Süddeutsche Zeitung

Als Frau durch Iran:Jenseits von Mullah-City

Mit etwas Dreistigkeit und einem Leih-Tschador kommt man überall hin. Doch manchmal wird Vergnügen zum Politikum: Dann schlägt die Religionspolizei zu.

Sonja Zekri

Doch, es gibt einen Moment, in dem man froh über das Kopftuch ist. Es sind 48 Grad zu Füßen von Tschora Sanbil, dem stummelartigen Überbleibsel einer 3250 Jahre alten mesopotamischen Stufenpyramide im Südwesten von Iran. Am Morgen, in den Ruinen von Schusch, kam die Hitze von oben.

Jetzt am Nachmittag strahlt sie von allen Seiten. Jeder Halm, jedes Staubkorn glüht, und die Luft atmet sich wie flüssiges Blei. Nicht doch, haben die Menschen gesagt, heute sei es richtig frisch, kein Vergleich zu letzter Woche! Das war aufmunternd gemeint, wirkte aber erst recht niederschmetternd.

Ja, in diesem Moment sind wir froh über das Kopftuch, froh über jeden Zentimeter Baumwolle zwischen uns und dieser Glut. Der Moment dauert zwanzig Minuten. Es ist ein Tausendstel der Reise.

Den Rest der Zeit ist der Hidschab das, was man vermutet: Der Kompromiss, den eine Touristin eingeht, um ein Land zu besuchen, dessen Ideologie reisende Frauen ohne männliche Verwandte eigentlich nicht vorsieht, ein Land, das wie so viele in dieser Gegend den Kampf um Modernität, um Fortschritt, ja, um sein Verhältnis zum Rest der Welt über die Kontrolle des weiblichen Körpers austrägt. Und das doch so viel mehr ist.

In einem Restaurant in Schiras wird gesungen (für Frauen verboten), getanzt (für alle verboten) und gekifft (verboten!).

Auf den Türmen des Schweigens in Jasd, wo die Zoroastrier bis in die siebziger Jahre die Körper ihrer Toten von Geiern abnagen ließen, schwärmt eine Familie von deutschen Kochshows, die sie über eine (verbotene) Satellitenschüssel empfängt. Eine fromme Teheranerin und glühende Chomeini-Anhängerin erklärt: "Iran braucht ein Atomprogramm, niemand kann uns das Recht darauf nehmen!" - Das will ja auch niemand, wenn nur Ihr Präsident nicht so irre klingen würde . . .

Da muss sie lachen und erzählt ein paar Ahmadinedschad-Witze. Vor kurzem hat sie ihren Job hingeworfen. Unter dem Reformpräsidenten Chatami hat sie in einem Frauenzentrum gearbeitet. Aber nun, unter dem neuen Präsidenten, weht ein neuer Wind, und ihr passt die ganze Richtung nicht.

Wir werden von Dutzenden Handykameras gefilmt, verteilen E-Mail-Adressen an Menschen, die kein Wort Englisch können, plaudern in Persepolis über die Fußball-Bundesliga und haben längst aufgehört, die Nasenpflaster zu zählen, die die Iraner als Folge von Schönheits-Operationen wie Auszeichnungen tragen.

Aber noch liegt das alles in der Zukunft. Jetzt sind es 48 Grad, und die Ziegel des Ziggurat würden schmelzen, wenn sie könnten. Chusestan ist der arabische Teil des Iran und verglichen mit anderen iranischen Städten eine ziemlich konservative Ecke. Die Männer tragen die bodenlange weiße Dischdascha, die Frauen den Tschador, einen meterlangen schwarzen Nylonlappen.

Die einzigen Farbflecken in dieser endlosen staubigen Ebene sind die Flammen der Öl-Anlagen. Der Irak liegt nur wenige Autostunden entfernt, der persische Golf ebenfalls. Saudi-Arabien ist in jeder Hinsicht näher als Teheran.

"Eine züchtig angezogene Frau gleicht einer Perle in einer Muschel", steht in Farsi und in Englisch unter einem wandhohen Frauenkopf im Hof des Daniel-Schreines. Daniel war eigentlich ein jüdischer Heiliger, aber auch die Muslime verehren ihn hingebungsvoll. Das Innere des Schreins glitzert wie eine plattgewalzte Discokugel in Tausenden Spiegeln.

In der Frauenhälfte beten ein paar Musliminnen, andere schlafen. In iranischen Moscheen lackieren sich Frauen die Nägel, andere kochen.

Eine bedrohte Manet-Idylle...

Niemand begreift das als Entweihung, eher als Zeichen der Vertrautheit. Im Schrein lernt ein Mädchen Englisch. Ein Examen steht bevor, da kann ein Besuch beim Heiligen Daniel nicht schaden.

Inzwischen sind an iranischen Universitäten 60 Prozent der Immatrikulierten weiblich, eine Folge des revolutionären Bildungsversprechens, dessen langfristige Folgen, so hoffen viele, auf einen Wandel hinauslaufen und längst nicht abzusehen sind.

Im Englischbuch der Studentin stehen Sätze wie "I have neither the time nor the inclination to attend a concert next week", oxfordianische Sprachdrechseleien. Im Gespräch ist die Begeisterung dann zwar größer als der Wortschatz - "You very good"- , aber darauf kommt es nicht an. Die Eltern sind stolz auf ihre Tochter, die ganze Familie ist extra mitgekommen und picknickt im Hof. Sie könnte auf einen Sohn kaum stolzer sein.

Boxenstop in Bischapur, einer Ruinenstadt in einem Flusstal. Auf dem Relief an der Wand über dem Fluss zertrampelt der Achämeniden-Herrscher Schapur den finsteren Ahriman. Unten, am Ufer, herrscht Camping-Stimmung.

Die Jugend tobt im Wasser, die Mädchen baden in Hose und Bluse, die nass mehr enthüllen als sie verbergen, über einem Leitungsrohr hängt ein Kopftuch. Flussabwärts haben Familien Decken ausgebreitet, ein Mann sitzt im Wasser, am Ufer stehen Teekessel und Kühltaschen. Es ist ein persisches "Déjeuner sur l'herbe", eine schwerelose, heitere Manet-Idylle.

Auf dem Weg zum Auto läuft uns ein kleiner dicker Mann hinterher. Er hat die Touristen bemerkt, und jetzt hat er eine Frage: "Angela Merkel hat gesagt, dass Iran nicht sicher ist. Und? Fühlen Sie sich sicher?" - Aber klar, alles bestens. - "Sagen Sie ihr das! Sagen Sie ihr, dass Iran sicher ist", ruft er herausfordernd. Natürlich, richten wir aus.

Es wäre ja nicht mal übertrieben. In vielen brutal repressiven Ländern ist die Alltagskriminalität beneidenswert gering. Und Iran lässt sich so unkompliziert bereisen, dass es einem unheimlich ist. Natürlich, in Schiras hängt im Hotel der übliche wehrhafte Spruch - "Gott beschütze uns vor Krankheit, Feinden und Hunger" - zwischen den üblichen Bildern der milde lächelnden Revolutionsführer Chomeini und Chamenei.

Aber auf dem Dach, wo sich die sympathisch provinzielle Millionenstadt mit allen Zwiebeltürmen, Parks und Bergen überhaupt erst würdigen lässt, drängeln sich die jungen Leute auf den bettartigen Riesensofas. Die Mädchen rauchen Wasserpfeife. Im ersten Stock spielt eine Blondine Billard.

Die Iraner haben einen Präsidenten gewählt, der ihnen vieles versprochen, aber bis jetzt eigentlich nur eines gehalten hat: den konservativen Roll-back, total im Anspruch, aber in der Realität schwer durchzusetzen. Der Fahrer hatte mit den Mullahs noch nie etwas im Sinn und schätzt ein kühles Bier, obwohl das eine umständliche Sache ist.

Entwürdigende Tricks sind Alltag

Er muss einen Umweg zu einem vertrauenswürdigen Händler fahren, kauft dort zur Tarnung alkoholfreies Bier, drapiert in einem leeren Hotelrestaurant die unverfänglichen Dosen auf dem Tisch, während er darunter mit der verbotenen Büchse herumpanscht. Der Alltag ist voll von solchen kleinen entwürdigenden Tricks. Iran infantilisiert seine Bürger. Das ist tragisch, aber es ist auch ein bisschen komisch.

Wenn Isfahan die Hälfte der Welt ist, wie es heißt, dann muss es die bessere Hälfte sein. Die Paläste und Moscheen am Iman-Platz ertrinken in Farben. Wogen aus Türkis und Königsblau, Grün und Aquamarin schwappen durch die Lotfollah-Moschee und die Freitagsmoschee. Kein Ort auf der Welt - abgesehen vielleicht von Chiwa oder Samarkand - zeigt den Islam in dieser ozeanischen Pracht.

In Isfahan kann man Safran-Eis essen und von eleganten Brücken zusehen, wie sich die Jugend in schwimmenden Schwänen Seeschlachten liefert. Junge Männer mit absurd aufgeplusterten Pilzköpfen flanieren in der Abenddämmerung. Auf einem T-Shirt steht: "Es ist so lange witzig, bis sich jemand wehtut. Dann wird es zum Brüllen komisch." Und dann passiert es.

Die dunkle Seite von Irans Macht...

Plötzlich taucht aus dem Nichts eine Verschleierte auf und weist Frauen mit einem glatten Lächeln auf verrutschte Kopftücher hin. Die beiden Mädchen neben ihr lächeln nicht. Sie tragen Jeans und schwarze Mäntel wie viele Frauen, ihre Kopftücher sind nicht gewagter als die anderer Frauen.

15, vielleicht 16 Jahre sind sie alt und telefonieren nervös. Dann spuckt die Kulisse dieses Sommerabends eine zweite Verschleierte aus, schließlich einen Polizisten, der betreten guckt. Ein paar Worte werden gewechselt, dann führt er die Mädchen ab, flankiert von den Frauen wie von schwarzen Krähen.

So also sieht es aus, wenn die Religionspolizei zuschlägt. Attacken gegen Frauen hat es oft gegeben, doch sie sind immer wieder abgeflaut. In diesem Jahr flauen sie nicht ab. Tausende wurden aufs Revier geschleppt. Nach der unheimlichen Szene schwimmen immer noch Schwanen-Boote über den Fluss. Aber die Vergnügungen haben etwas Subversives, fast etwas Politisches.

Isfahan gehört zum Weltkulturerbe, aber wenn die Amerikaner eines Tages Iran bombardieren, werden sie wohl auch Isfahan anvisieren, denn hier liegen die Atomanlagen. Andere Ziele sind Buschehr, Arak und Natanz.

Aus der staubigen Ebene vor der Bergflanke kurz vor Natanz ragen künstliche Hügel auf mit Flugzeugabwehrraketen darauf. Die entscheidenden Anlagen liegen unter der Erde, trotzdem ist es über Kilometer verboten anzuhalten, es ist verboten zu fotografieren. Kameras beobachten den Verkehr. Erinnerungen an die Transitstrecke durch die DDR werden wach.

Im Autoradio läuft Boney M, als der Fahrer sich in den Feierabendverkehr von Qom einfädelt. "Willkommen in Vatikan-Stadt", sagt er böse. Qom ist Mullah-City. Hier liegen die wichtigsten theologischen Schulen, hier schlägt das Herz der Theokratie. Man sieht Mullahs auf dem Motorrad, Mullahs beim Obstkaufen. Qom ist aber auch Chomeini-City.

Hier hat der Revolutionsführer gepredigt, bis er aus dem Land gewiesen wurde. Sein Haus steht noch, ein bescheidener Bungalow, der gerade renoviert wird. Auf einer Verkehrsinsel gegenüber schreitet er auf einem überraschend modernen Denkmal als Scherenschnitt dahin.

Frauen ohne Tschador fallen in Qom als Auswärtige auf, aber es gibt eine Menge Auswärtige, meist arabische Schiiten, die zur goldenen Kuppel des Fatima-Schreins pilgern, wo die Schwester des achten Imams auf einer Reise starb. Nicht-Muslime dürfen den Schrein nicht betreten, nicht mal den Hof.

Aber am Eingang gibt es Leih-Tschadors, und wer nicht zu europäisch aussieht, kommt mit etwas Glück in den Innenhof, und mit etwas Dreistigkeit sogar bis zum Schrein selbst. Drinnen schieben und drängeln die Gläubigen, eine Frau zertrampelt einer Pilgerin den Gebetsstein. Die Luft ist zum Schneiden, die Stimmung aggressiv wie beim Schlussverkauf. Und der Tschador rutscht.

Also raus ins Freie, an die Luft. Bald schon pirscht sich eine junge Frau heran. Salam, sie sei Theologie-Studentin, ah, Sie sind aus Deutschland! Und dann platzt sie heraus: "Was halten Sie eigentlich vom Schleier?" Ja, ein weites Feld, wie sagt man das deutlich, aber sensibel? Vielleicht so: "Frauen, die den Schleier tragen möchten, sollten ihn tragen. Wer ihn nicht tragen will, sollte ihn nicht tragen." Sie nickt zufrieden: "Ja, es kommt auf die Person an."

Aber das tut es in Iran gerade nicht.

Frauen? Nur halb so viel wert wie Männer...

So sehr kreist die Staatsideologie um diese paar Quadratzentimeter Stoff, dass die vielleicht vielversprechendste Reformkampagne "Eine Million Unterschriften" den Hidschab nicht mal erwähnt, um keinen Vorwand für ein Verbot zu liefern. Ali Abdi und seine Freundin Niuscha engagieren sich für die Kampagne. Sie sitzen im Wohnzimmer von Frau R., 60 Jahre, Unternehmerin, die uns in einem uralten Paykan im Schritttempo durch ganz Teheran geschaukelt hat, und essen Wassermelone.

Die Kampagne will die haarsträubendsten Gesetze ändern: dass das Schmerzensgeld für Frauen nur halb so hoch ist wie jenes für Männer; dass die Aussagen von Frauen vor Gericht nur halb so viel zählen wie jene von Männern; dass Mädchen ab 13 Jahren verheiratet werden dürfen; das Scheidungsrecht; die Polygamie. "400 Frauen und Männer sammeln seit einem Jahr Unterschriften", sagt Ali Abdi, "unser Ziel ist eine Million." Wie viele haben Sie bis jetzt? - "Die genaue Zahl ist ein Geheimnis." - Sind Sie nah dran? - "Nein."

Abdi kennt das Risiko. Aktivisten wurden eingeschüchtert, einige verhaftet.

Aber er ist jung, er hat seine Zukunft noch zu verlieren. Also sagt er: "Schwarzsehen kann man immer noch." Hat er wenigstens die Familie auf seiner Seite?

"Nein, meine Eltern sind dagegen." - Weil sie seine Ziele nicht teilen? - "Nicht deshalb. Aber ihre Generation hat die Revolution durchgeführt, sie haben an einen Aufbruch geglaubt, an Freiheit und Wohlstand. Sie haben alles aufs Spiel gesetzt und alles verloren. Wahrscheinlich ist es die desillusionierteste Generation, die es je gegeben hat", sagt Abdi und fügt grinsend hinzu: "Und wahrscheinlich ist Iran heute das am wenigsten religiöse Land des Nahen Ostens."

Auf den ersten Blick passt vieles nicht zusammen in Iran. Auf den zweiten auch nicht.

Man kann Andenken kaufen, wie es sie wohl in keinem anderen Land gibt: Buttons mit Heiligen wie dem Prophetenenkel Hussein und Schurken wie dem Hisbollah-Chef Nasrallah; eingeschweißte Pilgersets mit Gebetsstein, Gebetsketten, Rosenwasser und Sure; Kinderbücher über verstümmelte Märtyrer aus dem Iran-Irak-Krieg; Gebäck, nährstoffreich wie Astronautennahrung.

Aber nichts, was man aus dem Iran mitnehmen kann, ist so verwirrend wie das Gefühl, sich gut erholt zu haben.

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Quelle:
SZ vom 31.10./01.11.2007
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