Alltag auf Kuba:Ausverkauf der Revolution

Fünfzig Jahre nach dem Triumph des Sozialismus ist das Ende der Gleichheit in Kuba längst eingläutet. Die Gier nach der Touristenwährung CUC treibt im Alltag bizarre Blüten.

Sophie und Marcel Burkhardt

Nachmittags, wenn er in seiner Sprechstunde die Patienten versorgt hat und keine Hausbesuche mehr anstehen, fährt Jorge*, zum Flughafen von Havanna. Der 33-Jährige stellt sich neben die Tourismusinformation und wartet auf Reisende, die er in seinem alten Moskwitsch in die Innenstadt fährt. Jorge ist ein guter Arzt, einer von denen, die der kubanische Staat für einige Monate nach Venezuela geschickt hat, als Austausch gegen das Erdöl, das Chavez liefert. Doch mit zwei Fahrten in die Innenstadt verdient Jorge so viel wie der Chefarzt seiner Klinik im ganzen Monat.

420 Pesos, also 15 Euro, beträgt der monatliche Mindestlohn für einen Arzt. Das klingt nach Hungerlohn, doch hungern muss damit niemand. Jedem Kubaner stehen monatliche, hoch subventionierte Rationen von Reis, Zucker, Bohnen, Öl, Wurst und Kaffee zu. Zehn Eier kosten umgerechnet 25 Cent. Für eine Telefon-Flatrate muss man monatlich 50 Cent zahlen. Die Miete, so sie überhaupt anfällt, ist bei zehn Prozent des Einkommens gedeckelt. Gas und Strom sind subventioniert.

Doch trotzdem wird es immer schwieriger, mit dem vom Staat gezahlten Lohn über die Runden zu kommen. Denn seit Oktober 2004 gibt es in Kuba ein bizarres Zwei-Währungssystem, das die Gesellschaft spaltet: Die einen haben Zugang zur Touristenwährung, den Pesos convertibles (CUC). Die anderen müssen von den nationalen Pesos leben, die sie mit ihrer Arbeit beim Staat verdienen.

Kuba ist längst kein Land des Mangels mehr. Handys, Mikrowellen, Kontaktlinsen, DVD-Player und Flachbildschirme, all das gibt auf der Insel - nur nicht für alle. Die glänzenden Auslagen der CUC-Geschäfte stehen im krassen Gegensatz zu den spärlich gefüllten Regalen der staatlichen Lebensmittelläden.

Was die Doppelwährung in der Praxis bedeutet, lässt sich an Havannas größter Eisdiele Coppelia beobachten. Der Eispavillon ist bei Liebespärchen genauso beliebt wie bei Familien. Doch bevor sie sich dort einen schönen Nachmittag machen können, müssen sie warten. Mindestens eine Dreiviertelstunde stehen die Peso-Kunden Schlange, um einen Platz im Eiscafé zu bekommen. Währenddessen sind im CUC-Bereich, der ungefähr ein Drittel der Plätze ausmacht, die Stühle leer. Hier gäbe es sofort Eis, das gleiche wie im Peso-Bereich - für den 20-fachen Preis.

Lesen Sie weiter, wie durch die Touristenwährung ein neuer Beruf entstanden ist.

Ausverkauf der Revolution

Für die 43-jährige Ingenieurin Sandra gehören solche Situationen zwar zum Alltag, abfinden kann sie sich damit aber nicht: "Die zwei Währungen machen die Gesellschaft kaputt", urteilt sie. Und sie erinnert sich gerne an die 80er-Jahre, als die Pesos, die sie verdiente, noch etwas wert waren. Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit des wichtigsten Wirtschaftspartners musste die kubanische Regierung neue Wege suchen, um an hartes Geld zu kommen.

Sozialismus und Tourismus auf Kuba, Sophie und Marcel Burkhardt

Für Kubaner, die keinen Zugang zur CUC-Währung haben, sind Luxusartikel unerschwinglich.

(Foto: Foto: Marcel Burkhardt)

Tourismus hieß die Lösung und mit den Touristen kamen US-Dollars ins Land. Die Währung des Klassenfeindes war auf einmal beliebter als die eigene Währung und nicht jeder hatte Zugang zu ihr. Die Spaltung begann.

Ab 1995 bemühte sich die kubanische Regierung darum, den Dollar durch eine eigene Tourismus-Währung zu ersetzen: den CUC. Der Peso convertible ist keine internationale Währung und außerhalb Kubas völlig wertlos. Seit 2004 hat er aber, auch in Folge der Schwäche des Dollars, die US-Währung völlig ersetzt. Die gesellschaftlichen Probleme Kubas hat er nicht gelöst.

Es ist sogar ein neuer Beruf entstanden: der des Jinetero. Seit der kubanischen Wirtschaftskrise zu Beginn der 90er-Jahre muss niemand mehr in einem staatlichen Betrieb arbeiten. Wer sich anders über Wasser halten kann, soll es tun. Ingenieurin Sandra sagt: "Bei uns leben die Arbeitslosen am allerbesten. Die arbeiten alle in der Kultur."

Offiziell ist der Kontakt mit Touristen verboten

Praktisch bedeutet das: Selbst ernannte Musiker, die kaum eine Gitarre halten können, zupfen Touristenpärchen die Che-Guevara-Hymne. Frauen in bunten Kleidern und mit dicken Zigarren im Mund lassen sich vor der Kathedrale von Havanna für einen CUC fotografieren und schmücken deshalb die Bilderseiten so mancher Reiseführer.

In den Straßen flanieren ungleiche Paare: Ältere Herren aus Europa gehen Hand in Hand mit jungen Kubanerinnen in kurzen Kleidchen und Lackpumps über das Pflaster der Calle Obispo in der Altstadt Havannas.

"Gringo Lane" nennt der Jinetero Pablo, eigentlich Psychologe, diese Straße. "Der Staat verbietet den Kubanern Touristen anzusprechen", erzählt er. "Ich könnte dafür drei Tage ins Gefängnis kommen. De facto interessiert es aber keinen." Pablo zeigt Touristen die Stadt und lässt sich danach zu ein paar Mojitos einladen, für die der Kellner dann doppelt so viel verlangt wie auf der Karte steht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie tief der CUC die Gesellschaft spaltet.

Ausverkauf der Revolution

Viele Touristen zahlen gerne - auch weil sie ihr Klischee vom armen, von der Mangelwirtschaft ausgezehrten Kubaner bestätigt sehen wollen. Vor dem Revolutionsmuseum verschenkt eine Touristin ihre alte Schminke. Wie die Tauben auf altes Brot stürzen sich die Jineteras auf Lippenstifte und Lidschatten. Eine schwarze Frau reibt weißes Make-Up auf ihren Handrücken.

Sozialismus und Tourismus auf Kuba, Sophie und Marcel Burkhardt

Che allüberall: Straßenkunst in Havanna

(Foto: Foto: Marcel Burkhardt)

Ein paar Kinder in Pionieruniform kommen dazu. "Una moneda, una moneda" - sie betteln um Kleingeld, wie sie sagen für Essen. Die staatlichen Sicherheitskräfte schauen zu. Währenddessen küsst ein athletischer junger Mann auf einer Parkbank eine ältere Touristin. Er trägt ein Dolce-und-Gabbana-Glitzer-T-Shirt und teure US-Turnschuhe - an die Stelle von "Hasta la victoria siempre" ist "Nike" getreten.

Im Herzen der sozialistischen Hauptstadt können sich die Jineteros mit solchen Insignien des Kapitalismus ausstatten. Dabei müssen sie allerdings häufig draufzahlen, denn auch die staatlich angestellten Verkäufer sehen nicht ein, warum sie von 250 Pesos im Monat leben sollen. Die Geschäfte sprechen die Preise untereinander ab. Wer ein paar Nike-Schuhe will, muss den genannten Preis bezahlen, in CUC. Handeln ist unmöglich - in Kuba herrscht kein Kapitalismus.

Luxusware nur gegen CUC

Doch wer keine CUC hat, muss nicht nur auf teure Turnschuhe verzichten. Er ist auch von Teilen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens ausgeschlossen. Die schönsten Bars und Restaurants Kubas servieren nur gegen CUC. Die ersten zwei Reihen der Staatsoper sind genauso für CUC-Klienten reserviert wie die einzig pünktlichen Überlandbusse von ViaAzul. In Buchhandlungen stehen die Regale voller Che- und Fidel-Biographien. Bückware gegen CUC gibt es im Hinterzimmer. Und wer statt des kubanischen Staatsfernsehens CNN sehen möchte, kann sich eine illegale Antenne für umgerechnet zehn Euro im Monat installieren lassen - das sind zwei Drittel des Monatslohns eines Arztes.

Deshalb jagen längst nicht mehr allein die Jineteros dem CUC hinterher. Hausfrauen auf dem Land lauern Touristenbussen auf, um ihre Gästezimmer zu füllen. Schuljungs reichen ihre Schinkensemmeln, die sie aus der Schulspeisung gratis bekommen, durch den Zaun an Kioskbesitzer und kassieren dafür.

Lesen Sie weiter, warum trotz der Währungsprobleme viele Kubaner weiter an ihr Land glauben.

Ausverkauf der Revolution

Auch auf Kubas Kunstszene wirkt sich der CUC aus. Der Maler Enrique, 31, hat eine kleine Ausstellung mit modernen Halbreliefen aus Holz. Solch sperrige Kunst ist aber nur schwer zu verkaufen. "Viele meiner Kollegen haben umgestellt", sagt er und zeigt auf die andere Straßenseite, wo knallbunte Havanna-Stadtansichten und Che-Portraits verkauft werden, "Che, Che, Che, damit lassen sich schnell ein paar CUC verdienen."

Am leichtesten haben es Menschen mit Zugang zu staatlich subventionierten Grundnahrungsmitteln wie Carlos, 35. Er arbeitet in einer staatlichen Großbäckerei. Abends trägt er häufig einen großen Batzen Teig aus der Backstube, den er dann an Frauen in der Nachbarschaft verkauft. Zwei CUC bekommt er dafür, genug Geld für zwei Feierabendbier und eine Stange "Caramello" für seinen kleinen Sohn. Tagsüber verkauft Carlos altes Brot als Paniermehl: "70 Prozent des Gewinns gehen an den Staat, 30 Prozent behalte ich." Auf die Frage, ob ihn jemand kontrolliert, lacht er laut.

Dass Bäcker solche illegalen Gewinne machen können, ärgert die Ingenieurin Sandra: "Bei uns ist die gesellschaftliche Pyramide umgedreht: Ganz oben steht der, der nicht arbeitet, dann kommen Verkäufer und Bäcker - Professoren, Lehrer und Ärzte sind die Deppen." Nur wenige junge Kubaner wollen deshalb heute noch Lehrer werden.

Trotzdem glaubt Sandra, wie der Arzt Jorge und viele andere Kubaner, dass der Sozialismus ein gutes System ist. Sie würden nicht mit anderen mittelamerikanischen Ländern tauschen wollen, wo Kinder statt in die Schule zu gehen, arbeiten müssen und wichtige Operationen für normale Leute unbezahlbar sind. Auch im CUC-gespaltenen Kuba gibt es keine Oberschicht, die mit dicken Mercedeslimousinen die Innenstädte durchkreuzt. Wer offiziell im Tourismus arbeitet, muss hohe Steuern zahlen, mit denen das Bildungs- und das Gesundheitssystem finanziert werden.

Gerade auf das Gesundheitssystem ist der Arzt Jorge stolz. "So gute Ärzte wie in Kuba findet man in Mittelamerika sonst kaum. Wir haben zum Beispiel eine Augenoperation gegen den Star entwickelt, da hinten auf dem 20-CUC-Schein ist ein Bild davon." Er zeigt auf den Geldschein und sagt stolz: "Ich bin ein kubanischer Arzt. Ich mache meinen Beruf aus Leidenschaft." Morgen Vormittag wird er sich wieder um seine Patienten kümmern, auch wenn er als Taxi-Fahrer ungleich viel mehr verdienen könnte.

*Alle Personen wurden anonymisiert.

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