Alte Reben:Langes Leben

Alte Reben: Ein Prachtexemplar: Glaubt man der Legende, ist die „Versoaln“-Rebe mehr als 600 Jahre alt; die Wissenschaft sagt 350.

Ein Prachtexemplar: Glaubt man der Legende, ist die „Versoaln“-Rebe mehr als 600 Jahre alt; die Wissenschaft sagt 350.

(Foto: Tourismusverein Tisens-Prissian)

Von der "Mother Vine" in den USA zur "Versoaln"-Rebe bei Schloss Katzenzungen in Südtirol: Die ältesten Weinstöcke der Welt haben eine besondere Geschichte.

Von Lea Weinmann

Eingereist als blinder Passagier auf dem Dampfer aus Amerika, vernichtete die Reblaus vor 150 Jahren etwa zwei Drittel des europäischen Weins. Nur einige Rebstöcke haben die Plage überstanden, manche wachsen noch heute. Der Biologe Andreas Jung beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit alten Rebsorten. "Die Laus hasst Staunässe und extreme Trockenheit", vermutet er - das könnte einige Pflanzen geschützt haben. Außerdem wurzeln alte Stöcke oftmals so tief, dass die Laus dorthin nicht kommt. Wie alt eine Rebe ist, lässt sich mittels chemischer Analysen, durch Ringezählen am Stamm oder anhand von schriftlichen Aufzeichnungen ungefähr ermitteln. Die Altersangaben sind aber vorsichtig zu beurteilen, da oft auch Legenden eine Rolle spielen. Die ältesten Rebstöcke zählen meist um die 400 Jahre. Jung schätzt, dass das mit den Kältephasen um 1450 und 1550 zusammenhängt, in denen viele europäische Weinstöcke erfroren sind. Jahrhundertelang Wind, Wetter und Schädlingen zu trotzen, das haben nur einige Reben geschafft.

Maribors Methusalem

Die Stadt Maribor in Slowenien hat es mit ihrer Rebe ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft: Die Stara Trta, wie die Methusalem-Rebe in der Landessprache heißt, trägt den Titel der ältesten Weinrebe der Welt. Sie wächst auch im ältesten Stadtteil, in Lent. Dort rankt die Rebe an einem restaurierten Haus, das früher Teil der mittelalterlichen Stadtmauer war. Schon auf einem Kupferstich von 1657 soll die Pflanze zu sehen sein, wenn auch nur als grünes Detail. Mehr als 400 Jahre ist sie alt und gehört zur Sorte Blauer Kölner. Etwa 50 Kilogramm Trauben bringt die Stara Trta jedes Jahr noch hervor, woraus sich 30 Liter Wein machen lassen. Der ist nicht gerade ein edler Tropfen, aber er wird auch nur zu protokollarischen Zwecken hergestellt. Maribor weiß die besondere Rebe für sich zu nutzen: Neben dem Weinmuseum "Haus der alten Rebe", zu dem das Haus mit dem berühmten Weinstock vor seinem Eingang umfunktioniert wurde, veranstalten die Bewohner jeden Herbst nach der Weinlese ein Festival zu ihren Ehren. Dabei schenken sie Ableger der Rebe an andere Städte. Deshalb wächst die Stara Trta mittlerweile unter anderem in Paris, im Vatikan und auch in Freising.

Hildegards Klosterrebe

Im Jahr 1112 trat Hildegard von Bingen in das Kloster Disibodenberg bei Odernheim an der Nahe ein. 40 Jahre lebte die Universalgelehrte in dem Kloster. Die Benediktinerin sprach dem Wein eine heilende Wirkung zu. Ob sie damals schon erlebte, wie die alten Weinstöcke am Weinberg unterhalb des Klosters gediehen? Erst 2008 entdeckte man die fünf verwilderten Reben, die auf schwer zugänglichen und längst aufgegebenen Terrassen wucherten. Rebsortenkennern zufolge handelt es sich um die ältesten Reben Deutschlands. Der Weinberg wurde zwar nochmals im 19. Jahrhundert bepflanzt; historische Karten belegen aber, dass die alten Reben nicht dazugehörten. Demnach müssten sie aus der Zeit stammen, in denen die Weinberge des Klosters noch in Betrieb waren - das umfasst den Zeitraum von 1108 bis 1559. Genauer eingrenzen konnte man ihren Ursprung bisher nicht.

Das Gewächs des Grafen Der Sage nach pflanzte ein Graf Schlandersberg bereits im 15. Jahrhundert eine Rebe unterhalb der Steinbrücke des Schlosses Katzenzungen bei Prissian in Südtirol. Glaubt man der Legende, zählt die Rebe damit schon mehr als 600 Jahre. Untersuchungen ergaben aber, dass ein Alter von etwa 350 Jahren wahrscheinlicher ist. Ebenso erstaunlich wie ihr Alter ist die Größe der Rebe. Das Laubdach der alten Weißweinsorte "Versoaln" erstreckt sich über eine Fläche von 350 Quadratmetern. Aus den Trauben, die die Pflanze weiterhin trägt, werden dieses Jahr wieder rund 400 Flaschen Wein gekeltert.

Wein aufs Kind Lange Zeit war es in einigen Gemeinden Südtirols Sitte, zu besonderen Ereignissen wie der Geburt eines Kindes eine Rebe vor dem eigenen Haus zu pflanzen. Die tief reichenden Wurzeln des Stocks verhinderten zudem das Feuchtwerden der Gemäuer, weil sie die Nässe aus dem Boden zogen. Das Südtiroler Weindorf Margreid beansprucht für sich, die frühestdatierte Hausrebe der Welt zu haben. In der Grafengasse des Örtchens hält sich die Pflanze entlang einer Hausmauer an einem Holzgestell fest. "Oktober 1601" steht auf dem Marmorstein, der das Holzgerüst trägt. Wegen dieser Inschrift gehen die Margreider davon aus, dass die Rebe mehr als 400 Jahre alt sein muss. Aus welchem Anlass sie damals gepflanzt wurde, ist nicht bekannt. Bis heute trägt sie Tafeltrauben, die man nicht zur Weinherstellung verwendet.

Rhodter Rosengarten

Im südpfälzischen Dorf Rhodt gibt es einen ganzen Weinberg, dessen Reben mehr als 400 Jahre alt sein sollen. Allerdings ist das Alter nur mündlich überliefert, nicht schriftlich belegt. Außerdem gehören nicht alle Reben auf dem Rhodter Rosengarten zu jenen, die man angeblich schon vor dem Dreißigjährigen Krieg gepflanzt hat. Wenn heute Pflanzen absterben, werden sie durch Ableger der alten Gewürztraminer-Reben ersetzt. Zwischen 50 und 300 Liter Wein liefern sie jedes Jahr. Die Reben wurden viel niedriger angebaut als heute üblich. Die Lese auf den 600 Quadratmetern erfolgt mit der Hand.

Aus dem Steintrog Die Winzer der schweizerischen Gemeinde Leuk-Susten schlossen sich 1999 zur Vereinigung Vitis Antiqua 1798 zusammen, um die Rebe zu pflegen, die in Leuk aus einem Steintrog wächst und damals als die älteste Rebe des Landes galt. 1798 soll man sie gesetzt haben; mit ihren gut 200 Jahren wäre sie sogar noch vergleichsweise jung. Zur Enttäuschung der Winzer in Leuk mussten sie den Titel der ältesten Schweizer Rebe im Jahr 2006 abgeben: Untersuchungen ergaben, dass eine Weißweinrebe im Ort Steg in der südlichen Schweiz wohl noch ein paar Jahre älter ist. Die Pflanze wurde auf die Zeit um 1750 datiert. Der Stamm der Rebe zählt knapp 270 Jahre, schätzt man. Die älteste Rotweinrebe der Schweiz bleibe Leuk aber weiterhin, schreibt die Gemeinde Steg auf ihrer Webseite - ein kleiner Trost für die Vitis Antiqua 1798.

Die Mutter der Weinstöcke Auch in den USA gibt es einen sehr alten Weinstock. Auf der Insel Roanaoke vor der nordöstlichen Küste des Bundesstaats North Carolina, bekannt für seine Hunderte Kilometer lange Küste, hohen Berge und Wasserfälle, wächst die wahrscheinlich älteste Weinrebe der Vereinigten Staaten. Sie soll mehr als 400 Jahre alt sein. Das glauben zumindest einige Historiker. Sie vermuten, dass die Pflanze vom Indianerstamm der Croatoan oder von frühen britischen Siedlern gesetzt wurde. Jenen Siedlern, deren Kolonie Ende des 16. Jahrhunderts unter bis heute ungeklärten Umständen plötzlich verschwand. Erstmals in einer Zeitung erwähnt wurde die "Mother Vine", also die Mutter aller Reben, Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute nimmt der Rebstock ein Drittel des großen Gartens seiner Besitzer ein und wuchert auf einem zwei Meter hohen Rankgitter weiter.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: