Alpenüberquerung auf Skiern:Einfacher geht's mit dem Lift

Ski Trekking Alpenüberquerung Skifahren

Früher war das Skifahren stets mit Anstrengungen verbunden, wie hier im Jahr 1923. Heute führt der Weg über die Alpen durch Skigebiete.

(Foto: Getty Images)

Viel Spaß und wenig Mühe: Anders als früher kann eine Skitour vom Allgäu nach Südtirol heute ganz bequem ablaufen. Bis auf manch brenzlige Situation und die Frage: "Wer leitet die Suche, falls uns eine Lawine erwischt?"

Von Janek Schmidt

Es begann mit einem schlichten Foto, das den Weg in die Freiheit wies, raus aus dem engen Tal und über alle Berge. Erschienen war es 1895 in der katholischen Wochenzeitung Deutscher Hausschatz, und es zeigte: Menschen in Schweden, die sich Holzbretter unter die Füße schnallen, um über Schnee zu gehen. Dem Pfarrer des Bergdorfs Warth in Österreich kam bei der Zeitungslektüre eine Idee: "Ich dachte mir, das wäre auch etwas Praktisches für den Tannberg, wo es alle Jahre wegen Schneemenge nicht nur Tage, sondern Wochen gab, da kein Mensch die Gemeinde verlassen konnte." Pfarrer Johann Müllers Gedanke sollte Tausende Menschen weiter führen, als man damals ahnen konnte.

Vorbild Fassdaubenbretter

Seine ersten Versuche unternahm der Geistliche als Skitourengeher zunächst nur nachts - um sich vor den Warther Bürgern nicht zu blamieren. Schon wenig später aber fand selbst die Dorfjugend ihren Spaß an dem Sport, baute sich Skier aus alten Fassdauben und trug die Begeisterung in die Nachbartäler. Heute sind die Fassdaubenbretter kleinen Wunderwerken der Sportartikeltechnik gewichen, die locker einen vierstelligen Betrag kosten können. Und die Nachbartäler sind den Skitourengehern längst nicht mehr genug: Sie steigen mit ihren Skiern gerne gleich über die gesamten Alpen.

Nun gibt es jene Spezies Skitourengeher, die stets neue Herausforderungen sucht: Täler, in die keine Autos fahren und keine Lifte führen; Gipfel, deren schroffes Antlitz weniger zähen Gemütern schon im Sommer auf den Magen schlägt. Und dann gibt es jenen Schlag von Skitourengehern, denen das Abenteuer bitte nicht allzu abenteuerlich sein soll. Das erkannte auch Thomas Dempfle. Als Leiter der Bergschule Oase Alpincenter in Oberstdorf ist es nicht sein Job, die wenigen Steilwandhasardeure zu gewinnen, die sich ohnehin selten einem Veranstalter anschließen. Deshalb tüftelte er eine Skitouren-Transalp für die große Masse der gemäßigten Hanggleiter aus.

Er sprach mit seinen 15 Bergführern, die aus verschiedenen Alpentälern stammen. "Jeder hat mir erzählt, wo man bei ihm zu Hause am einfachsten mit Skiern in Richtung Süden kommt", sagt Dempfle. Vier Jahre lang erkundete er an freien Tagen unterschiedliche Wege. "Wenn man das für Gäste plant, darf es nicht zu schwer sein, und du brauchst immer Ausweichmöglichkeiten, falls die Lawinengefahr zu groß wird." Er legte eine passende Route vom Allgäu nach Südtirol fest, wartete auf den nächsten großen Schneefall und flog die ganze Strecke mit einem Husky-Motorflugzeug ab.

Bergabenteuer trifft Pistengaudi

Aus der Luft erkannte er: Wann trifft die Sonne auf einzelne Hänge und weicht dort den Schnee auf? Wo lösen sich Lawinen von alleine? Und wo befinden sich die kritischsten Stellen?

Und so sieht die Transalp dann aus, wenn man selbst mit drinsteckt: In fünf Tagen werden vom Kleinwalsertal aus die Skigebiete von Warth, Lech-Zürs, St. Anton, Kappl, Ischgl-Samnaun, die fast allesamt zu den Riesen des Skizirkus' zählen, durchquert. Bergabenteuer trifft Pistengaudi. Die vier Nächte verbringen die Gäste in einer Höhe zwischen 1650 und 2300 Meter, im Hotel Körbersee und der Heidelberger Hütte etwa. Der Weg führt aber auch auf einsame Scharten und markante Übergänge wie Hochalppass (1938 m) und Lattejoch (2605 m), gipfelt an Spitzen wie Piz Tasna (3179 m) und Mot Falain (2690 m).

Durch die häufige Liftunterstützung umfasst kein Tagesprogramm mehr als 1200 Höhenmeter im Aufstieg. Die Tour trägt der Skitourengemeinde der Moderne Rechnung: viel Spaß und möglichst wenig Schweiß, vor allem von jener Sorte, die die Angst vor Lawinen auf die Stirn treibt.

Das bedeutet nicht, dass die Tour komplett gefahrlos wäre. Einer der Knackpunkte erwartet die Gruppe schon kurz hinter Oberstdorf: Das Bärgunttal am Ende des Kleinwalsertals ist abgeschlossen durch eine steile Rinne, die zum Hochalppass führt. Noch heute steht dort eine alte Zollhütte. Die Tücken dieses Anstiegs kennt auch Armin Schaupp, der Bergführer, den Dempfle beauftragt hat. "Bei schlechter Lawinenlage hast du da keine Chance", erzählt er in breitem Allgäuerisch.

Zeit für Sport und Berge

Schaupp stammt nicht nur aus der Region, er ist auch Bürgermeister von Immenstadt, der drittgrößten Gemeinde im Allgäu. Doch für Sport und Berge hat der 55-Jährige trotzdem viel Zeit: "Vier Stunden pro Tag", sagt er gelassen und mit einem Grinsen, "es ist alles eine Frage der Organisation."

An manchen Tagen ist die Organisation nicht allzu schwer wie beispielsweise auf der zweiten Etappe mit Start in Warth, dort, wo Pfarrer Müller einst zu seiner ersten Tour in den Nachbarort Lech aufgebrochen ist. Für die Tourengeher von Bergführer Schaupp ist der Weg heute deutlich leichter: Sie nehmen für einen Großteil des Anstiegs einen Skilift.

Pulverschnee? Lawinengefahr!

Puristen unter den Bergfreunden würden über so viel Bequemlichkeit freilich die Stirn runzeln. Andere gehen mit dem Ehrgeiz etwas gelassener um. "Für mich ist das Hochsteigen eh nur notwendiges Übel", sagt etwa Oliver Zschunke. Er war früher einmal einer der besten deutschen Speerwerfer. Heute führt er seine eigene Zahnarztpraxis und plant eher beruflich den großen Wurf. "Warum soll ich mich noch quälen? Das Coolste ist doch eh das Runterfahren im Pulverschnee."

Doch schon am nächsten Tag merkt die Gruppe, wie schnell sich die Lage in den Bergen ändern kann: Der Föhn, der beim Start im Allgäu noch ein warmes Lüftchen war, pfeift hier auf bald 3000 Metern Höhe mit 100 Kilometern pro Stunde über den Alpenhauptkamm und bläst den Schnee in die Mulden, wo er die Basis für Schneebretter bildet. Vorerst greift Bergführer Schaupp auf Hilfsmittel zurück, die sich Pfarrer Müller nicht einmal in seinen wildesten Gebeten ersehnt hätte: wetterzentrale.de, die Internetseite für Meteorologie-Experten, dazu ein GPS-Gerät, um später auch bei Nebel nicht vom Weg abzukommen, 15 Reserve-Batterien. Am Fuß eines 500 Meter hohen Nordhangs stellt er dann doch die Frage, die keine Technik der Welt beantwortet: "Wer leitet die Suche, falls uns eine Lawine erwischt?" Kein Mensch denkt jetzt noch an Pulverschnee.

In solchen Situationen wächst die Gruppe viel mehr zusammen als bei der Gaudi im Lift: Wenn der Wind derart ins Gesicht bläst, dass mehrere Tourengeher bei ihren Spitzkehren ins Schwanken geraten; wenn am Ende des Anstiegs einige losjubeln, ihre Arme in den Himmel über dem Paznauntal recken - ob nun aus Freude, aus Überschuss an Adrenalin oder einfach aus Lust am Männerritual. Wenn einer der steilen Anstiege doch die letzten Reserven aus dem Körper zieht. Und wenn am Rand des Schweizerischen Nationalparks die letzte Unterkunft in einem Tal erreicht ist, zu der im Winter keine Autos fahren und keine Lifte führen, sondern nur zwei Pferdeschlitten mit dicken Fellen und frisch gefüllten Wärmflaschen.

Wie es Pfarrer Müller auf seiner ersten Tour erging? Dem Vorarlberger Volksblatt berichtete er jedenfalls voller Begeisterung: "Ich kam, abgesehen von ein paar Stürzen, nach 1 ½ Stunden gut hinüber."

Karte Alpenüberquerung Österreich Italien

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(Foto: SZ Grafik)

Informationen

Reisearrangements: Die Bergschule OASE Alpincenter bietet die Tour in Begleitung eines Bergführers an. Im Preis von 925 Euro sind vier Übernachtungen mit Halbpension, die Bus- und Kutschenfahrt inbegriffen, nicht aber die Skipässe und mögliche Leihausrüstungen. Kontakt: Bahnhofplatz 5, 87561 Oberstdorf, Tel.: 08322/80 00 98 0, www.oase-alpin.de

Unterkünfte: vier Nächte in diversen Berghütten: www.koerbersee.at, www.heidelbergerhuette.com, www.ulmerhuette.at, www.gasthaus-mayor.ch

Thementour auf Skiern: In Warth-Schröcken wird jeden Freitag eine Freeride-Thementour von Warth über Lech nach Schröcken auf Pfarrer Müllers Spuren für 69 Euro angeboten (ohne Skipass). Tel.: 0043/5583/34 43, www.warth-schroecken.at

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