Urlaub in den Bergen:Ist das noch ein Bauernhof oder schon ein Hotel?

St. Quirinus-Hof

Ist das noch ein Bauernhof oder schon ein Welnesshotel? Der St.-Quirinus-Hof in Kaltern.

(Foto: Roter Hahn)

Urlaub auf dem Bauernhof ist Sehnsucht nach Entschleunigung und Natur. In Südtirol findet er immer öfter in sehr moderner Kulisse statt.

Von Gerhard Matzig

Wenn es dem Wein, den Robert Sinn in Südtirol oberhalb vom Kalterer See anbaut, nicht gut geht, nach einem Hagelunwetter zum Beispiel, dann bekommen die Reben schon mal "eine Extraportion Baldrian". Wobei der Baldrian den Kamillentee ergänzt, der im Weinberg ebenfalls gelegentlich versprüht wird. Nach Möglichkeit im Einklang mit den Mondphasen. Und richtig herum angerührt. Eh klar.

Es ist ein herrlicher Abend im Spätsommer. Die Weinlese hat gerade begonnen. Bis Ende Oktober ist noch Saison, und der kleine Kalterer See liegt einem fast unbewegt zu Füßen, während die Sonne dabei ist, sich zwischen Rastenbachklamm und Mendelpass fotogen zum Schlafen hinzulegen. Eine behagliche Ruhe legt sich über die Szenerie, die zwischen der hochalpinen Dramatik der Bergwelt und dem sanft modulierten Hügelland vermittelt.

Robert Sinn, der die Gäste seines seit einigen Jahren konsequent biodynamisch geführten Bauernhofes an diesem Tag durch die örtliche Weingeschichte und somit auch mitten durch seinen Weinberg führt, sagt: "Gottlob hatten wir heuer noch keinen Hagel." Noch. Aber falls doch, wie gesagt: Dann gibt es Kamillentee und Baldrian. Ein paar Gäste, die den exzellenten Biohof St. Quirinus in dieser Woche bewohnen, kichern an dieser Stelle. Baldrian für den gestressten Wein, also wirklich.

Robert Sinn, dessen Familie seit Generationen westlich der Etsch ansässig ist, lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Er ist ein Bauer, wie man ihn sich vorstellt - und zugleich einer, der dem Neuen gegenüber auf kühne, mindestens auf biodynamische Weise aufgeschlossen ist. Die Liebe zur Innovation trägt er ebenso in sich wie die zur Tradition. Ohne jeden ideologischen Eifer erklärt er den Gästen den biodynamischen Weinbau, der auf den Anthroposophen Rudolf Steiner zurückgeht. Der sagte, dass die Rebe eine "einzigartige Fähigkeit" besitze: "All ihre Kräfte, die bei anderen Pflanzen in die Samen strömen und die neue Generation konfigurieren, schießen bei der Rebe in das Fruchtfleisch hinein und werden dem Menschen verfügbar."

Die Baukultur entspricht hier der Weinkultur: Das tradierte Alte wird mit Neuem verknüpft

Und selbst die, die an der Baldrian-Stelle noch gekichert haben, müssen nun, da die roten und weißen Weine des Hofes ein Jahrhundert nach Steiner verkostet werden, zugeben: Der Wein, ob er sich nun dem Fruchtfleisch der klassischen Sorten Sauvignon, Vernatsch, Blauburgunder verdankt oder den auf natürliche Weise pilzresistenten, also besonderen ("Piwi"-)Sorten wie Bronner, Johanniter, Prior und Cabernet Cortis, ist köstlich. Der "Planties Weiss", den die Familie Sinn erzeugt und der nach reifem Apfel, Pfirsich und Muskat schmeckt, hat jüngst beim internationalen Bioweinpreis 2019 die Auszeichnung "Gold" errungen.

Dabei sieht der Hof der Sinns, gelegen auf 500 Meter in Oberplanitzing, einem Ortsteil von Kaltern, nicht nach irgendeiner verbeulten Jute-statt-Plastik-Ideologie aus. Im Gegenteil: St. Quirinus, dessen verschiedene Gebäudeteile sich auf dem Weinberg so funktional wie behaglich um einen kommunikativ wirksamen Hof herum gruppieren, ist das Fanal einer zeitgenössisch modernen Architektursprache. Obwohl durch und durch ökologisch erdacht und entworfen vom Südtiroler Architekten Walter Angonese, wirkt der Bau wie ein Bekenntnis zu einer Ästhetik der Gegenwart. Die Baukultur hier entspricht der Weinkultur: Robert Sinn mag ganz offensichtlich nicht nur das tradierte Alte, sondern auch das experimentell Neue. St. Quirinus, benannt übrigens nach den Benediktinern vom Tegernsee in Bayern, die schon vor etlichen Jahrhunderten im heutigen Südtirol ihre Weinbaukunst kultivierten, ist daher nicht nur ein Biobauernhof. Sondern zudem auch ein Design- oder gar Architekturbauernhof.

Es gibt viele Gründe, warum der "Urlaub auf dem Bauernhof", der als Phänomen einer Sehnsucht nach Entschleunigung und naturverbundenem Dasein wenigstens zur Urlaubszeit entspricht, besonders gut nach Südtirol passt. Es lässt sich hier nicht nur wunderbar wandern oder Rad fahren, sondern man kann auch eine bäuerliche Welt genießen, die einerseits ihre Wurzeln pflegt und andererseits inmitten vieler Sprachen und Kulturen weltoffen wie kaum eine andere Bergregion erscheint. Knapp 1700 Urlaub-am-Bauernhof-Betriebe laufen heute unter der Marke "Roter Hahn", sie generieren 8,5 Prozent aller Übernachtungen im Land. Die Marke ist so erfolgreich und begehrt, dass immer mehr Bauern teilhaben möchten, manchmal auch als Trittbrettfahrer, bei denen die Landwirtschaft eher ein Alibi fürs Tourismusgeschäft ist (siehe Interview auf dieser Seite). Der Südtiroler Bauernbund, zu dem der Rote Hahn gehört, achtet deshalb auf die Einhaltung vieler Kriterien, wie etwa einer aktiven Landwirtschaft und dem Angebot hofeigener Produkte.

Kein Wunder, dass mittlerweile eine Vielzahl von Kategorien entstanden ist: Es gibt familienfreundliche Bauernhöfe und solche für Reiter oder Radler. Es gibt den Wanderbauernhof, den barrierefreien Bauernhof, den Vitalbauernhof, den historischen Bauernhof, den Weinhof - und eben auch den Designbauernhof. Beziehungsweise, weil Design ja irgendwie alles und nichts ist, den Hof, der sich Menschen anbietet, die zwischen dem Naturerlebnis und dem Vergnügen an ambitionierter Baukultur keinen Unterschied machen wollen. Das Auge trinkt mit - so ließe sich das Credo für St. Quirinus und dessen herausragendes Architekturverständnis formulieren, das sich schon von Weitem mitteilt.

Tradition und Moderne stärken sich hier gegenseitig

Der Hof, der aus einem inzwischen renovierten und energieeffizient ertüchtigten Anwesen der Eltern entstanden ist, zeichnet sich durch eine passgenau für den Baugrund inmitten des Weinbergs entwickelte, klimaneutrale Architektur aus, die den räumlichen, also so agrarisch wie touristisch definierten Raumbedürfnissen der Familie Sinn entgegenkommt und doch ganz eigenständig nach außen zeigt: Dieser Hof ist nicht allein der Soziologie eines Familienbetriebs, der Ökonomie einer Landwirtschaft und der Ökologie der Natur, sondern auch der Ästhetik der Architektur verpflichtet: der Baukunst. Davon kündet schon das integral gestaltete Solardach, das den Hof autark macht. Wo immer möglich, wurde es begrünt.

Alle Räume unterhalb dieser charakteristischen Dachlandschaft sind individuell zugeschnitten und antworten damit auf Wind und Wetter, Licht und Schatten. Dabei hat es die Bauernfamilie (zu der auch noch drei Katzen, etliche Gänse, Kaninchen, Hühner und ein Hund gehören) geschafft, inmitten der kraftvollen Architektursprache auch die bäuerliche Atmosphäre zu bewahren. Schon am Eingang duftet der Nutz- und Kräutergarten betörend nach Lavendel, Rosmarin und Thymian. Und der Mais hängt unter einer Loggia neben alten Traktoren so malerisch zum Trocknen, als wolle er sich als Postkartenmotiv empfehlen. Er landet dann aber trotzdem in der Polenta, die die Oma in einem riesenhaften Topf für alle Hofbewohner anrührt. Tradition und Moderne leben hier in friedlicher Koexistenz und stärken sich gegenseitig.

"Maximal zehn Prozent der Betriebe", sagt Sandra Knoflach vom Verbund Roter Hahn, der statt Sterne Blumen für touristisch herausragende Bauernhöfe in Südtirol vergibt, "könnte man als Designbauerhöfe bezeichnen." Das wären etwa 160 Höfe. Aber das Architektursegment hat Potenzial: Die Nachfrage ist da.

Babioshof

Bauhausverdächtig: Die Ferienwohnungen am Babioshof in St. Anton/Kaltern.

(Foto: Roter Hahn)

Der Bauernhof ist nicht zu unterscheiden von einem Wellness-Resort

"Unsere Gäste", sagt etwa Silvia Gentile vom nahe gelegenen Babioshof in St. Anton, "googeln oft die Kombination aus ,Bauernhof' und ,modern' - so kommen sie zu uns." Tatsächlich würde der malerisch am Hang, neben einer alten Kirche und unterhalb der Mendelbahn gelegene Babioshof jeden Bauhaus-Lookalike-Wettbewerb dominieren. Die Gästehäuser neben dem Stammsitz der Obst und Wein anbauenden jungen Familie sind an smarter Eleganz kaum zu überbieten: Der architektonische Ehrgeiz kommt einem so grenzenlos vor wie der übergangslos erscheinende Pool direkt davor: In dieser Form ist der Bauernhof nicht zu unterscheiden von einem beliebten Wellness-Hideaway.

Das gilt auch für den Grieserhof in Nals. Hier hat die Familie Mathà kürzlich aus dem alten Stadel der Apfel-Landwirtschaft eine Kubatur mit vier modern eingerichteten und großzügig dimensionierten Ferienwohnungen gemacht. Im Einklang mit dem Denkmalschutz einerseits. Andererseits aber auch so, dass die nächste Möbelmesse durchaus in Nals stattfinden könnte. Wobei sich der ästhetische Mehrwert, der vor allem Judith Mathà zu verdanken ist, aus der geschickten Kombination von alten Hölzern, Fensterrahmen oder Türgriffen mit zeitgenössischem Interieur ergibt. "Hier wird nichts weggeworfen", sagt die erst 28-Jährige, "es ist wie früher: Alle Materialien stammen aus der Region - und alles muss so gebaut sein, dass es hält und alt werden kann." Daher wirkt auch der Stadelumbau authentisch.

Grieserhof

Gelungene Mischung aus traditioneller und moderner Architektur: Der Grieserhof in Nals.

(Foto: Roter Hahn)

Dass Bäuerliches und Modernes kein Widerspruch ist, zeigt auch der Blick in die Baugeschichte. Bautypologisch bestanden selbst die ältesten Höfe der agrarkulturellen Historie aus eben jenen Wesensmerkmalen, die auch der klassischen Moderne eigentümlich sind: Die Form folgt der Funktion, und weniger ist mehr. Die Raumökonomie der Bauernhöfe, die Reduktion des Materials: All das passt auch zur modernen Interpretation der Hofkultur. Daher ist die Symbiose aus moderner Gestaltung und alter Bauernhoftradition eine zukunftstaugliche Win-win-Situation.

Oder wie Robert Sinn vom Quirinushof bodenständiger sagen würde: "Passt."

Ferienwohnungen je nach Saison und Größe ab 90 bis 180 Euro, www.roterhahn.it

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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