Alpen: Die erste Hochtour:Da will ich rauf!

Auf der Suche nach neuen Herausforderungen lassen viele Wanderer die Voralpengipfel links liegen und wagen sich an eine Hochtour. Besondere Voraussetzungen muss man dafür nicht mitbringen, sagen selbst Profis - aber eine gute Vorbereitung.

Ganz oben sein. Fernab von Lärm, Autos und Alltag. Stille und Aussicht genießen. Und das Gefühl, den eigenen Körper zu spüren, das Potenzial abzurufen, das im Bürostuhl so sehr vernachlässigt wird. Das sind die Reize einer Hochtour. Um sie zu genießen, muss man kein Extrembergsteiger sein. "Der Körper kann viel mehr, als man denkt", sagt Manuel Asbach. Vergangenen Sommer hat der 31-jährige Unternehmensberater im zweiten Anlauf den Mont Blanc bezwungen, auch Großvenediger und Großglockner hat er bereits abgehakt. "Ich wollte irgendwann einfach auf höhere Berge gehen als auf Voralpengipfel. Das hat sicher was mit Herausforderung zu tun. So ein hoher Berg erfordert Planung und bringt eine ganz andere Anspannung und andere Gefahren mit sich. Es ist ein fieser Kampf, auch gegen sich selbst."

Da will ich rauf! Was es bei der ersten Hochtour zu beachten gilt

Ohne Steigeisen und Eispickel sollte man sich auf keinen Gletscher wagen.

(Foto: dpa-tmn)

Ab 3000 Meter spürt man die Höhe bei jedem Schritt. Die Luft wird dünner, das Atmen fällt schwerer. Die Jause auf dem Gipfel schmeckt doppelt so gut, wenn man spürt, was man geleistet hat. Und zu wissen, dass die Steigeisen sich in Jahrtausende altes Eis graben, kann ein überwältigendes Gefühl sein.

Aber die erste Gletschertour erfordert eine gewisse Ernsthaftigkeit - nichts, was man am Freitagabend spontan in der Kneipe beschließt. Denn das Eis birgt Gefahren. Man muss sie kennen und im Ernstfall richtig zu reagieren wissen. Man braucht andere Ausrüstung als bei einer normalen Wanderung und muss lernen, mit ihr umzugehen.

Karl Schrag hat dieses Wissen. Der 60-Jährige ist Bergführer und Ausbildungsleiter beim Deutschen Alpenverein (DAV). Seinen ersten Gletscher hat er mit 17 Jahren erklommen. "Körperlich kriegt man das hin. Man muss kein erfahrener Alpinist sein, um das zu schaffen", sagt er. "Wer eine Tageswanderung im Flachland oder in den Voralpen problemlos schafft, kann auch eine Gletschertour unternehmen."

Allerdings muss man sich zuerst um die richtige Ausrüstung kümmern. Ohne Steigeisen und Eispickel sollte man sich auf keinen Gletscher wagen. Sie sind zwar nicht immer notwendig: Wenn das Eis schneebedeckt ist, ist der Untergrund oft griffig genug. Aber wenn es freiliegt, sind die etwa drei Zentimeter langen Zacken unter den Sohlen unerlässlich. Und selbst bei flachen Touren gilt es immer wieder kleinere Steilstufen zu überwinden - auch hier sind Steigeisen und Eispickel hilfreich.

Leider passen Steigeisen nicht auf jeden Wanderschuh, erklärt Schrag: "Der Schuh muss steigeisenfest sein. Das heißt, dass er eine steife Sohle und ein steifes Obermaterial hat. Die Eisen müssen befestigt werden, zu weiche Schuhe verformen sich dann, oder man schnürt sich den Fuß ab."

Auf keinen Fall alleine

Eine zweite wichtige Regel lautet: Eine Gletschertour macht man auf keinen Fall alleine. Man geht in einer Seilschaft, im Abstand von etwa zehn Metern. In Gruppen mit unerfahrenen Bergsteigern sind zwischen drei und fünf Personen über ein Seil miteinander verbunden, das an Klettergurten befestigt ist. Stürzt einer in eine Gletscherspalte - die größte Gefahr bei solchen Touren -, können die anderen Mitglieder der Seilschaft ihn halten und herausziehen.

Da will ich rauf! Was es bei der ersten Hochtour zu beachten gilt

Über einen Gletscher geht man immer in einer Seilschaft.

(Foto: dpa-tmn)

Die Sicherungstechnik muss man üben. So gut wie alle Sektionen des Alpenvereins bieten Kurse an, Nichtmitglieder können sie auch bei lokalen Bergführern buchen oder über den Summit Club, die Bergsteigerschule des DAV. Die Kurse dauern rund eine Woche. Die Anwärter übernachten in einer Hütte nahe des Gletschers und brechen jeden Tag zu verschiedenen Übungseinheiten in Eis und Schnee auf. Spaltenbergung steht auf dem Programm, Wetter- und Geländekunde und die Orientierung anhand der Karte.

"Learning by doing" ist hier nicht nur ein Spruch, sondern Prinzip: "Es gibt viele Entscheidungen, die man auf einem Gletscher treffen muss. Praktische Erfahrungen sind als Grundlage unerlässlich", erklärt Karl Schrag. Aber es muss nicht gleich ein Kurs sein.

Wer sich nicht sicher ist, ob er auf Dauer dabei bleiben will, kann erst mal eine Test-Hochtour mit einem Bergführer machen - zum Beispiel mit Florian Gufler. Er ist seit 20 Jahren Bergführer und arbeitet beim Alpinsportcenter Ötztal. Hier gibt es mehrere Dreitausender, die sich für Einsteiger eignen.

Gufler empfiehlt den 3599 Meter hohen Similaun, in dessen Eis der weltberühmte Ötzi gefunden wurde, und den Linken Fernerkogel, 3277 Meter hoch. Der beliebteste Berg in der Gegend sei aber die 3768 Meter hohe Wildspitze: "Von der Gehzeit und der technischen Schwierigkeit sind Similaun und Fernerkogel zwar leichter", sagt Gufler. "Aber die meisten wollen halt doch lieber gleich auf den größten Berg Tirols."

Wer die Wildspitze besteigen will, schnürt seine Wanderstiefel in Vent, einem Alpendörfchen am Ende des Ötztals. Von hier aus sind es etwa drei Stunden Fußmarsch auf die Breslauer Hütte (2844 Meter), zum eigentlichen Ausgangspunkt für die Tour auf den Gletscher. Immerhin 900 Höhenmeter gilt es bis dahin zu bewältigen. Das erste T-Shirt ist nassgeschwitzt, bevor die Tour richtig begonnen hat.

Mit jedem Gipfel Lust auf neue Projekte

Der Tag der Gipfelbesteigung beginnt früh. Um 6.00 Uhr ruft Gufler seine Gruppe zum Abmarsch. So bleibt mehr als ausreichend Zeit für den Aufstieg, das Gipfelerlebnis und den Abstieg bis ins Tal nach Vent. "Es ist ein schöner Weg", sagt Gufler, "erst über den Gletscher, dann geht's über einen kleinen Grat zum Gipfel."

Die Nachfrage nach Gletschertouren ist groß. "Es kommen total unterschiedliche Leute zu uns", sagt Gufler, "es ist auch so gut wie jedes Alter vertreten." Das Alpinsportcenter stellt keine bestimmten Anforderungen an die Teilnehmer einer Hochtour. Wenn jemand Gletschererfahrung mitbringt, sei das zwar gut, aber auf keinen Fall Pflicht. "Wir setzen auch nicht voraus, dass die Leute schon mit Steigeisen umgehen können", sagt Gufler. "Ein bisschen Wandererfahrung, eine gute Kondition und eine gewisse Schwindelfreiheit - das ist alles, was man braucht."

Manuel Asbach hat seine Tourensaison dieses Frühjahr mit einer Tour auf die Wildspitze eröffnet. Und dabei gleich wieder etwas verspürt, das das Hochtourengehen für ihn auch ausmacht: "Mit jedem Berg eröffnen sich neue Projekte. Da steht man dann auf der Wildspitze und sieht von da den Gipfel des Ortler. Und dann denkt man sich: Da will ich rauf!"

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