Tipps für Warschau:Halten Sie die Türe auf!

Wie gut die Manieren in Warschau, der Hauptstadt Polens, sein sollten, wo die Stadt am südländischsten ist und wie man die Herzen der Polen gewinnt.

Thomas Urban

Städtereisende wollen vieles erleben, am besten aber Orte entdecken, die nicht in jedem Reiseführer oder jeder App zu finden sind. Wer könnte besser durch die Stadt führen als jemand, der dort wohnt oder zumindest eine ganze Weile gelebt hat? Süddeutsche.de hat SZ-Korrespondenten in europäischen Metropolen gebeten, "ihre" Stadt anhand eines Fragebogens zu präsentieren. Thomas Urban erklärt, wie höflich Männer in Polen wirklich sein sollten, wo man die beste Aussicht hat - und auf welche Kirche Sie nur aus der Ferne einen Blick werfen müssen, ein Besuch aber nicht lohnt.

Städtetipps für Warschau von SZ-Korrespondent Thomas Urban

Postmoderne neben sozialistischem Klassizismus: Der Kulturpalast ist das höchste Gebäude Polens.

(Foto: Andrzej Fryda - Fotolia)

Was macht Warschau als Stadt aus?

Keine andere Metropole Europas hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten einen so gewaltigen Modernisierungsschub erlebt. Mitten im Zentrum sind zwei Dutzend postmoderne Hochhäuser entstanden, darunter Projekte der Stararchitekten Daniel Libeskind und Norman Foster. Sie haben das gesamte Panorama völlig verändert. Die Wirtschaft brummt, die Kunstszene pulsiert.

Was unterscheidet Warschau von anderen Städten?

Auf den ersten Blick wenig. Auf den zweiten Blick aber fallen die vielen Steinkreuze und Gedenktafeln an den prachtvoll renovierten Fassaden auf. Sie zeugen von der schlimmsten Zeit in der Geschichte Warschaus: Nach dem Warschauer Aufstand zerstörten die deutschen Besatzer die Stadt. Die gesamte Altstadt, das Königsschloss, die Kirchen, Theater und Bibliotheken wurden neu aufgebaut. Oft orientierten sich die Architekten dabei an den Bildern, die der berühmte Italiener Canaletto in Warschau gemalt hatte, denn auch die meisten Baupläne waren vernichtet worden. Für die heutigen Warschauer scheint dies auf den ersten Blick ferne Geschichte zu sein. Wenn man jedoch auf Zwischentöne achtet, stellt man fest, dass dieser Einschnitt sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Pflichtprogramm für die Deutschen: Das Museum des Warschauer Aufstandes im Spätsommer 1944, nicht zu verwechseln mit dem Ghetto-Aufstand im Frühjahr 1943, an den das durch Willy Brandts Kniefall berühmt gewordene Mahnmal erinnert.

Diese Sehenswürdigkeit dürfen Sie nicht verpassen:

Den Kulturpalast, einen Wolkenkratzer im Zuckerbäckerstil der Stalinzeit, der die Innenstadt dominiert. Unbedingt zu empfehlen ist der Spaziergang über den historischen Königsweg (Trakt Krolewski) mit seinen Stadtpalais, Straßencafés und schicken Geschäften.

Was ist noch sehenswerter - doch nur wenige Urlauber wissen davon?

Die supermoderne, öko-begrünte Universitätsbibliothek mit den Cafés im Atrium und der Aussichtsplattform, die den Blick sowohl Richtung Altstadt als auch in Richtung Weichsel erlaubt.

Welches Viertel sollte man unbedingt besuchen?

Die Neustadt (Nowe Miasto), die zwar auch schon alt ist, aber so heißt, weil sie hinter der noch älteren Altstadt liegt. Und auf der rechten Seite der Weichsel die Żąbkowska-Straße in Alt-Praga (Stara Praga) mit den in alten Hinterhöfen versteckten Clubs, Cafés, Kneipen und Galerien.

Den schönsten Blick hat man ...

... vom Café in der obersten Etage des Hotels Intercontinental.

Das können Sie sich sparen:

Die Kathedrale der göttlichen Vorsehung am Südrand der Stadt. Mit ihrer dem Petersdom nachempfundenen Kuppel soll sie die fünftgrößte Kirche Europas werden. Nur: Sie ist ein gigantischer Rohbau, anderthalb Jahrzehnte dauern schon die Arbeiten. Ein Ende ist nicht abzusehen, denn die Gläubigen wollen nicht für den Bau spenden. In Warschau besucht nur noch jeder Vierte regelmäßig die Sonntagsmesse.

Transport, Essen und Trinken

Hier finden Sie Thomas Urbans Empfehlungen für Essen und Trinken, für den kleinen Imbiss zwischendurch und für Ihren Weg durch die Stadt.

Städtetipps für Warschau von SZ-Korrespondent Thomas Urban, Old Town of Warsaw

Die zerstörte Altstadt von Warschau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut.

(Foto: dpa)

So kommen Sie durch die Stadt:

Mit der U-Bahn - wenn auch nur manchmal, denn es gibt nur eine Linie, die parallel zur Weichsel von Norden nach Süden führt. Dafür ist es die sauberste Metro Europas. Das Straßenbahnnetz ist sehr gut ausgebaut, mit übersichtlichem Streckenplan im Internet und Suchfunktion auch auf Englisch.

Damit sollten Sie unbedingt fahren:

Mit dem Taxi über die Siekierkowski-Brücke von Ost nach West, mit Blick auf die Wolkenkratzer-Skyline über der Weichsel. Den Blick kann man zwar nur ein paar Sekunden genießen, da das Taxi auf der Brücke nicht anhalten darf. Aber wenn man auf dem Rückweg einen Schwenk zum Stadtteil Wilanow macht, trotz allem einen Blick auf den Rohbau der Kathedrale der göttlichen Vorsehung wirft und das Schloss Wilanow besucht, so hat sich diese Runde gelohnt. Vorher Preis aushandeln!

Steigen Sie bloß nicht ...

... in ein Taxi, ohne vorher erfragt zu haben, wieviel es kosten wird. Vom Flughafen bis zum Zentrum sollten es tagsüber nicht mehr als 40 Zloty sein (rund zehn Euro). Noch billiger aber ist der Bus zum Zentralbahnhof: 3,60 Zloty (90 Cent).

Wenn Sie hungrig sind, probieren Sie auf jeden Fall:

Żurek (Z mit Punkt ausgesprochen wie J in Journal), eine leicht saure Suppe auf der Basis von Mehl mit Wursteinlage und einem gekochten Ei. Bei Hitze Chlodnik, ein rosafarbenes kaltes Gemisch aus saurer Sahne und dem Saft der Roten Beete, mit Dill und Ei (die polnische Version des Gazpacho). Außerdem alle Arten von Pierogi (polnische Piroggen sind eine Art größere Ravioli, gefüllt mit Kartoffeln und Quark oder Pilzen und Sauerkraut oder Hackfleich und Zwiebeln oder Kirschen oder, oder, oder...). Ob salzig oder süß: Serviert werden sie mit saurer Sahne.

Das schönste Café:

"In den Dämpfen des Absurden" (W Oparach Absurdu), eine angesagte Bohème-Kneipe in Alt-Praga.

Das beste Restaurant:

Das Polnische Haus (Dom Polski), elegant mit sehr schönem Wintergarten und traditioneller polnischer Küche auf der Französischen Straße, die im Sommer mit ihren Straßencafés sehr südländisch wirkt. Es ist nur ein paar Schritte vom neuen Nationalstadion entfernt, das in den Nationalfarben Weiß-Rot gehalten ist.

Der Imbiss für unterwegs:

Kabanos, die leckere Wurst für unterwegs, ist leicht salzig und passt zum guten polnischen Bier. Denn Polen ist ja längst vom Wodka- zum Bierland geworden.

Nachtleben und Kniggefragen

Wo Sie den Abend in Warschau beginnen, wie es weitergeht - und wem gegenüber Sie besonders höflich sein sollten.

Altstadt von Warschau

Dieser Satz hilft Besuchern in Warschau fast immer weiter: "Do you speak English?" Vor allem wenn sie bekennen: "Kocham Polskę!" ("Ich liebe Polen!")

(Foto: Getty Images)

Typisch für das Nachtleben in Warschau:

Man geht gern schick aus, es gibt viele junge elegante und selbstbewusste Frauen in Gesellschaft anderer junger eleganter und selbstbewusster Frauen ohne Herrenbegleitung. Sie legen großen Wert auf traditionelle Umgangsformen, wie zum Beispiel: der Dame die Tür aufhalten und den Stuhl zurechtrücken, aufstehen, wenn sie aufsteht und ihr beim Weggehen in den Mantel helfen.

Hier beginnt der Abend:

Przekąski Zakąski (ausgesprochen: Pschekonski, Sakonski - "Vorspeisen und Häppchen") auf der Ossolinskich-Straße 7, nicht teuer, im Stil der zwanziger Jahre gehalten.

Dann ziehen Sie weiter zum ...

Opera Club im Gebäude des Großen Theaters (Teatr Wielki), der Nationaloper, die für den Klassik-Fan ein Muss ist: Sie verfügt nicht nur über ein frisches, junges Ensemble, sondern auch über die breiteste und tiefste Bühne Europas, die immer wieder der Schauplatz gewagter Inszenierungen ist.

Hier wollen alle rein:

In den Platinium Club ein paar Schritte neben der Nationaloper.

Dabei ist es hier viel besser:

Im Tygmont Jazz Club auf der Mazowiecka-Straße, in der es noch fast ein Dutzend anderer Clubs gibt, also der ideale Ort für das Nachtleben in Warschau.

Mit diesem Satz kommen Sie überall zurecht:

"Do you speak English?" Noch besser: "Kocham Polskę!" ("Ich liebe Polen!" - gemeint ist mit dieser grammatikalischen Form das Land, nicht deren männliche Bewohner.)

Darüber spricht man in Warschau:

Die Parkplatznot, die Verkehrsstaus und die raffinierten Radarfallen überall dort im Stadtgebiet, wo es gerade keine Staus gibt.

Vorsicht, Fettnäpfchen:

Ruppigkeit gegenüber Damen, Pöbeln, deutsche Besserwisserei, Belehrungen über Antisemitismus (möchte man bestimmt nicht von Deutschen hören) sollte man unbedingt vermeiden. Ebenfalls kaum zu unterbieten: Polenwitze.

Näheres zum Autor der Warschau-Tipps, Thomas Urban:

Thomas Urban, geboren 1954 in Leipzig, studierte Romanistik, Slawistik und osteuropäische Geschichte in Köln mit Auslandssemestern in Tours, Kiew und Moskau. Nach einem ersten Berufseinstieg als Russischlehrer am Bundessprachenamt kam er über die Henri-Nannen-Schule sowie die Presseagenturen AP und dpa zur Süddeutschen Zeitung, für die er seit 1988 aus Osteuropa berichtet. Auch ist er Verfasser von zwei Büchern über russische Literaten und hat fünf Werke über die deutsch-polnischen Beziehungen verfasst, zuletzt angesichts der bevorstehenden Fußball-EM über die wechselvolle gemeinsame Fußballgeschichte "Schwarze Adler, Weiße Adler - Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik". Seine Eltern stammen aus Breslau, dort lernte er auch seine polnische Ehefrau Ewa kennen.

Die bereits erschienenen Städtetipps finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: