Alltag als Zugbegleiterin:"Doof und unfähig? Da hören wir weg"

Mal wieder ist der ICE verspätet, mal wieder der Anschlusszug schon weg. Zugchefin Clara Becker erklärt im SZ.de-Interview, wie sie trotzdem schlechte Stimmung verhindert und wie sich Passagiere selbst das Reisen schwermachen.

Von Carolin Gasteiger

Clara Becker (Name von der Redaktion geändert) ist seit 2007 für die Deutsche Bahn im Fernverkehr tätig und erlebt tagtäglich unzufriedene Fahrgäste - nicht nur bei Verspätungen. Trotzdem macht ihr der Job noch Spaß: Als Zugchefin ist sie verantwortlich für alle Service-Mitarbeiter an Bord. Übrigens beschweren sich Passagiere über Verspätungen genauso oft wie über die mangelnde Sauberkeit im Zug, sagt sie.

SZ.de: Frau Becker, Sie sind seit Jahren im Fernverkehr der Deutschen Bahn unterwegs. Da gehören Verspätungen zu Ihrem Alltag. Wodurch werden diese eigentlich verschuldet?

Oft muss ein Zug auf der Fahrt stehen, weil ein anderer überholt. Das sind aber nur kurze Stopps. Schwieriger ist es da mit den Baustellen. Wir fahren, wie momentan um München herum, nach einem speziellen Baustellenfahrplan. Aber viele Fahrgäste berücksichtigen den gar nicht und machen uns dann Vorwürfe, dass wir unpünktlich wären. Aber sie sind dann eben nicht auf dem neuesten Stand.

Ab wie vielen Minuten kippt die Stimmung?

Pauschal lässt sich das schwer sagen. Auf manchen Fahrten sind die Zuggäste schon so geladen von Vorverspätungen, dass wenige weitere Minuten Verzögerung ausreichen, damit sie schimpfen. Auf anderen Strecken, zum Beispiel auf der alten Rheinstrecke, oder außerhalb der Stoßzeiten und in den Ferien bleibt die Stimmung auch bei einer Verspätung von 20 Minuten ruhig.

Welche Fahrgäste meckern besonders gern?

Pendler sind tendenziell schneller genervt als Urlauber. Auf klassischen Geschäftsstrecken wie München-Frankfurt, auf denen viele Leute im Zug sitzen, die zu Terminen müssen und täglich mit uns fahren, beschweren sich die Passagiere öfter. Auch wegen Kleinigkeiten.

Was sagen die Leute dann?

"Ist doch jeden Tag dasselbe." Zumindest empfinden sie das so. Dabei machen sie sich viele Unannehmlichkeiten selbst. Wenn vorne und hinten noch Plätze frei sind und ich das mehrmals durchsage, steigen sie trotzdem in der Mitte des Zuges ein. Sie müssten nur drei Meter laufen. Stattdessen beschweren sie sich, dass sie soviel gezahlt haben und keinen Sitzplatz bekommen. So etwas kann ich nicht mehr ernstnehmen.

Blaffen Sie auch mal zurück?

Die Verlockung dazu ist schon oft groß. Aber wenn es zu viel wird, mache ich einfach die Tür meines Abteils hinter mir zu, schaue aus dem Fenster und atme tief durch. Das hilft meistens. Oder ich scherze mit den nächsten Fahrgästen und lenke mich so ein bisschen ab.

Wie versuchen Sie, schlechte Stimmung im Zug zu verhindern?

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Beschimpfungen von Reisenden kommen vor - erfahrene Zugbegleiter hören da weg.

(Foto: ddp)

Indem ich die Informationen, die ich erhalte, so schnell wie möglich aus meinem Dienstabteil an die Reisenden durchsage. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich später noch einmal korrigieren muss: Die Leute fühlen sich informiert und freuen sich sogar, sollte es früher weitergehen als gedacht.

"Nie allein zu schwierigen Fahrgästen"

Immer wieder kommt es vor, dass Passagiere Zugbegleiter sogar angreifen. Sind Fahrgäste aggressiver als früher?

Tätliche Übergriffe passieren eher in den Regionalzügen, wo kleine Gruppen oft schon alkoholisiert mit Regionalfahrscheinen wie dem Bayernticket unterwegs zum Volksfest sind. Außerdem sind die Kollegen in den Regionalzügen teilweise alleine unterwegs. Bei uns ist das anders: Ich habe immer mindestens einen Kollegen dabei, den ich über Funk zu Hilfe rufen kann. Die Beschimpfungen allerdings, wir seien alle doof, unfähig und hätten nichts Gescheites gelernt, treffen uns alle gleichermaßen. Da hören wir weg.

Wurden Sie persönlich schon mal angegriffen?

Einmal, und das möchte ich so auch nicht wieder erleben. Ein Fahrgast hatte eine abgelaufene Bahncard dabei und ich musste ihn nachzahlen lassen. Er fing an, mich wüst zu beschimpfen und wollte mir dann Fahrschein und Bahncard aus der Hand reißen. Und nicht nur das: Plötzlich holte er mit dem Arm aus, als wollte er mich schlagen. Da bin ich aus dem Waggon gelaufen. Er wollte hinterher, musste aber erst aus seinem Fensterplatz raus. Dabei ist er zum Glück an seinem Rucksack hängengeblieben und ich konnte zu meinen Kollegen flüchten. Das war mir eine Lehre. Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, Beistand zu haben. Meine Kollegen lasse ich mit schwierigen Fahrgästen nicht allein.

Woher, meinen Sie, rührt der schlechte Ruf der Bahn?

Den Leuten fällt es leichter, ihrem Ärger Luft zu machen als positives Feedback zu geben. Man könnte sagen: Auf hundert Beschwerden kommt ein Lob. Wenn alles gut läuft, finden die Leute das klasse, kommunizieren es aber nicht. Aufgrund dieser Einseitigkeit haben wir unseren Ruf, wir seien Verbrecher und Halsabschneider.

Gibt es denn auch nette Erlebnisse mit Passagieren?

Vor einigen Jahren waren wir mit erheblicher Verspätung nach Frankfurt unterwegs. Wir konnten an der Situation leider nichts ändern und haben das den Fahrgästen dann so kommuniziert. Nach einer Stunde verteilten wir gratis alkoholfreie Getränke und unsere Kollegen vom Bordbistro bedienten auch die Fahrgäste, die draußen rauchten, als wir länger an einem Bahnhof standen. Das kam bei den Leuten gut an. Sie sahen ein, dass wir einfach nicht mehr Infos hatten. Als wir schließlich nach Frankfurt kamen, haben sich einige sogar für die schöne Fahrt bedankt. Das kommt bei einer Verspätung wirklich nicht oft vor. Und zwei Fahrgäste sind nach der gemeinsamen Wartezeit im Bordbistro sogar ein Paar geworden. Die Verspätung der Deutschen Bahn hat sie also zusammengebracht.

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