Am Ende der Türkei:Auf der anderen Seite

In Ostanatolien, wo die Türkei endet, wartet sie noch einmal mit ihren märchenhaften Reizen auf - und mit ihren noch nicht bewältigten Konflikten.

Hans Gasser

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Türkei Osten Anatolien

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In Ostanatolien, wo die Türkei endet, wartet sie noch einmal mit ihren Reizen auf - und mit ihren Konflikten. Eine Bilderreise von Hans Gasser

Das letzte Dorf der Türkei heißt Ocakli. Ein lustig klingender Name für so eine traurige Siedlung. Die Steinhütten sind winzig, sie haben flache, grasbewachsene Dächer. Auf der Dorfstraße stehen alte, schlecht rasierte Männer um einen Lastwagen mit Gemüse herum und neugierige Kinder mit dunklen Augen, in Pullovern, die mal rosa oder hellblau waren. Sie hätten kein Wasser, klagt einer der Alten. "Obwohl wir das berühmteste Dorf der Türkei sind, sogar der Ministerpräsident war schon hier." Wasser habe er ihnen keines gebracht. Das Grundwasser sei salzhaltig, weswegen sie ihr Trinkwasser per Esel aus dem Fluss hochtragen müssten.

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Der bildet, durch einen tiefen Canyon fließend, die Grenze zu Armenien. Diese Grenze ist geschlossen, seit 1993, seit dem Krieg Armeniens gegen das von den Türken als Brudervolk empfundene Aserbaidschan. Seitdem ist Ocakli das Ende der Türkei, und niemand würde wohl hierherkommen, wäre am Dorfausgang nicht der von dicken, 1000 Jahre alten Mauern umgebene Eingang zur ehemaligen armenischen Hauptstadt Ani.

100.000 Menschen sollen hier rund um das Jahr 1000 gelebt haben, das Ruinenfeld ist riesig. Relativ gut erhalten sind nur wenige Gebäude. Doch die stehen so pittoresk wie auf einem romantischen Gemälde herum.

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Vor allem die kürzlich sanierte Kirche des Heiligen Gregor thront direkt über dem Flusstal, auf dessen anderer Seite man die Grenzwachtürme der Armenier sieht. Unten am türkisfarbenen Fluss ist die steinerne Ruine einer Brücke zu sehen und die Trasse eines Weges, der im Zickzack auf der armenischen Seite aus dem Canyon hinausführt. Hier verlief eine der vielen Routen der Seidenstraße, und es braucht an diesem Platz nicht viel Phantasie, um eine Karawane mit vollbepackten Maultieren und Eseln vor Augen zu haben.

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Quelle: Kirche des Heiligen Gregor. Foto: Hans Gasser

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Anis große Zeit, von der noch die monumentale, im Jahr 1001 vollendete Kathedrale zeugt, dauerte nur wenige Jahrzehnte. Was Seldschuken, Georgier und Mongolen übrig ließen, zerstörte ein Erdbeben im Jahr 1319. Die armenische Kultur und Bevölkerung hingegen blieb hier in Ostanatolien jahrhundertelang heimisch - bis die türkische Regierung während des Ersten Weltkriegs die Deportation von fast zwei Millionen anatolischen Armeniern befahl. Eine Deportation, die, wie man heute weiß, nicht die Umsiedlung, sondern die Vernichtung zum Ziel hatte. Je nach Schätzung sollen damals bis zu eineinhalb Millionen Menschen ums Leben gekommen sein.

Türkei Grafik

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Obwohl die Grenze nach Armenien geschlossen ist, führt dennoch von Kars, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, eine neue Straße nach Ocakli: Seit einiger Zeit gibt es eine behutsame Annäherung der beiden verfeindeten Staaten. Doch ob die Grenze bald geöffnet wird, weiß niemand - aber viele hoffen es. Kars gehörte von 1877 bis 1921 zu Russland, und das sieht man auch.

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Die Straßen sind breit und rechtwinklig angelegt, hie und da stehen noch Gebäude von der Jahrhundertwende mit stuckverzierter Fassade. Vieles davon verfällt, daneben entstehen neue, wenig geschmackvolle Bauten aus verspiegeltem Glas. Wer von der Zitadelle über die Stadt blickt, die immerhin auf fast 1800 Metern liegt, der schaut auf zwei verfallende Hamams mit kleinen Kuppeln, direkt am Fluss Kars gelegen, auf eine armenische Kirche, aus deren Dach das Gras wächst, gleich neben einer großen Moschee. Rund um die Stadt erstreckt sich die Hochebene.

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"Kars ist eine sehr moderne Stadt!", sagt Nuriye Burhan (rechts im Bild) in überzeugtem Tonfall. "Hier gehen alle in die Schule, die Mädchen sogar vor den Jungs." Nuriye ist eine selbstbewusste Frau um die vierzig, die zusammen mit ihrer Freundin Aysel Erol ein Restaurant der Frauenschutzorganisation "Kamer" betreibt. Beamte, Richter und Lehrer kämen zu ihnen essen, einerseits. Andererseits kommen Frauen, die Hilfe suchen. "Entweder, weil sie schlecht behandelt werden oder weil sie Arbeit suchen", sagt Nuriye. Falls es nicht anderes gehe, würden die Opfer häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus gebracht. "Kamer" gibt es mittlerweile in vielen Städten in Anatolien, allein in Kars existieren drei solcher Restaurants.

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Der Weg von Kars nach Süden, in Richtung Vansee, führt häufig an der türkisch-armenischen Grenze entlang. Die Landschaftstypen wechseln im Halbstundentakt: Das Tal des Grenzflusses sieht manchmal aus wie ein Mini-Grand-Canyon, dann wieder fährt man durch eine Art Wüste aus rötlichen Hügeln, hinter dem Tendürekpass geht es ...

Ararat Türkei

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... an einem riesigen erkalteten Lavafeld entlang, bis sich schließlich der Ararat mit seiner Schneekuppe aus dem Dunst schält. Durch die Ebene zu seinen Füßen treiben kurdische Halbnomaden ihre Schaf- und Rinderherden in Richtung Winterbehausungen.

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Auf dem Weg zum Ararat prangt zur Schau gestellter Reichtum: Der Ishak-Pasha-Palast oberhalb der Stadt Dogubayazit wurde im 18. Jahrhundert von dem Geld errichtet, das die Zolleinnahmen an der hier durchführenden persischen Königstraße einbrachten.

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Durch dieses Fenster blickten einst die Haremsdamen aus ihren Gemächern im Ishak-Pasha-Palast auf die karge Vulkanlandschaft.

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Und dann, als wollte die Landschaft noch eins draufsetzen, breitet sich der tiefblaue Vansee vor einem aus, umgeben von Dreitausendern. Meer nennen ihn die Einheimischen, er ist siebenfach größer als der Bodensee. Der schönste Platz darin ist die Insel Aghtamar, die man in etwa 50 Minuten mit dem Boot erreicht.

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Wieder waren es die Armenier, die hier, etwa 100 Jahre früher als in Ani, das Zentrum ihres Königreichs errichteten. Davon erhalten ist nur noch eine 1000 Jahre alte Kirche aus Sandstein. Hier fand vor kurzem der erste armenische Gottesdienst seit 115 Jahren statt, mit 4000 Teilnehmern aus aller Welt. Da ist es nicht mehr ganz so überraschend, dass man an einem ruhigen Tag in der Kirche auf eine türkische Familie trifft. "Wir lieben diese Kultur", ruft uns eine junge Frau mit Kopftuch zu. Wenn das mal kein gutes Omen ist, hier, am Ende der Türkei.

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Informationen

Anreise: Von Deutschland über Istanbul nach Erzurum oder Van, Hin- und Rückflug mit Turkish Airlines ab 300 Euro, www.turkishairlines.com

Unterkunft: Kar's Otel, kleines Boutique-Hotel in Kars, DZ mit Frühstück 139 Euro, www.karsotel.com

Arrangement: Der Reiseveranstalter Studiosus bietet eine 15-tägige Studienreise in die Osttürkei an, unter anderem nach Kars, Ani und Van. Im Doppelzimmer mit Halbpension, Flügen und Transfers kostet die Reise 1845 Euro pro Person. www.studiosus.com.

© SZ vom 14.10.2010/sueddeutsche.de/kaeb
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