Nationalpark in Albanien:Schönheit einer vergessenen Gegend

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Bei schönem Wetter lässt es sich in den Bergen des Shebenik und der Jabllanicë (auch Jablanica) hervorragend wandern. Es gibt sogar markierte Wege. (Foto: mauritius images/Gryf/Alamy)

Der Shebenik-Jabllanicë-Nationalpark in Albanien ist besonders, hat aber ein Problem: Touristen finden hier kaum Infrastruktur. Das kann jedoch auch reizvoll sein.

Von Anja Martin

"Wo hat der Schnaps mehr als 80 Prozent? Wo ist die Landschaft karg und schroff? Wo winkt man sich zu mit der Kalaschnikow? Wo ist der Kaffee löslich, die Probleme nicht?" Das singt der deutsche Liedermacher Rainald Grebe auf seinem aktuellen Album. Und: "In Albanien. In Albanien ist alles beim Alten." So eins zu eins stimmt das natürlich nicht. Aber wenn einen der Regen am Shebenik-Jabllanicë-Gebirge im Osten Albaniens in ein Gasthaus zwingt, weil die Wege unter knietiefen Pfützen verschwinden, muss man ja über irgendwas nachdenken.

Der Nationalpark ist hinter den beschlagenen Scheiben nicht auszumachen, doch auf der Herfahrt war die Landschaft karg und schroff. Die Männer aus dem Dorf Fushë Studën trinken stundenlang Raki. Der Rauch der Zigaretten mischt sich mit dem des offenen Kamins. An der Wand hängen Kalender mit Frauen in Spitzendessous. Hinter der Theke flackern Fernsehshows. Waffen hat keiner dabei, und der Espresso ist hervorragend. Die Probleme der Leute, die von ein bisschen Landwirtschaft oder vom ausgewanderten Sohn leben, könnte vielleicht der Tourismus lösen. Doch es gehört viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass gleich eine Busladung voller Touristen durch die Tür spaziert. Oder auch nur Familien mit Kindern. Greifbar ist eher der Gedanke: Es bleibt alles beim Alten.

Shebenik-Jabllanicë heißt der zweitgrößte und zweitjüngste Nationalpark Albaniens an der Grenze zu Nordmazedonien. Also auf der Seite des Landes, für die sich Touristen in aller Regel nicht interessieren, weil sie keine Küste hat. Das Besucherzentrum liegt eigentlich nicht weit weg von Tirana, nur 60 Kilometer. Aber für die brauchen Reisende drei Stunden. Erst einmal geht es bis Librazhd, eine Kleinstadt mit 7000 Einwohnern. Bis hierher existieren normale Straßen für normale Autos. Danach windet sich die Fahrbahn am Rande des Nationalparks entlang. Unvermittelt endet der Belag. Die Straßenlaternen begleiten einen wie ein Versprechen noch ein Stück, doch dann wird klar, warum sich hier keiner mit Neuwagen her traut und nur noch die ausrangierten Lieferwagen aus Deutschland unterwegs sind, die die Albaner so gern aufkaufen.

Denn es folgen Staub, Steine und Schlaglöcher, die so tief sind, dass sich darin Schafe verstecken könnten. Wie genau es sich mit der nicht zu Ende gebauten Straße in den Nationalpark verhält, die den Bewohnern im Alltag helfen und zudem Touristen bringen könnte, ist schwer herauszufinden. Spekuliert wird viel. Eins ist sicher: Wer in Albanien reich werden will, tummelt sich im Bausektor. Denn konstruiert wird wie verrückt, der Nachholbedarf ist riesig - schließlich gab es im Land bis Anfang der Neunzigerjahre nur schlechte Straßen, da sowieso kein Privatmensch ein Auto haben durfte. Da geht es also um viel Geld, auch um schmutziges. Es entstehen Gebäude, die keiner braucht, und auch mal nur halbe Straßen, wo man eine ganze bräuchte.

Irgendwann erreicht man aber doch Fushë Studën auf 1330 Metern Höhe, ein kleines Dorf am Rande des Nationalparks, hinter dem sich Felder und Wiesen den Hang hinaufziehen. Dazwischen graue Minibunker, von denen der kommunistische Diktator Enver Hoxha 170 000 Stück bauen ließ. Die völlig unvermutet in Wiesen, Wäldern, Hinterhöfen und Gärten auftauchenden Beton-Halbkugeln rufen in Erinnerung, dass das 40 Jahre lang isolierte Albanien nicht ohne Grund abgeschlagen ist, und zwar in allen Bereichen. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 343 Euro. Dem Land geht es so schlecht, dass mehr Albaner im Ausland als im Inland leben. Grebe singt: "Einer muss ja Schusslicht sein." Auf den Feldern rund um das Nationalparkdorf findet sich kein Traktor, dafür Heugabeln und Heureiter. In Fushë Studën gibt es eine Moschee, Friedhöfe, eine Schule, leer stehende Häuser, in den Boden getretenen Müll und das Gasthaus mit den Raki-Trinkern.

Ein wichtiges Transportmittel sind hier wegen der schlechten Straßen immer noch Maultiere und Esel. (Foto: Anja Martin)

Einen Namen über der Tür sucht man vergebens. Die Leute sagen einfach, sie gehen zu Fatmir. Fatmir Tupi ist der Wirt. Klein, wache Augen, ruhiges Gemüt. 57 Jahre alt, kaum Falten. Er serviert außer Raki, Bier und Espresso das, was seine Frau hinten kocht: Spinat-Byrek, frisch aus dem Ofen. Fërgesë Tirane, ein Auflauf mit Paprika, Tomaten und Salzlakenkäse. Und eine Innereiensoße. Was nicht aus der Küche kommt, holt Fatmir aus dem offenen Kamin: geröstetes Brot, Lammstücke, angekokelte Knoblauchzehen.

Seit 15 Jahren betreibt er die Gaststätte, die auch Café und Bar ist, Kiosk, Fernsehzimmer und Neuigkeitenbörse. Als er begann, gab es den Nationalpark noch nicht mal. Er ist hier geboren, war nie weg, versteht es aber, wenn andere weggehen. Es gibt keine Jobs, nur das bisschen harte Landwirtschaft und im Winter viel Schnee. 30 Familien sind im Ort übrig geblieben. "Was man bräuchte, wäre Unterstützung von der Regierung", sagt Fatmir. "Aber für die ist das hier vergessenes Land." Vor allem wünscht er sich mehr Touristen, "denn die Albaner haben kein Geld und trinken höchstens einen Kaffee", meint er. Und Raki.

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Vor zwölf Jahren wurde der Nationalpark auf Initiative der deutschen Euro-Natur-Stiftung gegründet. 340 Quadratkilometer groß, mit alten Buchenwäldern und alpinen Matten, Gletscherseen, dem Balkanluchs, Wölfen und Braunbären, außerdem endemischen Pflanzenarten wie dem Balkan-Veilchen, der Albanischen Lilie und der Jabllanicë-Lichtnelke. Viel Schützenswertes. Die Natur hat sich hier so gut erhalten, weil es vor 1990 militärisches Sperrgebiet war. Der Nationalpark gehört, wie der Hainich in Deutschland, zum Unesco-Welterbe der Buchenwälder und ist Teil der Naturschutzinitiative Grünes Band Europa. Elf Ranger arbeiten im Park, die Forstwirtschaft studiert haben. Sie kümmern sich um die Natur und darum, dass die Einwohner ein Auskommen haben - und einverstanden sind.

Die Ranger veranstalten Sensibilisierungsmeetings und suchen Kompromisse. "Das größte Problem für die Menschen war, Holz für den Winter zu haben", sagt Juli Balla, der Chef der Ranger. Denn Holz schlagen ist im Nationalpark illegal. "Nun bringen wir ihnen stattdessen trockenes Holz oder Äste, die abgefallen sind." Seit dem Winter vor zwei Jahren gibt es zudem Schulungen, in denen gezeigt wird, wie Service funktioniert und wie man ein kleines Business aufbaut. Was die Sache schwierig macht: "Die jungen Leute sind längst weg, und die anderen haben nicht das Vertrauen, dass es sich lohnen wird", sagt Balla. Niemand hier spricht Englisch. Er nicht, der Wirt nicht, sein Sohn nicht. Nicht die Raki-Trinker, nicht die Kinder, nicht die Frauen mit den Kopftüchern auf den Feldern. Selbst von den Rangern können es nur zwei ein bisschen. Wie sollen sie den Touristen etwas zeigen oder erklären?

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Am nächsten Tag dann: Sonne. Nach einer Nacht im Stockbett der Blick in eine grandiose Natur, die nicht mehr fragen lässt, wozu das alles. Das Besucherzentrum neben Fatmirs Gaststätte bietet zwei Mehrbetträume ohne feste Heizung, ein Gemeinschaftsbad und eine Küchenecke mit Kaminofen. Das ist in Ordnung, aber auch bedenklich, denn es ist das beste Haus am Platz. Es soll ein Ort werden, von dem Touristen loswandern können. Ein Ort, an dem sie Guides finden und Informationen. In Zukunft. Momentan gibt es kaum gedrucktes Material. Stattdessen freiwillige Hilfsranger, die gegen ein Trinkgeld durch ihre Heimat führen. Dass überhaupt Wanderwege existieren, ist den Rangern zu verdanken, die vor vier Jahren welche markiert haben. Die Nationalparkverwaltung hat kaum Etat. Nicht einmal ein paar Lek, um eine Website zu erstellen. Man behilft sich mit Facebook und Instagram.

Auch Laurenc Tupi, 31, macht den Guide, wenn er nicht gerade seinem Vater beim Bedienen helfen muss. Er liebt diese Natur, in der er aufgewachsen ist, zeigt an diesem Morgen kurz entschlossen den Buchenwald hinterm See beim Dorf. Hier eine Blume, da ein Vogel, dort ein Strauch. Doch man merkt, dass er lieber schweigend die Natur genießt. Wie alles heißt und was es kann, lernt er im Detail gerade erst von den Rangern. Sein Abitur hat er gemacht, aber danach weder Studium noch Berufsausbildung. Dass er in seinem Dorf bleiben möchte, wusste er schnell. Was gefällt ihm? "Alles." Was soll sich ändern? "Nichts."

© SZ vom 15.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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