6. Station: Endspurt!:Blindes Vertrauen

Felix Berth

(SZ vom 17.5.2001) - Dienstag, 8.30 Uhr. Halsweh. Reifen platt. Gegenwind. Regen. Gibt es etwas Blöderes kurz vor dem Start? "Hagel", sagt mein Nachbar im Feld. Danke für dieses Gespräch. Die Etappe bis zum ersten Stopp hat 35 Kilometer; bis dahin versagt bei mir sogar die "Funktionswäsche". Das Zeug soll keinen Regen durchlassen und Schweiß nach außen leiten. Die erste Versprechung der Hersteller kann ich bestätigen: Von außen geht kein Tropfen durch. Das ist auch nicht nötig, weil ich so schwitze, dass das T- Shirt aus Sonstwastex nach einer Weile klatschnass ist. Immerhin trocknet es schneller als Baumwolle.

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Regen in Bussolengo, Wind in der Po-Ebene - aber immerhin kein Hagel

(Foto: Fritz von Beust/visipix)

10 Uhr. Allmählich lässt der Regen nach. Dafür wird mein Halsweh stärker. Rosi aus der netten ADFC-Helfertruppe schüttet mir aus einem Döschen ein paar Kügelchen auf die Hand. "Nehmen", sagt sie. Ich schütte das Zeug in den Mund - ich würde jetzt alles probieren. Ein weiterer Tag im "Besenwagerl" wäre wirklich zu peinlich.

11 Uhr. Der Gegenwind in der Po-Ebene ist verdammt unangenehm. Vielleicht steige ich doch auf Joggen um. Soll ja sehr gesund sein: im Münchner Westpark eine kleine Runde drehen, dann in einen Biergarten - so ungefähr muss das Paradies aussehen. Unser Tross fährt jetzt in einer disziplinierten Zweierreihe dahin, jeder zusammengekauert hinter seinem Vordermann. Wo wir sind? Könnte Italien sein, muss aber nicht. Außer ein paar Wadeln vor einem sieht man fast nichts. Neben mir fährt ein Tandem. Franz, der hintere der beiden Männer, liegt fast auf dem Rücken seines Vordermanns. Er hat den Kopf zur Seite gelegt, als würde er irgendwem genau zuhören. "Wenn der Werner nur ein bisschen antritt, spüre ich das sofort"", sagt er. "Denn wir Blinde haben einfach mehr Gefühl in den Händen und den Füßen."

Franz, 45 Jahre alt, ist seit längerer Zeit blind. Selber Radfahren hat er als Kind noch gelernt, doch irgendwann wurde es zu riskant, weil er immer weniger erkennen konnte, wo er hinsteuerte. Seit vier Jahren fährt er zusammen mit dem 16 Jahre älteren Werner. 15000 Kilometer haben beide schon auf dem Tandem gefahren. Das Tempo hier, sagen sie, halten sie locker mit: "Wenn wir in Oberbayern unterwegs sind, fahren wir einen Schnitt von 30 bis 35." Es ist eine anrührende Szene, die beiden zu erleben - ihr stilles Verständnis, ihre zugewandte Art. "Das ist einfach blindes Vertrauen", sagt Franz und lacht. Einer, der die Freunde privat auch kennt, sagt später, dass es ihm fast die Tränen in die Augen treibt, sie auf dem Tandem zu sehen.

12 Uhr. Franz ist nicht der einzige Blinde auf dieser Tour. Beim Mittagessen in Ostiglia erzählen Ilse und Ferdinand, was ihnen das Tandemfahren bedeutet. Ilse, von Geburt an blind, ist schon als Kind auf dem Motorrad des Vaters mitgefahren. "Angst hatte ich nicht - es ist eher ein Gefühl von Freiheit, wenn einem der Wind durch die Haare bläst." Ferdinand ist schon zum dritten Mal auf dem Weg nach Cesenatico. Letztes Jahr, sagt er, war es seine Hochzeitsreise. Er hatte kurz zuvor Irene, seine Pilotin, geheiratet.

18 Uhr. Ankunft in Ferrara. Zeit für eine Bilanz des Team-Arztes. Es sei bisher gut gelaufen, findet Sören: "Sitzprobleme bis hin zum Abszess höchstens 15 Mal, eine Platzwunde, eine Bindehautentzündung, sechs Mal Rachenentzündung." Kein Vergleich zum letzten Jahr: "Da hatten wir eine Durchfall-Epidemie. Wir haben 40 Liter Infusionslösung verbraucht."

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