Abenteuerreisen:"Wer das Risiko kennt, ist selbst schuld"

Während die einen in Gebiete Äthiopiens reisen, vor denen das Auswärtige Amt abrät, sagen andere Urlauber aus Furcht vor neuen Demonstrationen ihre Reise nach Kairo ab. Über das unterschiedliche Sicherheitsbedürfnis von Reisenden.

Katja Schnitzler

Der Dichter Matthias Claudius hinterließ den Deutschen nicht nur das Abendlied Der Mond ist aufgegangen, sondern auch die Weisheit: "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen." Was den einen Verheißung ist, schreckt andere Urlauber ab: Während Abenteuerlustige von einsamen, durchaus gefährlichen Gebieten berichten möchten, reicht anderen die Auskunft, dass die Sonne schien und das Essen gut war.

Ägypten Kairo Wüste

Ein Abenteuerurlauber nahe Farafra in der Weißen Wüste im westlichen Ägypten.

(Foto: dpa)

Beide Ausprägungen haben Folgen, bei den Abenteurern im schlimmsten Fall wie im Grenzgebiet von Äthiopien, wo sie ihre Neugier mit ihrem Leben und ihrer Freiheit bezahlten. Das andere Extrem, die Suche nach größtmöglicher Sicherheit, wirkt sich hingegen auf die Reiseindustrie und damit auch auf die Bevölkerung eines plötzlich krisengeschüttelten Urlaubslandes aus, die auf das Geld der Touristen angewiesen ist. Diese Erfahrung machen gerade die Menschen in Tunesien und auch in Ägypten, auch noch nach dem Ende der Unruhen.

So sagten diese Woche mehrere Fluggesellschaften - darunter Air France und Austrian Airlines - ihre Flüge von und nach Kairo ab: Es gebe kaum Nachfrage, offenbar fürchten potentielle Passagiere um ihre Sicherheit. Zwar betonte ein Sprecher des Flughafens Kairo, dass am Airport selbst niemand um sein Wohlergehen besorgt sein müsse - aber die Reisenden bleiben eben nicht am Flughafen.

Grund für ihre Angst ist der "Jahrestag der Revolution des 25. Januar", der in Ägypten zum offiziellen Feiertag erklärt worden ist - und wohl zum Protesttag wird. Das Auswärtige Amt erwartet größere Demonstrationen gegen den Militärrat nahe dem Tahrir-Platz und dem Fernsehgebäude (Maspero) in Kairo und empfiehlt, "Menschenansammlungen weiträumig zu meiden".

Wer nur die offiziellen Reisewarnungen berücksichtigt und sich sonst sicher wähnt, der verpasst diesen Rat: Denn Reisewarnungen spricht das Auswärtige Amt nur sehr selten aus, während unter den Reise- und Sicherheitshinweisen für das Zielland zum Teil sehr detaillierte Warnungen für Regionen und auch einzelne Strecken zu finden sind.

Warum aber ignorieren Urlauber Gefahr für Leib und Leben und fahren trotzdem in diese Regionen? Vor der Danakil-Senke in Äthiopien warnte das Auswärtige Amt mit Sicherheitshinweisen, dennoch boten Veranstalter Reisen dorthin an. Die eigens mitgereiste bewaffnete Eskorte nutzte den Europäern im aktuellen Fall nichts.

Fahren, um sich selbst zu finden

Der Reiz, an Orte zu fahren, an die sich nicht alle wagen - und dort auch nicht auf Massen anderer Touristen zu treffen, mag ein Grund dafür sein, auch gefährlichere Ziele zu wählen. "Aber es gibt selten nur den einen Grund, in ein bestimmtes Land zu reisen", sagt Dozent Marco Richter, der an der TU Dresden im Bereich Tourismuswirtschaft mit Schwerpunkt "Reisen und Sicherheit" forscht.

Äthiopien Afar Erta Ale

Die Danakil-Wüste liegt im Nordosten Äthiopiens im sogenannten Afar-Dreieck.

(Foto: SZ-Grafik)

Zu den individuellen Motiven kämen auch kollektive Vorstellungen über das Reiseland, die oft über Jahrhunderte hinweg geprägt würden: So gilt Äthiopien seit dem Fund von "Lucy" 1974 als Wiege der Menschheit - die 3,2 Millionen Jahre alten Überreste des Australopithecus afarensis galten lange als das am besten erhaltene Skelett eines frühen Vertreters aus der Familie der Menschenaffen.

Auf jeden Fall ist Äthiopien ein Nischenreiseziel. Von den jährlich etwa 20.000 Deutschen, die in das Land reisen, sind die meisten Geschäftsleute - ein Besuch in der historischen Wiege der Menschheit spielt für sie keine Rolle. Schätzungen des Deutschen Reiseverbandes zufolge reisen nur etwa 2000 Deutsche pro Jahr als Touristen in das kulturell hochinteressante Land.

Andere wiederum reizt dort die Landschaft. "Ich fahre manchmal einfach dahin, um in dieser Weite und der herrlichen Landschaft mit den Vulkanen und Salzseen wieder zu mir selbst zu finden." So erklärt der italienisch-äthiopische Fotograf Antonio Fiorente, warum er mindestens ein Dutzend Mal beruflich und privat im sogenannten Afar-Dreieck war, in dem die Danakil-Wüste liegt.

Auch in der Region, in der die europäische Touristengruppe brutal überfallen wurde, war er zweimal unterwegs - und hatte sich offenbar sicher gefühlt: "Ich bin völlig überrascht über diesen tödlichen Angriff, so was ist noch nie vorgekommen", erklärt er. Zwar habe es in der Vergangenheit einige Zwischenfälle gegeben. Aber noch nie seien Touristen in der Region erschossen worden.

Möglich ist ein Trip in der Wüstenregion nur zwischen Oktober und Januar, in der Regenzeit würden zu viele Autos im Schlamm steckenbleiben. Tagsüber steigen die Temperaturen auf mehr als 50 Grad. Bequem und erholsam ist eine Reise in den äußersten Nordosten Äthiopiens nicht: "Da schmelzen schon mal die Reifen, deshalb muss man Begleitwagen dabei haben", sagt Fiorente, der das Abenteuer genauso liebt wie die Wüste. Er will im kommenden Monat wieder in das Gebiet fahren: "Ich habe viele Freunde dort und bin einfach ein Fan der Wüste, der Kultur der Afar und der Hitze dort."

Der äthiopische Reiseleiter Mulugeta Dubale, der seit acht Jahren mit seinem Veranstalter "Pathfinder Tour" Expeditionen in die Wüstenregion organisiert, hat hingegen nach der Attacke auf die Touristen bis auf weiteres alle Danakil-Touren abgesagt: "Das Risiko wäre jetzt einfach zu groß, wir müssen erst erfahren, was da genau passiert ist." Er fürchtet, dass sich der Zwischenfall auf den gesamten Tourismus in Äthiopien auswirkt.

"Nicht nur ein bisschen abenteuerlich"

"Die Leute wissen nicht, wie weit die Danakil von den üblichen Touristenrouten entfernt liegt", sagt er. Eine gerade in Addis Abeba angekommene deutsche Touristengruppe sei völlig verängstigt, "dabei haben sie eine Tour auf der sogenannten historischen Route gebucht", berichtet Dubale, "in Städte wie Gondar und Lalibela, die Hunderte Kilometer von der Wüste entfernt im Hochland liegen." Wie bei der verheerenden Dürre in Äthiopien in den 1980er Jahren denke die Welt, dass das ganze Land betroffen sei. "Dabei ging es damals nur um einen Teil Äthiopiens, ebenso wie heute. Ich hoffe, dass die Welt das verstehen wird." Wie wahr, sagen Kenner der Region.

Bei der Risikobewertung einer Reise tragen die Veranstalter solcher Touren eine große Verantwortung: Der Anbieter sei verpflichtet, sich über Behörden, Vertragspartner vor Ort und das Auswärtige Amt ein Gesamtbild der Lage zu machen, erläutert Rechtsanwalt Paul Degott aus Hannover, der sich auf Reiserecht spezialisiert hat. Darüber müsse er den Reisenden vor der Buchung ehrlich und vollständig aufklären - und zwar schriftlich. "Wenn ich das Risiko dann akzeptiere, bin ich selbst schuld, wenn mir etwas passiert", sagt er.

Zudem dürfe der Reiseveranstalter das Sicherheitsrisiko nicht verharmlosen. "Er kann nicht behaupten, die Reise in eine gefährliche Region sei nur ein bisschen abenteuerlich, aber im Grunde ohne Risiko", sagt der Reiserechtler. "Und er darf auch nicht signalisieren: Nur weil es zehnmal gutgegangen ist, geht es auch beim elften Mal gut."

Wer das Risiko jedoch nicht in Gegenden sucht, vor denen explizit gewarnt wird, reist heute nicht nur bequemer, sondern auch gefahrloser als früher. "Eigentlich war Reisen immer ein riskantes Unterfangen und ist erst mit dem Massentourismus sicherer geworden", sagt Uni-Dozent Richter. Allerdings habe auch die Faszination an der Fremde "unter der weltweiten Standardisierung und kulturellen Homogenisierung gelitten".

Ein Restrisiko bleibt

Um das persönliche Risiko zu reduzieren, ist eines wichtig: Information, und zwar schon vor der Abreise. Sei es über gesundheitliche Aspekte wie Impfungen oder Malariaschutz und auch über ein Verhalten, das Kultur und Sitten im Gastland entspricht: Wer in einem islamisch geprägten Land mit knapper Bekleidung provoziert, reist gefährlicher. Doch ein Restrisiko gebe es immer, so Richter: "Sogar in unserer nach Sicherheit strebenden Gesellschaft werden wir keine hundertprozentige Sicherheit erreichen - auch nicht beim Reisen." Und manchmal könne es in Europa gefährlicher sein als in vielen Gegenden von Äthiopien, "selbst wenn unsere Wahrnehmung etwas anderes sagt".

Die jährlich erscheinende Studie "RiskMap 2012" stufte das Risiko in Äthiopien bislang nicht allzu hoch ein: Die Unternehmensberatung für Risikomanagement, Control Risk, untersucht jährlich die Sicherheit für Geschäftsreisende und bewertet dafür Faktoren wie Diebstähle, Entführungen und bewaffnete Überfälle sowie die Gefahr von Terroranschlägen. Demnach wäre eine Reise in weiten Teilen Äthiopiens genauso riskant wie auf Malta oder in Kroatien, die in eine mittlere Gefährdungsstufe eingruppiert wurden, während Deutschland nur ein geringes Risiko für Reisende berge. Nur genau in der Grenzregion Äthiopien-Eritrea ging das Unternehmen von einer hohen Gefährdung aus.

Da waren die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes detaillierter - und leider auch zutreffender.

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