Adventszeit:German Gemütlichkeit

Christkindlmärkte gelten als ureigen deutsch und beflügeln den Städtetourismus.

Hans Gasser

Zunächst hatte es das Christkind nicht leicht in Chicago. Denn eigentlich durfte es wegen der strikten Laizität der amerikanischen Verfassung gar nicht auftreten in seiner Funktion als Allegorie für Christi Geburt. Und auch der Glühwein durfte auf öffentlichen Plätzen nicht ausgeschenkt werden - dagegen steht das ebenso strikte Alkoholverbot im Freien.

Doch wenn in diesem Jahr bereits zum zehnten Mal auf der Daley Plaza im Schatten der Hochhäuser der "Chicago Christkindlmarket" eröffnet wird, ist alles ganz so wie in Nürnberg.

Die eigens eingeflogene "Weihnachtsfee", wie das Nürnberger Christkind dort politisch korrekt heißt, wird den berühmten Prolog sprechen. Auch der Bürgermeister wird da sein, und der Glühwein wird in Strömen fließen - dank bürgermeisterlicher Sondergenehmigung.

Als einigermaßen genaues Abbild des Nürnberger Christkindlesmarktes, nur etwas kleiner, hat der Chicagoer Markt bereits 1,3 Millionen Besucher. Und jedes Jahr werden es mehr. Veranstalter ist die deutsch-amerikanische Handelskammer, und in den meisten der rot-weiß bedachten Holzbuden verkaufen Franken, Sachsen und Thüringer den US-Großstädtern Lebkuchen als "ginger bread cookies", außerdem "cuckoo clocks" oder "Christmas Stollen".

Platz eins für die Japaner

Das Nürnberger Original profitiert von alledem. Die amerikanischen Besucher würden mit jedem Jahr zahlreicher, sagt Michael Weber, Fremdenverkehrsdirektor von Nürnberg. Sie streiten mit den Italienern um Platz zwei unter den ausländischen Marktbesuchern.

Platz eins wird nach wie vor von den Japanern gehalten. "Die 45 namhaftesten japanischen Reiseveranstalter haben uns im Programm", sagt Weber, "damit sind wir Marktführer". Der Dezember ist wegen des Christkindlesmarktes der stärkste Monat im Jahr. 170.000 Übernachtungen zählt man da in Nürnberg, davon fast ein Drittel aus dem Ausland. Und auch in Dresden lässt der Striezelmarkt, ältester seiner Art, den Dezember mit 240 000 Übernachtungen zur Hauptsaison werden. Dort sind nach Japanern und Amerikanern die Schweizer die größte Gästegruppe.

Auf der in vielen Sprachen abrufbaren Internet-Seite der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) erscheint der Weihnachtsmarkt-Button an prominenter Stelle, direkt unter jenem der Fußball-WM. Ein ganz wichtiges Marketing-Thema, sagt eine DZT-Sprecherin, sogar aus Österreich und der Schweiz kämen viele Besucher, der Weihnachtsmarkt würde als etwas ureigen Deutsches angesehen. Allerdings lasse sich kaum messen, wieviele Touristen extra deswegen anreisen.

German Gemütlichkeit

An die 2500 Weihnachts- und Christkindlmärkte soll es in Deutschland geben, der Umsatz beläuft sich auf rund fünf Milliarden Euro. Nach einer vom Bundesverband der deutschen Schausteller und Marktkaufleute 2002 herausgegebenen Studie besuchen die meisten Befragten drei verschiedene Weihnachtsmärkte und geben dort im Schnitt 30 Euro aus. Branchenkenner schätzen, dass das in den vergangenen Jahren durchaus noch zugenommen hat.

Der Weihnachtsmarktfan und Internetberater Klaus Schultheis zählt jedenfalls auf seinem den Weihnachtsmärkten gewidmeten Internetportal jährlich 20 Prozent mehr Zugriffe. In diesem Jahr rechnet er mit fünf Millionen Zugriffen und einer Million Besuchen, also ausführlicheren Lesern der Beschreibungen von insgesamt 1300 Weihnachtsmärkten in Deutschland und der ganzen Welt.

Austauschbare Produkte

Dabei kritisierten seine Leser immer wieder die Nivellierung der meisten Märkte, so Schultheis. "Die Produkte sind austauschbar. Es gibt etwa einen großen Hersteller, der fast alle Märkte mit tönernen Räucherhäuschen beliefert." Die Kunden seien auf der Suche nach besonderem. Deswegen hat Schultheis auf seiner Seite extra "romantische" und Burgweihnachtsmärkte herausgestellt. Die würden kaum industriell gefertigte Produkte kaufen und sich steigender Gästezahlen erfreuen.

Während Deutschland schon weitgehend gesättigt ist mit Bethmännchen, Stollen und pappsüßem Glühwein, bieten sich der "German Gemütlichkeit" anderswo auf der Welt noch Entwicklungschancen. Das hat die Frankfurter Tourismus und Kongress GmbH schon vor Jahren erkannt. Seit 1997 erobert der Veranstalter des riesigen Frankfurter Weihnachtsmarktes nach und nach britisches Kernland. Wenn es dieser Tage zwischen Manchester und Edinburgh "switch on the lights" heißt, dann werden in sechs Innenstädten Ableger des Frankfurter Marktes die Klappen ihrer Holzbuden öffnen.

Britische Ableger

Großteils wird dann Verkaufspersonal aus Ostdeutschland Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge, Nussknacker oder Kerzen verkaufen. Das Konzept gehe voll auf, sagt Kurt Stroscher, der dies für die Tourismus GmbH managt. Nicht nur, dass die deutschen Standbetreiber da oben überdurchschnittlich gute Umsätze machten, auch der "Mutter" in Frankfurt komme es zugute. Seit dem Start der Ableger habe die Zahl der britischen Besucher des Frankfurter Weihnachtsmarktes um geschätzte 30 Prozent zugenommen. Die Briten seien die drittgrößte ausländische Besuchergruppe - nach Japanern und Amerikanern.

15.000 Tassen Glühwein, so berichtet das städtische Tourismusbüro in Edinburgh, seien im vergangenen Jahr über die Theken des German Christmas Market gegangen. Und in Leeds wird der Markt als "idealer Platz zum Verschnaufen im Einkaufsstress" gepriesen.

Dagegen verwahrt sich Michael Weber, Promoter des berühmten Nürnberger Marktes gegen das Image einer reinen Fress- und Saufveranstaltung. Nur sechs von 180 Buden würden in Nürnberg Glühwein verkaufen. Nachdenklich sollte da eine Umfrage der Uni Göttingen stimmen. Auf die Frage nach dem wichtigsten Aspekt des Göttinger Weihnachtsmarktes wurde "Kulturprogramm" ganze drei mal angekreuzt, "Heißgetränke einnehmen" dagegen 412 Mal.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: