8. Station: Strandgang auf der Isla Robinson Crusoe:Insel der Wenigen

Ein Streifzug über die Isla Robinson Crusoe, deren Bewohner heute von der Erinnerung an den Gestrandeten leben.

Klaus Podak

Valparaíso und den südamerikanischen Kontinent hinter sich zu lassen, stramm westwärts zu fahren, das bedeutet für den Weltreisenden, endlich ganz, ganz lange in der Weite des Pazifiks zu verschwinden - Seetage lang ohne Land in Sicht. Ein Abenteuer hatte begonnen. Zum Abenteuer gehört ein Gefühl von Unsicherheit, dem man sich mit Lust, voller Erwartungen ausgeliefert hat. Der auf seinem Schiff rundum verwöhnte Passagier sieht auf einmal mehr, hört mehr. Alles wird zum Zeichen, das gedeutet werden muss. Schaumkronen, lange Dünung, Wolkenwechsel, Wasserfarbenveränderungen - alles spricht in einer fremden Sprache. Und doch ist das alles schön, dieses Ungewisse.

Für einige Passagiere war in Valparaíso Endstation der Weltreise.

Für einige Passagiere war in Valparaíso Endstation der Weltreise.

(Foto: Foto: Chile Tourismus)

Natürlich ist das ein Spiel. Aber ein unvermeidliches. Alle an Bord spielen mit in der Gemeinschaft der Abenteurer. Mal sorgenvoll, wenn kleine Regenvorhänge plötzlich in weiter Ferne vorüberziehen. Mal mutig das Fernglas vor Augen, wenn das Licht undeutlich Ereignisse in den Wassern vorspiegelt. Es ist auch deshalb ein Spiel, weil unser Schiff MS Deutschland ein sehr modernes, ein ganz sicher gebautes ist. Wir vertrauen unserem Kapitän, der sich unter die Leute mischt, der sich aufs Scherzen versteht - und doch den zuverlässigen Eindruck von Ernsthaftigkeit nie vermissen lässt.

Ingwer bestellen, vorsichtshalber!

Aber dieser, sich jetzt über dem Stillen Ozean ausbreitende Hauch von Abenteuer ist genau das, was wir mit unserer Bordkarte zugleich miterwerben wollten. Wir wären enttäuscht, wenn das bewegte Weltmeer nicht manchmal das Schiff ins Schwanken brächte, so dass sich einige Mitreisende mit Seekrankheitstabletten versorgen. Stolz sagen wir: "Wir brauchen das noch nicht." Und tauschen Tipps aus. Ingwer soll gut sein. Doch wo gibt es jetzt Ingwer? Die Schiffsküche hat welchen. Wir ordern Ingwer, vorsichtshalber.

In Valparaíso war wieder eine Teilreise, ein Stückchen dieser Weltreise zu Ende. Viele gingen von Bord, mussten aufhören, flogen zurück in winterkalte Heimaten. Genüsslich wurden von den Weiterfahrern jeden Tag die heimischen Temperaturen und die zur Zeit in Deutschland herrschenden Schneeverhältnisse kolportiert. Was konnten sie uns schon anhaben, hier, im Sommer der Südhalbkugel.

Noch drei Monate sind es bis nach Venedig. "Die Welt", schrieb der Philosoph Wittgenstein, "ist alles, was der Fall ist." Doch philosophischer Hintersinn ist den Abenteurern gar nicht so wichtig. Wir wollen das ganz Andere, das Überraschende, das nie Gesehene. Und wir sind zuversichtlich, dass wir es bekommen werden.

Das liegt auch an der Routenplanung. Welches Kreuzfahrtschiff kann sich schon rühmen, auf dem Weg in die Südsee hintereinander die Isla Robinson Crusoe, die Osterinsel und Pitcairn, das Inselchen, auf dem die Meuterer von der Bounty Zuflucht vor der britischen Admiralität fanden, auf einer Reise um die Welt angesteuert zu haben. Genau das ist uns aber versprochen worden.

Insel der Wenigen

Robinsons unsichere Schiffspassage

8. Station: Strandgang auf der Isla Robinson Crusoe: Isla Robinson Crusoe - ein guter Platz zum Stranden?

Isla Robinson Crusoe - ein guter Platz zum Stranden?

(Foto: Foto: Chile Tourismus)

Neue Amerikaner sind in Valparaíso an Bord gekommen. Sie gehören zu einer "Pitcairn Island Study Group". Es sind leidenschaftliche Sammler der begehrten Briefmarken Pitcairns. Diese Philatelisten wissen alles über die Insel. Schon vor einem Jahr wollten sie, vom selben Schiff aus, den ihnen teuren Boden des Eilands betreten, scheiterten aber, das Ziel schon vor Augen, am wilden Seegang, der ein Rübertendern auf die Insel verhinderte. Auch diesmal könnte ihnen (und uns) ein gleiches Missgeschick widerfahren. Fragt man den Kapitän, ob wir erfolgreich sein werden, wackelt er bedenklich mit dem Kopf: mal sehen. Sicher ist nichts. Wir wollten es ja nicht anders.

Zuerst aber zur Isla Robinson Crusoe, 376 Seemeilen vom Festland entfernt, das sind rund 692Kilometer durch den Pazifik. Seinen anderen Namen, Stiller Ozean, verleugnet er diesmal nicht. Friedlich lässt er unser Schiff gewähren, als es sich langsam der Insel nähert. Eigentlich nur ein Inselchen, 47Quadratkilometer groß, eine andere Beschreibung erhöht auf 93Quadratkilometer. Wir tendern rüber. Geheiligter, felsiger, unwohnlicher, unwirtlicher Boden liegt vor uns, geheiligt durch ein Buch, das 1719/20 in drei Bänden erschienen ist: der Roman "Robinson Crusoe". Den Roman-Namen trägt die Insel erst seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Vorher war sie zusammen mit zwei kleineren Nachbarinseln unter dem Namen Juan Fernández bekannt.

Der neue Name soll Literatur-Touristen anlocken. Aber das funktioniert noch nicht so richtig. Eine Touristenmeile mit schicken Hotels und fein asphaltierter Straße gibt es hier nicht. Karg, aber im Sonnenlicht fröhlich sieht hier alles aus - und wirkt gerade deshalb glaubwürdig. Hier hat zwei Jahre lang der schottische Matrose Alexander Selkirk völlig allein gehaust, der sich nach einem Streit mit dem Kapitän seines Schiffs auf dem Felsbrocken aussetzen ließ. Er war Robinson. Nach seiner Rettung erzählte er in England seine Geschichte - und Daniel Defoe schrieb den Roman, der Denken und Selbstbewusstsein der europäischen Kultur veränderte. Und eine spannende Geschichte ist auch dabei herausgekommen. Robinson ist der Mensch, der, völlig auf sich allein gestellt, die Zivilisation neu erfindet. Fast jedes Kind in Europa hat sich irgendwann einmal in die Situation Selkirk-Robinsons hineingeträumt, war eine Zeitlang selbst Robinson: allein auf der Welt, verlassen und glücklich.

Ein Foto von Robinson Crusoe

Die Bewohner der Insel scheinen zu ahnen, was Tourismus künftig für ihre Existenz bedeuten könnte. Hölzerne Schilder weisen uns den Weg zu den Selkirk-Stätten. Vor einem dieser Schilder hat sich der pfiffigste der Insulaner aufgebaut, verkleidet exakt nach dem Vorbild einer alten Illustration des Romans: ein Fell übergeworfen, eine Art Strohhut auf dem Kopf, beschützt von einem Schirm aus verdorrten Pflanzenblättern. "Hier steht der echte Robinson mit seiner kleine Ziege. Ein Foto ein Dollar", schreit er in einem lustig akzentuierten Deutsch. Wir Passagiere knipsen.

In einer knappen Stunde hat Robinson, der gegenwärtige, wahrscheinlich den Vierteljahresverdienst eines Insulaners eingeheimst. Wir lassen uns unterdessen im winzigen Postamt die Ansichtskarten mit einem prächtigen Stempel verschönern, auch wenn wir die Karten dann gar nicht dort einwerfen. Wer weiß, wann wieder mal ein Schiff vorbeikommt.

Auf staubigen Wegen sinnen wir dem Schicksal des einsamen Matrosen nach. Würden wir das auch hingekriegt haben? Wahrscheinlich nicht. Unsere Bewunderung steigt. Wir machen uns auf zu der Höhle, von der aus Selkirk Ausschau nach vorüberfahrenden Schiffen hielt. Der Phantasie wachsen Flügel. Zuhause werden wir von Robinson träumen können. Zurück an Bord haben wir wieder ein Stück Welt im Kopf, historische Welt, die ohne die Reise für uns Terra incognita geblieben wäre.

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