Neue Bergstationen in den Alpen:Die Architektur-Show am Gipfel

Eine Simulation der geplanten neuen Bergstation am Titlis in der Schweiz

Kunst am Berg: Herzog & de Meuron planen eine neue, 100 MIllionen Euro teure Bergstation am Titlis in der Schweiz (Simulation).

(Foto: Herzog & De Meuron)

Renommierte Architekten entwerfen neue Bergstationen. Das sieht gut aus. Aber wären die Berge allein nicht schon sehenswert genug?

Von Gerhard Matzig

In jedem James-Bond-Film gibt es eine essenzielle und seit 1962 ("Dr. No") für Fans auch existenzielle Bar-Szene. Fast immer, wenn Bond einen Wodka Martini bestellt, muss dieser Running Gag bemüht werden: geschüttelt, nicht gerührt. Insofern macht der jüngste Bond ("Spectre", mit Daniel Craig) keine Ausnahme. Als Bond an der Bar des auf 3048 Metern am Gaislachkogl in Sölden, Tirol, gelegenen Restaurants Ice Q seinen Drink mit dem bewährten Gag bestellt, lautet die Antwort erstaunlicherweise aber so: "Wir servieren keinen Alkohol."

Klar, denn im 007-Thriller ist der aufsehenerregende und viereinhalb Millionen Euro teure Bau nach einem Entwurf des Innsbrucker Architekten Johann Obermoser ja auch kein mondäner Restaurantkomplex aus gläsern übereinander gestapelten Kuben, sondern eine Bergklinik. Aber auch die ist Eisblöcken nachempfunden. Bond beantwortet die Abfuhr an der Bar schließlich auf eine so trockene Weise, wie er sich auch seine Drinks wünscht: "Ich merke schon, das wird mein Lieblingsort." Der Lacher im Kino ist Kalkül.

Ein zweiter Lacher erfolgt gleich danach. Dann nämlich, wenn an der hochalpinen Bar, die in Wirklichkeit zu einer aus Stahl, Glas und einem faszinierenden Blick auf die umliegenden Berggipfel gefügten Gourmet-Arena gehört, Bonds Quartiermeister "Q" auftaucht. Im Ice Q lässt der namentlich hervorragend in die Szenerie passende Q den Barkeeper wissen: Er, also Bond, "nimmt einen Verdauungsenzym-Shake". Wenig später wird Bond den insofern trostbedürftigen Barmann darum bitten, den Drink im Klo runterzuspülen. Das ist dann der dritte Lacher.

Das Restaurant Ice Q in Sölden, Schauplatz des James-Bond-Films "Spectre"

Eisblock-Architektur: Das Restaurant Ice Q in Sölden, Drehort für den James-Bond-Film Spectre.

(Foto: Rudi Wyhlidal; Rudi Wyhlidal / Bergbahnen Sölden)

Im Grunde ist es ja erstaunlich, dass ein Bond-Setting, das im Film als Versteck "am Ende der Welt" dient, das genussfeindlich und voller Verdauungsenzyme die Gletschereinöde fiktionalisiert, dennoch als Ort der Sinnes- und Leibeslust überzeugt. Mit dem Werbespruch "Ein Ja-Wort über den Wolken in Sölden" wird die "außergewöhnliche Hochzeits-Location" des Ice Q sogar als "Versprechen an die Liebe" gefeiert - "mit unzähligen Dreitausendern als zuverlässigen Trauzeugen". Ein Bond-Museum gibt es neben dem Restaurant seit den Dreharbeiten auch. Der Ort ist etwas Besonderes.

Das hat nicht nur mit der Macht des Kinos etwas zu tun, sondern mit einem anderen Lieferanten suggestiver Bildkunst: mit einer hochambitionierten Architektur, die nicht nur der Baukultur, sondern auch der Schaukultur verbunden ist. Überhaupt ist es verblüffend, an welch entlegenen Stätten man seit einigen Jahren nicht nur der Spitzengastronomie oder dem Eventgedöns, sondern auch der dazugehörigen Sternearchitektur begegnet.

Ein etwa 100 Millionen Euro teures Projekt soll in den nächsten Jahren auf dem Titlis entstehen. Auf dem 3238 Meter hohen Berg, der in der Zentralschweiz ein beliebtes Skigebiet überstrahlt, wird nach Plänen der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron eine neue Bergstation samt Restaurant realisiert, wodurch auch der 50 Meter hohen Sendeturm zugänglich wird. Die Rede ist von einem "Leuchtturmprojekt".

Als die Pläne kürzlich öffentlich vorgestellt wurden, sagte Pierre de Meuron: "Wir mussten nicht lange überlegen, ob wir das Projekt angehen sollen." Bergstationen seien zwar meist Zweckbauten, aber "wir haben den Anspruch, auf dem Gipfel des Titlis Zweck und Ästhetik zu vereinen". Die alte Bergstation, erbaut 1967, kann nach Angaben der Betreiber die zukünftigen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Inzwischen besuchen über eine Million Gäste jährlich den Berg, in Spitzenzeiten sind bis zu 2000 Menschen gleichzeitig auf dem Gipfel.

Man zerstört das Paradies, indem man es findet

Die neue Bergstation, die sich die Architekten als kristalline Struktur vorstellen, soll dem Massenpublikum "in einer markanten Architektursprache" begegnen. Darauf versteht sich das Schweizer Architekturbüro schon lange. Man kennt in Hamburg etwa die Elbphilharmonie oder in London den Umbau der "Tate" als zeichenhaft auf sich aufmerksam machende, weithin ausstrahlende Wahrzeichen. Als "Signature Buildings", die ein großes Publikum ansprechen. Am Titlis wird dieses Publikum bald per Rolltreppe auf den Gipfel geschaufelt. Eine neue Aussichtsterrasse entsteht, dazu kommen Souvenirshops und drei Restaurants.

Was auch immer an Einsamkeit und Bergstille noch gelegentlich vorhanden sein mochte auf dem Titlis: Spätestens der Ausbau wird das Ende letzter Reste garantieren. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Die Berge sind schön - und wenn sie noch besser erreichbar werden und noch mehr Spektakel jenseits ihrer schieren Höhe versprechen, dann wird diese Schönheit immer mehr zum Massenkonsum animieren. Aber spätestens dann wird auch klar werden: Man zerstört das Paradies, indem man es findet. Die auch den Titlis umstehenden Dreitausender fungieren vermutlich nicht als Trauzeugen wie in Sölden. Aber womöglich als Trauerzeugen einer zunehmend unheimlich werdenden Verbindung aus Sternearchitektur, Spitzengastronomie und überbordendem Alpintourismus.

Station der Hungerburgbahn in Innsbruck, entworfen von der Architektin Zaha Hadid.

Die von Zaha Hadid entworfene Bergstation der Hungerburgbahn in Innsbruck ist seit 2007 in Betrieb.

(Foto: Mauritius Images /Imagebroker)
Bergrestaurant "Fiore di pietra" auf dem Monte Generoso im Tessin

Dieses Gebäude mit dem Namen Fiore di pietra (Steinblume) hat Mario Botta auf dem Monte Generoso im Tessin realisiert.

(Foto: Mauritius Images/Udo Bernhart)

Es ist schön, wenn auch in schönen Landschaften schön gebaut wird. Aber noch schöner wäre es, wollte man die Berge von An-, Um- und Weiterbauten aller Art endlich einmal verschonen. Die Architektur der Berge ist eigentlich sehenswert genug. Man muss sie nicht aufhübschen und ihr noch ein paar Rolltreppen als Herzschrittmacher des Zeitgeists implantieren.

Ist der Berg nicht Spektakel genug, fragt der Architekt aus dem Engadin

Schon der große Wiener Architekt und nicht minder große Spötter Adolf Loos, der zu den Ahnherren der Moderne gehört, riet vor einem Jahrhundert jenen, die "in den Bergen bauen", dies: "Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein Hanswurst." Ähnlich sagt das der Schweizer Architekt Gion A. Caminada. Nur meint er heute nicht den noch von Loos beschimpften Jodelstil des Alpenglühens, der in seiner Hanswursthaftigkeit seit anderthalb Jahrhunderten, seit die Bergwelt touristisch immer interessanter wurde, die Gipfel auch architektonisch "eroberte". Er findet die Ausrufearchitektur, die statt der alten Restaurants und Berghütten oder der früheren Infrastruktur nun überall in den Bergen einzieht, kaum weniger problematisch. "Wenn man vor einem Berg steht, dann braucht es eigentlich kein anderes Spektakel", sagte Caminada vor Jahren zum Reporter, der ihn in Graubünden besuchte. Das Wort "Spektakel" sprach er mit Abscheu aus. Dann zuckte er mit den Schultern. Als wollte er sagen: "Was soll man machen?"

Was soll man machen. Gebaut wird, was bezahlt wird. Auch die namhaften Büros bauen gerne in extremen Topografien sowie in herausfordernder Landschaft. So hat sich die Architektin Zaha Hadid noch vor ihrem Tod vor einigen Jahren in die Geschichte der Hungerburgbahn in Innsbruck und in die Morphologie der weit höher gelegenen Eis- und Schneelandschaft eingeschrieben. Und Mario Botta aus dem Tessin hat auf dem Monte Generoso ein Bauwerk namens Steinblume ("Fiore di pietra") realisiert. Der neue Konferenzraum darin empfiehlt sich für "unvergessliche Familienfeste und außergewöhnliche Firmenanlässe". Unvergesslich und außergewöhnlich waren früher die Berge selbst. Es schüttelt einen leicht melancholisch. Ein Drink wäre jetzt gut. Möglicherweise sogar ein Verdauungsenzym-Shake.

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