe, und das Wasser schmeckte frischer als aus einer Alpenquelle.

Bis mein Zelt aufgebaut war, hatten mich in etwa hundert Moskitos gestochen. Mein einziger angenehmer Besucher war ein schüchtern bettelndes arktisches Bodenhörnchen. Die Moskitos fühlen sich so wohl hier, weil der Tundraboden so feucht ist. Nur eine dünne Schicht taut im kurzen Sommer auf. Der Regen sickert wegen des Permafrosts nicht ab, sondern tränkt den Boden.

Gestrandet in Coldfoot

In der Arktis zweifelt kaum jemand daran, dass die Erde wärmer wird. Die Menschen spüren es schon. Der Permafrost weicht an manchen Stellen. Während der Präsident in Washington zögert, haben seine Minister in der Arktis Informationskioske aufstellen lassen. In Vorträgen werden Eskimos darauf vorbereitet, wie sich ihr Leben verändert, wenn die Eisschollen vor der Küste bleiben und die Jagd schwieriger wird.

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Am nächsten Morgen versuchte ich, die kurze Strecke von meinem einsamen Campingplatz nach Coldfoot zu überwinden. Erst kam niemand, dann nahm mich niemand mit. Ich wanderte mit meinem Rucksack zehn Kilometer nach Süden, was zu dem Beschluss führte, überflüssiges Gepäck zurückzulassen. Ich erklärte Coldfoot zu meinem ersten Zwischenstopp, kümmerte mich um meine Wäsche und machte Pläne.

Ausflugsziel für gelangweilte Pauschaltouristen

Nachmittags um fünf Uhr war die Ruhe vorbei. Ich beobachtete ein Phänomen, das für Alaska typisch ist: Zwei Reisebusse fahren vor, es entsteigen sehr viele ältere Pauschaltouristen, die auf einer Kreuzfahrt unterwegs sind. Weil es auf dem Schiff irgendwann langweilig wird, haben sie eine zweitägige Tour in die Arktis gebucht. Im Herbst werden die Menschen in Alaska darüber abstimmen, ob jeder dieser Passagiere eine Sondersteuer zahlen muss, um den Umweltschutz zu finanzieren.

An der Bar versprach mir Ken, mich am Morgen mit seinem Hubschrauber nach Fairbanks zu fliegen. Einziger Passagier sei ein Biologe der Regierung, der den Hubschrauber gechartert hat. Die Nacht verbrachte ich mit vier der zwölf ständigen Bewohner Coldfoots an einem Lagerfeuer am Fluss. Einige Collegestudenten, die den Sommer über im Truckstop arbeiten, stellten die Getränke.

Um uns herum wuchs nur die Tundra und kletterte die Berge hinauf, bis nur noch Fels kommt. Nach einigen Budweisern und Gin Tonics bestiegen wir die Pipeline, die an Coldfoot entlang nach Süden führt, und fanden das sehr lustig. Als ich aufwachte, sah ich, dass Ned seinen Hubschrauber schon angelassen hatte. Der Biologe wusste nichts von mir und war verärgert. Ich bleibe in Coldfoot. Morgen kommt der Bus.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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