Ägypten erweist sich selbst beim jüngsten Machtwechsel als ein Land der zwei Welten: Die einen machen Revolution, die anderen Urlaub. Die Touristen in den Feriengebieten am Roten Meer sehen von den politischen Demonstrationen nur etwas auf den Bildschirmen ihrer Fernseher. Die Sonne scheint wie sonst und auch der Betrieb an Hotelstränden, Büfetts und Bars läuft wie gewohnt.
Ein solches Bild zeichnen nicht nur die deutschen Reiseveranstalter, sondern so beschreibt die Situation in gesetzteren Formulierungen auch das Auswärtige Amt in Berlin. Dort wurden die Reisehinweise aktualisiert. Die Diplomaten sprechen keine generelle Warnung für das nordafrikanische Land aus, sondern unterscheiden: "Reisen nach Ägypten sollten in der aktuellen Situation auf die Urlaubsgebiete am Roten Meer und die Touristenzentren in Oberägypten (Luxor, Assuan, Nilkreuzfahrten) beschränkt werden." Gegen Reisen in diese Gebiete im Transit über den Flughafen Kairo bestehen keine Bedenken. Der Airport funktioniere und sei gut gesichert, hieß es am Donnerstagnachmittag.
Allerdings warnt das Auswärtige Amt auch: "Nicht zwingend notwendige Reisen nach Kairo und Alexandria sollten vor dem Hintergrund der weiterhin volatilen Sicherheitslage aber vermieden werden." Die deutschen Staatsangehörigen dort sollten prüfen, ob ihr Aufenthalt in einer dieser beiden Städte derzeit erforderlich ist.
In den Baderegionen ist die Lage ruhig
"Von Reisen in die übrigen Landesteile wird dringend abgeraten", formuliert das Amt sehr deutlich. Dies gelte für das Nildelta, die ägyptischen Grenzgebiete zu Libyen und Israel, den Nordsinai und den Sinai mit Ausnahme der Touristenorte am Roten Meer im Küstenstreifen zwischen Scharm El-Scheich und Nuweiba. Wo möglich, sollte zwischen den genannten Gebieten nicht mit Landfahrzeugen, sondern mit dem Flugzeug gereist werden.
In den Baderegionen am Roten Meer ist die Lage ruhig, melden die Reiseleiter der Tui. "Kairo liegt mehrere Hundert Kilometer vom wichtigsten Urlaubsort für Deutsche, Hurghada, entfernt", heißt es in der Zentrale des größten deutschen Reiseveranstalters. Kairo sei in erster Linie ein Ausflugsziel - das derzeit aber aufgrund der Situation rund um den Machtwechsel nicht angeboten wird. Generell gelte: Nur einige deutsche Urlauber kombinieren einen Aufenthalt in der ägyptischen Hauptstadt mit einem Badeurlaub. "Jetzt, in den heißen Sommermonaten, wird das allerdings weniger gemacht", sagt eine Tui-Sprecherin.
Die Hauptsaison für Touristen aus Deutschland startet in Ägypten erst wieder im Herbst. "Derzeit ist Nebensaison", verweist der Reiseverband DRV darauf, dass sich nicht besonders viele Urlauber vor Ort befinden. In der Regel fänden die Reisen zu den Badeorten uneingeschränkt statt und könnten demzufolge auch nicht kostenlos storniert werden.
"Wer bucht, ist informiert"
Wer allerdings derzeit in Ägypten urlaubt oder eine Reise dorthin bucht, wisse in der Regel, worauf er sich einlässt, findet ein Sprecher von Thomas Cook, der Nummer zwei der Reiseveranstalter. Schließlich gebe es die politische Krise in Ägypten seit dem Frühjahr 2011, und außer ein paar gewaltlosen Demonstrationen in Hurghada und Scharm El-Scheich sei diese an den Urlaubsgebieten bislang vorbeigegangen. Protestiert wird vor allem in Kairo und Alexandria. "In den großen Städten haben wir gar keine Gäste." Wer jetzt am Roten Meer ist, wolle dort bleiben wie geplant und gebucht: "Es will keiner zurück."
Angesichts der seit nun mehreren Jahren umfangreichen Berichterstattung in den Medien, sei niemand wirklich überrascht von der aktuellen Entwicklung: "Wer bucht, ist informiert."
Zwar sind die Buchungszahlen seit Beginn des arabischen Frühlings um knapp ein Drittel zurückgegangen. "Aber es ist nicht so, dass kein Deutscher mehr hinfährt", sagt der Mann von Thomas Cook. Es waren im vergangenen Jahr immerhin noch 1,2 Millionen Urlauber, zählte der Verband DRV. Die bleiben nach den Russen damit zweitgrößte Gästegruppe am Nil.
Die DER Touristik mit den Marken IST, Jahn Reisen, Tjaereborg, Dertour, Meier's Weltreisen und ADAC Reisen beziffert die Anzahl ihrer Urlauber in Ägypten auf "aktuell mehrere Tausend". Ein Sprecher in Köln stellt am Tag nach dem Machtwechsel fest: "Die Gäste verbringen uneingeschränkt ihren Sommerurlaub." Der Veranstalter sagt alle Reisen nach Kairo und Ausflüge nach Kairo, Luxor und Assuan bis Ende kommender Woche ab, vorerst.
Auch die Kreuzfahrten auf dem Nil finden weiter statt. "Allerdings ist die Nachfrage stark zurückgegangen", berichtet ein DER-Sprecher. Aus Luxor und anderen Orten am Nilufer gab es zuletzt kritische Meldungen über Souvenirhändler, die sich verzweifelt und mit zunehmender Aggressivität auf die weniger gewordenen Touristen stürzen. Das Kreuzfahrtschiff Aida Diva wird kommende Woche statt in Port Said anzulegen nach Israel durchfahren. Die Urlaubsindustrie war viele Jahre eine der Devisenquellen des Landes und Garant für 2,2 Millionen Arbeitsplätze in Ägypten. Deren Zukunft ist jetzt wieder ungewiss.
Vermehrt Car-Jacking und Handtaschenraub
Aus dem südlichen Badeort Marsa Alam am Roten Meer wird von Engpässen bei der Versorgung mit Benzin, insbesondere Dieselkraftstoff, berichtet. Bisher offenbar ohne gravierende Folgen für Touristen. Transfers und Ausflüge fanden wie geplant statt, heißt es bei DER. Engpässe gebe es zudem bei der Stromversorgung, bestätigen die Diplomaten. Die könnten im Sommer nur der Anfang sein: "Bereits jetzt kommt es landesweit regelmäßig zu kurzfristigen minuten- oder stundenweisen Stromabschaltungen, die sich mit steigenden Temperaturen verlängern könnten."
Nicht besonders einladend für Urlaubsreisende klingt auch folgender aktueller Reisehinweis des Auswärtigen Amtes: "Vor dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen und sozialen Situation weiter Teile der Bevölkerung ist in den letzten Monaten ein genereller Anstieg der Allgemeinkriminalität zu beobachten."
Gemeint sind Banküberfälle, räuberische Attacken auf Autofahrer mit dem Ziel, das Fahrzeug zu entwenden ("Car-Jacking") und Handtaschenraub, "vereinzelt auch mit Waffengewalt". Es gebe zudem vermehrt Beschwerden von Reisenden, deren Gepäckstücke am Flughafen Kairo geplündert worden beziehungsweise ganz abhandengekommen seien.