Watergate-Hotel in Washington:Zu Gast in Nixons Kummerkasten

Die Watergate-Affäre

Der republikanische US-Präsident Richard Nixon kündigt in der Nacht zum 9.8.1974 in einer Rundfunk- und Fernsehansprache seinen Rücktritt vom Präsidentenamt an.

(Foto: dpa)

Das Watergate-Hotel ist weltberühmt als Schauplatz einer Staatsaffäre. Nun soll das Haus wieder werden, was es vor dem Skandal war: das schickste Hotel der US-Hauptstadt.

Von Hubert Wetzel

1967 war ein wildes Jahr in Amerika. In San Francisco kifften sich Zehntausende Blumenkinder durch den "Summer of Love". In Buffalo, Newark und Detroit entlud sich die Wut der Schwarzen, deren Leben weniger blumig war, in Aufständen. Es gab Tote. Die Doors brachten ihre erste Platte heraus, in Vietnam starben in Schlachten an Orten, deren Namen daheim niemand aussprechen konnte, 11 153 amerikanische Soldaten. Und in Washington eröffnete am 30. März 1967 ein Hotel, das mit seiner geschwungenen, futuristischen Fassade aussah, als sei ein Raumschiff aus einer fernen Galaxie in Amerikas Hauptstadt gelandet: das Watergate.

Ganz falsch war dieser Eindruck nicht. Der Architekt des Watergate-Komplexes, zu dem neben dem Hotel noch ein Büro- und mehrere Apartmentgebäude gehören, war Luigi Moretti. Er stammte aus Italien und damit, zumindest was modernes Design anging, im Vergleich zum Durchschnittsamerikaner tatsächlich von einem anderen Stern. Das Watergate jedenfalls wurde rasch zum schicksten Hotel der Stadt, zum Treffpunkt der (vielen) Mächtigen und (eher wenigen) Prominenten, die sich in Washington herumtreiben.

Zu wahrem Weltruhm brachte es das Watergate freilich erst ein paar Jahre später, nach dieser Sache mit dem Einbruch. Die kurze Version der Geschichte: Einige Bekannte des republikanischen US-Präsidenten Richard Nixon wurden in der Nacht zum 17. Juni 1972 dabei erwischt, wie sie ins Hauptquartier der Demokratischen Partei einstiegen. Was zunächst wie ein unwichtiger Kriminalfall aussah, wuchs sich rasch zur Watergate-Affäre aus, die schließlich 1974 zu Nixons Rücktritt führte. Für ein Washingtoner Hotel war das vielleicht die einzig angemessene Art, einen Skandal zu produzieren: keine ermordete Gräfin, keine randalierenden Rockstars, kein spektakulärer Juwelenraub - sondern ein gestürzter Präsident.

Das neue Watergate, das im Juni dieses Jahres nach mehrjähriger Renovierung wieder eröffnet wurde, muss also mit einem schwierigen Erbe umgehen. Denn einerseits wissen die Betreiber um den unschätzbaren Werbewert des Namens. Das Watergate ist nun mal ein Ort, an dem Weltgeschichte gemacht wurde, das zieht Gäste an, auch wenn das Hotel bei näherem Hinsehen in dem Skandal allenfalls eine Nebenrolle gespielt hat. Denn das Hauptquartier der Demokraten, in das die Einbrecher eindrangen, war zwar im gleichen Gebäude wie das Hotel untergebracht, allerdings im vorderen Teil, der zur Virginia Avenue hin liegt; dieser gehört auch zum Watergate-Komplex, in ihm waren aber (und sind immer noch) nur Büros. Die Einbrecher kamen durch die Tiefgarage, ihre Helfer hatten sich auf der anderen Seite der Straße in einer etwas schäbigeren Absteige eingemietet, einer Howard Johnson's Motor Lodge. Lediglich die Anführer der Sabotageoperation, die später ebenfalls festgenommen und verurteilt wurden, stiegen tatsächlich im feinen Watergate ab.

Dadurch wurde das Hotel sozusagen zum Mittäter - eine in wirtschaftlicher Hinsicht glückliche Fügung, denn schließlich zehrt es bis heute davon, auch wenn das Management inzwischen auf die Komplizenschaft nur noch dezent und ironisch hinweist. "Aus dem Watergate-Hotel gestohlen", steht zum Beispiel auf den Bleistiften, die in den Zimmern liegen und die jeder Gast natürlich sofort klaut. Das ist völlig in Ordnung, dazu sind sie da. Aber man sollte wohl lieber nicht versuchen, einen der sehr, sehr flauschigen Watergate-Bademäntel als Souvenir mitzunehmen. Der dürfte auf der Rechnung auftauchen.

Andererseits - Skandal hin oder her - wissen die Watergate-Betreiber, dass niemand 400 bis 800 Dollar ausgibt, um in einem Hotel zu übernachten, das nicht mehr zu bieten hat als ein bisschen staubige Historie. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, so der Plan, soll das Watergate wieder werden, was es vor dem Einbruch war: das schickste Hotel in Washington.

Für Washingtoner Verhältnisse geradezu revolutionär

Dazu haben die Besitzer den israelischen Künstler Ron Arad eingekauft, der für das Hotel das gesamte Innendekor entworfen hat. Stil? Eine zeitgenössische amerikanische Interpretation eines Sechziger-Retro-Looks. Oder irgendwie so. Das funktioniert ganz gut mit dem dunklen Holz und dem bronzefarbenen Metall, das Arad zur Ausstattung der Lobby und der Zimmer verwendet hat. Das ebenfalls freigebig verbaute Chrom, die Spiegel, die wild geformten, asymmetrischen Sitzmöbel und der schwarze und rote Stoff sind dann freilich doch eher Achtziger. In Europa hätte man die Innenausstattung vermutlich etwas puristischer gehalten. Für Washingtoner Verhältnisse aber, wo der Hotelstandard immer noch dicke Teppiche, plüschigen Plüsch und poliertes Messing verlangt, ist die Einrichtung des Watergate geradezu revolutionär.

Das gilt allemal für die Bar in der Lobby, die eben nicht, wie ein einfältiger Mensch hätte denken können, "Zum fröhlichen Einbrecher" oder "Nixons letzte Runde" heißt, sondern schlicht "The Next Whisky Bar". Der Name ist ein Zitat aus einem alten Brecht-Klassiker, dem Alabama Song, den die Doors einst gecovert haben, und er stellt auch gleich klar, was man in dieser Bar vor allem zu trinken bekommt. Keine Wodka-Mixgetränke, sondern flüssigen Bernstein. Der empfängt den Bargänger schon an den schneckenförmig gewundenen Wänden, welche die Bar von der Lobby trennen. Sie bestehen aus Regalen, in denen exakt 2100 Whisky-Flaschen festgeschraubt sind, die am Abend dezent angeleuchtet werden und heimelig glühen. Man kann hier den unvermeidlichen Johnny Walker bestellen, wenn man seinen dürftigen Geschmack beweisen will. Man kann jedoch auch jede Menge schottische Single Malts probieren, vor allem aber eine beeindruckende Auswahl an einheimischen Bränden, wunderbar weichen und süßen Bourbon aus Kentucky oder Tennessee. Dazu scharfe Nüsschen. So geht der Abend in Washington gut los.

Auf diesem Niveau weiterzumachen, ist dann allerdings schwieriger. Das Watergate liegt etwas abseits der Washingtoner Attraktionen. Der Stadtteil heißt Foggy Bottom, was man mit "nebeliges Hinterteil" übersetzen könnte, und so in etwa sieht es dort auch aus. Von einem "pulsierenden" Nachtleben kann man in Washington ohnehin nicht sprechen, aber rund um das Watergate ist besonders wenig los.

Man könnte ins Hotelrestaurant gehen, das erstklassig sein soll. Aber an guten Restaurants mangelt es eigentlich nicht in Washington. Deswegen ein Ratschlag: Taxi rufen, nach Georgetown, Adams Morgan, zum Dupont Circle oder an die U Street fahren und sich dort den Bauch vollschlagen. Vielleicht sieht man ja Barack und Michelle beim Date oder jemanden aus dem Fernsehen, wie hieß der doch gleich?

Dann aber schnell zurück ins Watergate und im Aufzug auf das "R" drücken. "R" steht für "roof", also Dach, und die Dachterrasse des Hotels ist mit dem Adjektiv spektakulär wirklich nur unzureichend beschrieben. Es gibt vermutlich in ganz Washington keinen öffentlich zugänglichen Ort, von dem aus man einen so schönen Blick über die Stadt und den Potomac hat wie vom Dach des Watergate; vielleicht noch vom Washington Monument, aber da werden keine Cocktails serviert. Im Hochsommer ist es auf der Dachterrasse heiß wie in einer Bratpfanne, aber an einem milden Frühlings- oder Spätsommerabend gibt es sicher keinen besseren Platz in Washington, um ein paar Drinks und einen späten Happen zu sich zu nehmen.

In New York, einer harten Stadt, würde man sich jetzt vielleicht einen harten Martini bestellen, in dem ein, zwei Oliven zappeln. Aber Washington ist im Vergleich zu New York ein bedächtiges Südstaaten-Dorf; das Leben hier zuckelt eher dahin, als dass es voranprescht. Der passende Drink für Washington im Sommer ist ein Julep - Bourbon, Zuckersirup und Minze auf zerstoßenem Eis -, jener Cocktail, den einst auch Auric Goldfinger auf seiner Ranch in Kentucky seinem Gast James Bond angeboten hat. Als "traditional, but satisfying" bezeichnete Goldfinger in der Originalversion des Films den Julep - eine Beschreibung, die auf Washington auch ganz gut zutrifft: altmodisch, aber doch schön.

Gibt es etwas herumzumosern am neuen Watergate? Sicher. Zum Beispiel das hier: Wenn man schon 125 Millionen Dollar für die Neugestaltung eines Fünf-Sterne-Hotels ausgibt, warum findet man dann keinen Weg, um die hässlichen kleinen Kaffeemaschinen in den Zimmern zu verstecken, anstatt sie einfach auf die Schreibtische zu knallen? Und hätte man nicht ein paar Tausender abzweigen können für einen guten DJ, der ein vernünftiges, vielleicht sogar interessantes Musikkonzept entwirft, das zum Hotel und dessen Geschichte passt? Stattdessen beschallt öder Aufzugpop die Lobby.

Fragen, Probleme. Nun ja, am Abend trinkt man Juleps , am Morgen schaut man aus dem Zimmer auf den glänzenden Potomac und die Ruderer darauf. Und die hässliche Kaffeemaschine hat einen ganz passablen Maschinenkaffee gemacht.

The Watergate Hotel, Doppelzimmer ab ca. 490 Euro inkl. Steuern ohne Frühstück; Adresse: 2650 Virginia Ave NW, Washington, DC 20037, Reservierungen unter Tel.: 001/844/617 19 72, www.thewatergatehotel.com

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