Innere Einkehr statt Einkehrschwung im Kloster Engelberg
Wer die erste Nacht im Kloster von Engelberg an einem Freitag verbringt, erlebt abends eine Überraschung. Am Mittag hatte Pater Andri, dieser junge Dynamiker mit der schneidigen Sonnenbrille, noch von der Gastfreundschaft des Benediktinerordens geschwärmt, von Drei-Gänge-Menüs und vom Weinkeller. Doch als der Gast zum Abendessen im "Beizli" erscheint, ist Frühstück eingedeckt: Birchermüsli, Marmelade, Brot, Käse, Kaffee, Ovomaltine. Die Küchenmeisterin bringt einen Teller Suppe, verneint aber die Bitte nach einem Glas Wein. "Es ist doch Freitag." Wir lernen: Freitags gibt's im Kloster Café complet, Frühstück als Abendessen, ohne Wein. Und wer glaubt, zum Frühstück um halb neun statt um viertel nach acht anrücken zu können, bekommt von der Chefin einen Rüffel.
Ansonsten hat man vor allem eins: seine Ruhe. Genau deswegen kommen die Gäste. Banker, die über Moral nachdenken. Bergbäuerinnen, die eine Pause brauchen. Schriftsteller, die ihren Roman fertig bekommen wollen. In der Abtei aus dem Jahr 1120 erhalten sie Asyl: Vollpension für 135 Franken (ca. 112 Euro) am Tag. Es gibt zehn beinahe komfortable Einzel- und sechs Doppelzimmer. Ja, auch Paare dürfen im Kloster einchecken, sogar Konfessionslose, jedoch keine Skiurlauber, die mal in einem besonderen Ambiente nächtigen wollen.
Die nur noch 22 Patres verstehen ihr Kloster als Kontrapunkt zum Alltag. Missionieren will aber niemand. Der Gast ist eingeladen, an den sechs Gebetszeiten und der Eucharistiefeier teilzunehmen, zwischen halb sechs in der Früh und acht am Abend. Das Kernangebot des Klosters ist die Stille: "Kein negativer Leerraum, sondern ein positiver Freiraum für das Eintauchen in tiefere Lebensdimensionen", wie es heißt. Und wer bei der Vesper im Kirchenschiff dem gesungenen Abendgebet der Benediktiner lauscht, kommt in der Tat zur Ruhe. Tut gut.
Thomas Becker