Ägypten: Alexandria:Schätze im Verborgenen

Im Hafen von Alexandria liegen Ruinen versunkener Tempel und Paläste nur wenige Meter unter der Wasseroberfläche. Und auch an Land findet man den Glanz vergangener Epochen.

Margit Kohl

Im trüben dunklen Wasser lassen sich ihre Gesichtszüge lange Zeit nur erahnen. Wenn man sich ihr nähert, erscheint es beinahe so, als blicke man gespannt auf ein Fotopapier, das noch im Entwicklungsbad liegt. Nur langsam zeichnen sich ihre Konturen immer schärfer ab: erst Augen, dann Nase, dann Mund.

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(Foto: AP)

Und plötzlich ist unter Wasser das sanft lächelnde Gesicht einer Sphinx zu erkennen.

Ashraf Sabri steht am Hafenbecken von Alexandria und schaut hinaus aufs Meer, als er von den Begegnungen mit der Sphinx erzählt. Schon als Neunjähriger hat er sich mit Freunden einen Spaß daraus gemacht, vom Boot ins Wasser zu springen. "Im Hafenbecken sind es an manchen Stellen nur fünf Meter bis zum Meeresgrund, und jeder wollte der Sphinx als Erster an die Nasenspitze fassen." Dass sie dabei jedes Mal jahrtausendalte Geschichte berührten, war für die Kinder damals ohne jede Bedeutung.

Mehr als 40 Jahre sind inzwischen vergangen, und Ashraf Sabri ist noch heute lieber unter als über Wasser unterwegs. Der ausgebildete Tauchmediziner hatte 15 Jahre lang ein Tauchzentrum in Nizza besessen, als er durch eine Fernsehsendung von der Entdeckung antiker Königspaläste vor der Küste Alexandrias erfuhr. Sabri erkannte sofort die faszinierenden Möglichkeiten, die sich an diesem geschichtsträchtigen Ort für Taucher boten.

Er kehrte zurück in seine Geburtsstadt und eröffnete direkt am Osthafen die Tauchschule "Alexandra Dive". Obwohl Teile des Unterwasserareals militärisches Sperrgebiet sind, habe er durch gute Kontakte zum Militär - sein Vater war Kommandant bei der ägyptischen Marine - die Erlaubnis, im Hafenbecken mit Touristen zu tauchen, sagt Sabri.

Die offizelle ägyptische Kammer für Tauch- und Wassersport, die Chamber of Diving and Watersports (CDWS), sieht das allerdings anders und führt Sabris Tauchschule auf der schwarzen Liste, weil sie ohne behördliche Genehmigung der CDWS agiere.

Versunkene Paläste

Ruinen versunkener Tempel und Paläste in nur etwa zehn Metern Tiefe, und das direkt im Hafenbecken. Die müsste man doch eigentlich auch ohne zu tauchen schon vom Boot aus sehen können. Sabri lacht. "Da unten vernebelt es einem manchmal ganz schön die Sicht." Alexandria liegt schließlich im Nildelta, und da gibt es ein weit verzweigtes Netz von Kanälen, die Schlamm ins Meer spülen. Immerhin seien aber einige Abwasserkanäle, die direkt ins Hafenbecken führten, geschlossen worden, und die Sicht unter Wasser liege jetzt wieder bei mindestens fünf Metern, sagt Sabri.

A PAINTED MARBLE HEAD OF A PTOLEMAIC QUEEN STANDS ON DISPLAY AT THE BRITISH MUSEUM IN LONDON

Marmorstatuen aus dem Hafenbecken von Alexandria im British Museum in London

(Foto: REUTERS)

Nicht gerade prächtige Aussichten für Taucher. Doch der geschäftstüchtige Alexandriner hat aus dem vermeintlichen Nachteil gleich eine clevere Idee entwickelt: "Mistery Dive", Überraschungstauchen nennt er das, wenn man erst im letzten Moment erkennen kann, ob man gerade einem Oktopus oder einer Sphinx ins Auge schaut.

Ein Franzose als Schatzsucher

Alexandrias Unterwasserfunde machten weltweit Schlagzeilen, als Franck Goddio 1996 einige der versunkenen Schätze medienwirksam ans Tageslicht holte. Der Franzose gilt in Archäologenkreisen als Autodidakt, als Schatzsucher, der sich gerne von den großen Dramen der Geschichte faszinieren lässt. Bis heute ist er fest davon überzeugt, im Hafen von Alexandria den versunkenen Palast Kleopatras gefunden zu haben, was renommierte Archäologen bezweifeln. Ein Palast ja, doch der von Kleopatra?

Indes schwelgt Goddio gerne in Worten darüber, wie er der Historie Leben einhaucht: "Die Geister der Liebenden suchen wohl noch heute diese untergegangenen Orte auf", schreibt er im Katalog der Ausstellung "Ägyptens versunkene Schätze" über Kleopatra und Marcus Antonius. Liebe, Macht und Untergang - sensationeller kann ein Historienstoff kaum sein, wenn Menschen nun berühren dürfen, was zuletzt nur Weltherrscher berührten.

Nicht alles wird geborgen

Nachdem in den vergangenen 18 Jahren allerdings vom kleinsten Amulett bis zur Monumentalstatue etwa 5000 Objekte ans Tageslicht geschafft wurden, kann man davon ausgehen, dass die interessantesten Funde, vor allem kleine, vor Räubern nicht sichere Objekte, inzwischen geborgen sind. Die ägyptische Altertümerverwaltung hat ohnedies beschlossen, dass der Rest des antiken Alexandria unter Wasser bleiben soll. Anstatt alle Stücke aus dem Meer zu holen, plant man die versunkene Stadt auch nicht tauchenden Gästen in einem Unterwassermuseum zugänglich machen.

Ein Glücksfall für Archäologen

Bis es so weit ist, werden wohl weiter Sabris Gäste Erfahrungsberichte im Internet austauschen und sich über schlechte Sicht und schlechte Ausrüstung beklagen. Bedenken, über den archäologischen Stätten zu tauchen, hat Sabri nicht: "Etwa eine halbe Tonne wiegt das leichteste Stück, das man jetzt noch finden kann. So was schafft keiner alleine weg. Schon gar nicht bei den geschätzten Bergungskosten von einer Million US-Dollar."

Da leuchtet einem schnell ein, warum die ägyptischen Behörden die Bergungsarbeiten nicht alleine bewerkstelligen konnten und Goddios Team ins Spiel kam. Der ehemalige Finanzberater entwirft Businessmodelle, um Entwicklungsländern bei der Erforschung von Unterwasserfunden zu helfen, indem er Geld bei Stiftungen wie der liechtensteinischen Hilti-Foundation auftreibt. Die Funde bleiben zwar Eigentum des ägyptischen Staates, die Vermarktungsrechte haben sich aber Goddios Leute gesichert, um Ägyptens versunkene Schätze erst einmal auf Welttournee zu schicken. Kommendes Frühjahr nun sollen die spektakulären Unterwasserfunde zum ersten Mal wieder in Alexandria zu sehen sein.

An Land ist vieles verloren

Für Archäologen sind die Paläste der Ptolemäer, die vor 1200 Jahren bei einem Erdbeben im Meer versunken sind, ein Glücksfall. Denn an Land ist in Alexandria vieles unwiederbringlich verloren. Viele Gebäude wurden über die Jahrhunderte hinweg in mehreren Schichten übereinander gebaut und können oft nur bei Notgrabungen auf Neubaustellen erforscht werden.

So liegen viele interessante Plätze Alexandrias im Dunkeln, zum Beispiel die unterirdische Stadt der Toten, Kom El-Shoqafa. Die Entdeckung dieser Katakomben mit ihrem weitverzweigten, dreistöckigen Höhlensystem war purer Zufall, als ein Esel durch die Decke gebrochen und 20Meter in die Tiefe gestürzt war.

Straßennetz mit rechten Winkeln

Eine Modellstadt mit einem gerasterten Straßennetz, das größtenteils bis heute noch idealtypisch im rechten Winkel verläuft, sollte Alexandria schon zur Zeit seiner Gründung durch Alexander den Großen werden. So war bereits 331 v.Chr. eine frühe Megacity entstanden, deren Reichtum und Wohlstand sich im Lauf der Zeit auch in der Architektur und den vielen Einwanderern zeigte. Wohlhabende Griechen und Syro-

Libanesen, kunstbegabte Italiener, abenteuerlustige Engländer und Juden, die im Baumwollhandel zu Geld gekommen waren, fanden hier eine neue Heimat. Als Handels- und Hafenstadt war die Metropole am Mittelmeer einst das Tor zur Welt und durch ihren Leuchtturm weltberühmt geworden.

Europäischste unter den arabischen Großstädten

Zahlreiche Mythen ranken sich um das siebte Weltwunder der Antike, das als technisches Meisterwerk seiner Zeit galt. Durch ein Erdbeben stürzte es Ende des 14.Jahrhunderts ins Meer. Im Schatten der Festung Kait Bay, die später auf seinen Fundamenten errichtet worden war, wurden inzwischen unter Wasser mehr als 2000 große Steinblöcke gefunden, die man dem einstigen Weltwunder zuschreibt.

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(Foto: Egypt2010)

Alexandria gilt noch immer als europäischste unter den arabischen Großstädten, auch wenn inzwischen längst die Orientierung zur islamischen Welt überwiegt. Heute lebt die Stadt allenfalls noch von der Erinnerung an ihre großartige Vergangenheit.

Auf der Corniche, der Uferpromenade, die den alten Hafen der Antike im weiten, 20 Kilometer langen Bogen umzieht, breiten sich Hochhäuser von benidormschen Ausmaßen aus und verrotten alte Villen aus kolonialer Zeit. Die Bausubstanz ist längst marode von jahrzehntelanger Vernachlässigung, die Fassaden sind zerfressen und schrundig vom salzigen Meeresklima.

Morbider Charme

Alexandria war in den vergangenen Jahren eine der am schnellsten wachsenden Städte des Landes. Mehr als 40 Prozent der ägyptischen Industrie sind hier angesiedelt, und es leben bereits mehr als sechs Millionen Menschen im Großraum der Metropole.

Doch man gewöhnt sich an den morbiden Charme der Stadt. Auch an das Gebäude der neuen, 2002 eröffneten Bibliothek, das aussieht wie ein achtlos auf die Uferpromenade hingeworfener, riesiger Computerchip. Schließlich soll es ja mal ein Wissensspeicher mit Platz für acht Millionen Bücher werden.

Doch wie will die Bibliothek heute an ihre legendäre, antike Vorgängerin anknüpfen und wieder zu einem Ort der Geisteswissenschaft werden, wenn Geistesfreiheit in Ägypten kein geschütztes Gut ist? Islamistische Eiferer haben längst einen Zensurapparat entwickelt, der zeitweise die Märchen aus Tausendundeiner Nacht und sogar Geschichten des ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus auf den Index gesetzt hat.

Schönheit im Verborgenen

Der Exodus der Europäer setzte allerdings schon in den 1960er Jahren ein, als Präsident Gamal Abdel Nasser die Großbetriebe verstaatlichen und ausländisches Eigentum konfiszieren ließ. Das Klagelied über die längst verlorene glorreiche Epoche hat Tradition bei vielen Schriftstellern. Die Atmosphäre, die Lawrence Durrell und zahlreiche seiner Kollegen inspiriert hatte, ist heute allenfalls in manch abgelegenen Seitengassen und angestaubten Cafés zu finden.

Doch am Mythos des Ortes kann die Realität wenig rütteln, denn die eigentliche Schönheit Alexandrias liegt ohne Zweifel im Verborgenen. Wie hat Ashraf Sabri über seine Tauchgänge gesagt: Man müsse oft erst Wolken aus Sand und Sedimente passieren, bis man darunter die versunkene Stadt mit ihren zauberhaften Palästen und Sphingen sehen könne.

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