Skulpturen auf der Alm in der Valsugana
Jahrelang musste Giacomo Bianchi den Spott ertragen: "So etwas soll Kunst sein? Das können wir doch auch!", stänkerten die Dorfbewohner von Borgo Valsugana, als der Bioingenieur Ende der achtziger Jahre im Val di Sella mit Freunden das Projekt "Arte Sella" ins Leben rief. Die Idee: Kunst nicht ins Museum, sondern hinaus ins Freie zu tragen. So deponierten Künstler entlang einer Forststraße hinauf zur 1000 Meter hoch gelegene Alm "Malga Costa" ihre Landart-Objekte aus Steinen, Blättern, Zweigen oder Baumstämmen, mitten in der Natur. Ziemlich viel Natur, denn das Sellatal über der Valsugana ist ein menschenleeres Gebiet. "Damals gaben hier die letzten Hirten und Bauern auf - mit Kunst Gäste anzulocken, konnte sich kein Einheimischer vorstellen", sagt Giacomo Bianchi. Heute steht er dem Verein "Arte Sella" als Präsident vor und kann auf jährlich 70 000 Besucher verweisen, die Kunstwerke sind eine wichtige Attraktion im Tal. "Nun lästert keiner mehr", sagt Giacomo Bianchi.
Die meisten Besucher kommen im Sommer, doch auch jetzt im Winter hat der Kunstwanderweg seinen Reiz. Wenn etwa die dreischiffige Pflanzenkathedrale, 80 Meter lang und bis zu zwölf Meter hoch, mit Schnee konturiert ist, sieht sie noch spektakulärer aus als mit grünen Blättern überwuchert. Zurzeit jedoch liegt kaum Schnee, es ist relativ warm. Dennoch stapft an diesem grauen Dezembertag eine Gruppe kubanischer Kulturfunktionäre in Daunenjacken zur Malga Costa am Talschluss hinauf. Sie wollen sich Tipps für ein ähnliches Projekt auf der Karibikinsel holen. Dabei kommen sie an manchem Kunstwerk vorbei, das auf den ersten Blick gar nicht als solches zu erkennen ist. Zum Beispiel "Ökologische Nischen" von Giuliano Orsingher: runde, in Felsbrocken geschlagene Löcher, die, von Moos und Laub überzogen, wie natürliche Vogeltränken anmuten. Verschwitzt erreicht die Gruppe nach gut einer Stunde die ehemalige Alm. Sie liegt inmitten eines von dürrem Gras und Schneematsch bedeckten Hochplateaus; bei Temperaturen um acht Grad plus haben sich einige Kubaner inzwischen die Jacken um die Hüfte gebunden.
Rund um die Almgebäude gibt es einen weiteren Spazierweg mit verstreuten Kunstwerken. Wie viele es insgesamt sind, kann Bianchi nicht genau sagen, jedes Jahr kommen neue hinzu. "Zurzeit sind es etwa 50 - die Objekte sollen in den biologischen Kreislauf zurückkehren." Manche Installation ist diesem Ziel schon ziemlich nahegekommen.
Andere beziehen sich ausdrücklich auf die Geschichte dieser Landschaft. Wie das "Quadrat" des Deutschen Rainer Gross. Er hat es im vergangenen Sommer über einem Schützengraben des Ersten Weltkriegs aufgestellt, zwei identische, an Bäume gelehnte schwarze Dreiecke, die zusammen ein Viereck bilden: sozusagen vom Krieg in zwei Stücke gerissen.
Normalerweise, sagt Bianchi, würden die Künstler beim Aufstellen ihres Werkes mit anpacken. Eine Ausnahme bildete vor einigen Jahren Luc Schuiten mit seinem "Pflanzen-Dorf". "Während wir tagelang die Holzpfähle mit der Motorsäge zuschnitten und Bäume pflanzten, saß der belgische Architekt in einem Stuhl und zeichnete", sagt Bianchi. Vorbeikommende Wanderer fanden den Anblick lustig.
Helmut Luther