Afghanistan einst und heute:Klug, hart, stolz, breit, pleite und phantastisch angezogen

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So waren die Afghanen vor 35 Jahren. Heute ist das Land ein Schlachtfeld, aber der Lonely Planet widmet ihm einen zweiten Blick.

Sonja Zekri

Die Regierung versprach "faszinierende Reisen", und sie hatte nicht mal gelogen. In der Broschüre des afghanischen Tourismusministeriums aus dem Jahr 1977 räkeln sich junge Leute in Liegestühlen vor Strohhütten in Bamian; Air France und Pan Am steuern Kabul regelmäßig an, und auf Fotos sieht man eine unerhört unzerstörte Stadt, durch die der indigoblaue Fluss mäandert.

Das Land am Hindukusch war Pflicht auf dem Hippie-Trail von Europa nach Kathmandu. Tu felix, Afghanistan.

"Die Afghanen waren uns alle ein Vorbild, sie waren der Beweis, dass man klug, hart, stolz, breit, pleite und phantastisch angezogen sein konnte", schrieb Davy Tomory damals in "A Season in Heaven". Das waren die Afghanen auch für Tony Wheeler.

Auch er gehörte zu den beeindruckten Fremden und schrieb sogar einen Reiseführer über die Fahrt von Europa nach Asien, seinen ersten. Er nannte ihn "Lonely Planet".

Inzwischen sind 35 Jahre vergangen, von denen Afghanistan die meisten im Krieg verbracht hat. Der "Lonely Planet" ist für Reisende, was das Köchel-Verzeichnis für Mozartfreunde ist. Und obwohl die Gewalt das Land gerade auseinanderreißt, hat Wheeler nun eine Neuauflage seines Afghanistan-Führers herausgebracht. Geschrieben hat ihn Paul Clammer, ein ehemaliger Biologe.

Clammer hat in Pakistan als Reiseleiter gearbeitet, er verfiel Afghanistan auf seiner ersten Reise 2001 und verbrachte den Abend vor dem 11. September beim Dinner mit zwei Taliban-Ministern.

Paul Clammer ist also niemand, der eine Reise wegen eines fehlenden Moskitonetzes abbricht, aber Afghanistan im Jahr 2007 flößt ihm doch Respekt ein: "Die Gefahren sind vielfältig und allgegenwärtig: Sie reichen von Entführungen bis zu improvisierten Sprengapparaten (IED), von Selbstmordattentätern bis zu Landminen, von Krankheiten bis zu Straßenüberfällen", schreibt er.

Auf acht Seiten erörtert er, wann die Gefahr am größten ist (unterwegs, also: immer), wie man sich Informationen beschafft (aus jeder erreichbaren Quelle) und warum man niemals einen Isaf-Konvoi überholen sollte (die Soldaten fürchten Selbstmordattentäter und schießen sofort).

Manches klingt ein wenig simpel, beispielsweise die Rechnung "Risiko = Bedrohung mal Verwundbarkeit", aber dass das Buch blauäugige Backpacker verantwortungslos in die Minenfelder hetzt, kann niemand behaupten. Ganz untypisch für einen Lonely Planet ermutigt dieser Band auch gar nicht zum individuellen Abenteuer, sondern preist die organisierte, vielfach vernetzte Gruppenreise.

Ein ganzes Kapitel ist der Arbeit in Afghanistan gewidmet, für Hilfsorganisationen oder als Journalist. Das Buch hat weniger Touristen im Blick, sondern eher jene, die ohnehin im Land sind und sich fragen, was Kabul außer der Chicken Street noch zu bieten hat.

Clammers Antwort: eine Menge. Es gibt Herat mit seiner mächtigen Zitadelle und den schlanken Türmen der Freitagsmoschee, es gibt den erst vor wenigen Jahren fertig restaurierten Babur-Garten in Kabul, den grünblau funkelnden Hasrat-Ali-Schrein in Masar-i-Scharif. Das Minarett von Jam. Den aquamarinblauen See von Band-e-Amir.

Es gibt Bamian, wo die Nischen der gesprengten Buddhas stumm in das verträumte Tal zu Füßen einer pfirsichfarbenen Sandsteinklippe glotzen. Die Teppichhändler, die Ahmed Schah Massud, den Helden der Mudschahedin, auf sechzig mal achtzig knüpfen. Die Basare. Das Panschir-Tal. So atemberaubend schön und aufregend ist dieses Land, so verrückt klingen die üblichen Empfehlungen für den besten Fruchtshake und das größte Burger-Angebot, dass der Reflex groß ist, alle Warnungen in den Wind zu schlagen und sofort aufzubrechen.

Und Clammer ist ja nicht der Erste, der sich dem Post-Taliban-Afghanistan widmet. Der "Bradt Mini Guide" erschien 2003, geschrieben von der ehemaligen Caritas-Mitarbeiterin Jude Barrand und dem Journalisten Dominic Medley. Das Buch ist so groß wie eine Tafel Schokolade und damit immerhin ein Vielfaches des 16-Seiten-Flugblattes, das die beiden ursprünglich herausgaben, anfangs wurde es von Straßenkindern verkauft, die so ihre Familien über Wasser hielten.

Damals gab der Bradt-Guide wertvolle Hinweise über Hotels, Geld und das verbliebene kulturelle Angebot. Aber für ein Land wie Afghanistan sind vier Jahre eine Ewigkeit. Und so hat auch dieser Führer - wie die Tourismusbroschüre aus den Siebzigern - inzwischen Museumswert.

© SZ vom 17.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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