Rügen:Ufo in den Dünen

Binz auf Rügen ist bekannt für seine hübsch renovierte Bäderarchitektur. Dabei sind in den letzten Jahrhunderten ringsherum viel staunenswertere Gebäude entstanden.

Katharina Matzig

Es war schon eine bizarre Idee von Fürst Wilhelm Malte zu Putbus, einen Badeort mitten im Landesinneren zu bauen. Dabei besitzt Rügen, die größte deutsche Insel, mit ihrer Fläche von 926 Quadratkilometern eine Küstengesamtlänge von immerhin 574 Kilometern, die von zahlreichen Meeresbuchten, Bodden oder Wieken sowie vorspringenden Halbinseln und Landzungen stark zergliedert wird.

Putbus jedoch, Fürst Wilhelm Maltes Stadtgründung, liegt zwei Kilometer von der Bodden- und etwa zehn Kilometer von der Ostseeküste entfernt.

Kein Wunder, dass schon zu seinen Lebzeiten kaum Badegäste kamen. Und nicht einmal der Besuch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. konnte daran etwas ändern. 1846 ließ er sich so ankündigen: "Ich komme Ihnen wieder mit einer kleinen Völkerwanderung über den Hals, da Sie, lieber Fürst, nun das Unglück haben, den schönsten Teil der Insel zu bewohnen und das Unglück gehabt haben, daraus ein irdisches Paradies zu machen".

Selbst die fürstliche Anweisung, die 16 zwischen 1828 und 1845 erbauten klassizistischen Gebäude, die einen Circus mit Obelisk in der Mitte rahmen, das Theater, Hotels, eine Schule, das Badehaus und den Musikpavillon, Bäckerladen und Handwerkerwohnungen "einmal im Jahr zu weißen und auf den Bürgersteigen Rosenstöcke zu pflanzen", hielt den Niedergang des wahrscheinlich ungewöhnlichsten Badeortes Deutschlands nicht auf - wirtschaftlich war das ehrgeizige Projekt "in den Sand gesetzt".

Dabei kannte der Fürst sich durchaus aus am Strand: 1830 bereits ließ er im ebenfalls gut zehn Kilometer entfernten Binz an der Ostküste der Insel Badehütten am breiten, feinsandigen und brandungsschwachen Strand erbauen.

1876 wurde dann das erste Hotel in dem ehemaligen Fischerdorf eröffnet, 1888 gründeten vier Berliner Millionäre die "Actiengesellschaft Ostseebad Binz". Sie bauten damals direkt am Meer ein Kurhaus, die Promenade, die Seebrücke und Pensionen.

Erstaunlicherweise verstand jedoch auch die Aktiengesellschaft nicht zu wirtschaften, sie meldete 1891 Konkurs an. Binz jedoch hatte damals schon dem bis dahin erfolgreicheren Ostseebad Sassnitz den Rang abgelaufen und ist auch heute noch das größte Seebad auf Rügen. Vor allem aber besitzt der Ort die besterhaltenen historischen Bauten aus der damaligen Zeit.

Ebenso wie die Anlage von Putbus sind die Binzer Beispiele der sogenannten Bäderarchitektur inzwischen hübsch herausgeputzt. Einen eigenen Architekturstil allerdings besitzen die schmucken Häuser nicht. Viel eher bedienen sich die Fassaden der Villen, die sich die Promenade entlangziehen, aller damals bekannten Moden der Baukunst. Luftig wirken die Pensionen, die "Villa Glückspilz" heißen, "Baltik", "Sirene" oder "Haus Heiderose".

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Ufo in den Dünen

Feinziselierte Veranden aus Holz oder Gusseisen legen sich vor die zum Großteil pastellfarbigen Gebäude, die mal eher an Jugendstilbauten, mal an Schweizer Chalets oder an Sauerländer Fachwerkhäuser erinnern. Erlaubt war, was gefiel, solange es das Gemüt der Gäste sonnig stimmte.

Erst 1960 rissen Pioniereinheiten der NVA das Schloss zu Putbus ab, als das Dach undicht geworden war. Nur in ganz heißen Sommern, so wird behauptet, lässt sich zwischen Fürst-Malte-Denkmal und Schwanenteich noch der Grundriss als gelbbraune Linie auf dem Rasen erkennen. Vier Jahre dauerte der Abriss, man hatte es nicht eilig. Und weit auch nicht: Die Soldaten kamen aus Prora, das nördlich an Binz angrenzt.

Auch Prora sollte ein Erholungsort werden, direkt am Meer. Ein Ort für 20.000 Besucher pro Woche war hier geplant, mehr als 3000 Gäste sollten täglich in Empfang genommen werden. Der Kölner Architekt Clemens Klotz zeichnete verantwortlich für den Entwurf dieses gigantischen Projekts der Nationalsozialisten: 4,5 Kilometer lang sollte die Anlage für den totalen Urlaub sein, mittig um einen Festplatz gruppiert.

Fünf abgeschlossene Museen in Prora

Die sechsgeschossige Bebauung mit dampferähnlich ins Wasser stoßenden Gemeinschaftsräumen zog sich symmetrisch an der Küste entlang mit zwei Wellenbädern, eigenem Bahnhof und unzähligen Zweibettzimmern in acht jeweils 450 Meter langen Bettenhäusern. 1936 wurde der Grundstein gelegt, 1939 kamen die Bauarbeiten zum Erliegen, bis dahin wurden fünf der Blöcke fertiggestellt.

Heute wird nur ein verschwindend geringer Teil der selbst in ihrer Unvollkommenheit beängstigenden, heruntergekommenen Anlage genutzt, etwa als sehenswert lehrreiche Dokumentationsstätte, in der seit 2004 die Ausstellung "MACHTUrlaub" die bauliche und ideologische Historie Proras anschaulich erklärt.

Oder als skurrile Kultur-Kunststatt Prora auf 5000 Quadratmetern Fläche, in der neben einem "Wiener Kaffeehaus" fünf in sich abgeschlossene Museen sind. Ein NVA-Museum etwa, ein Rügen-Museum oder die Motorradwelt DDR. Auch ein Modell des gesamten Entwurfs und ein original eingerichtetes Zimmer des nie bezogenen "Kraft-durch-Freude Bades der Zwanzigtausend" sind zu besichtigen.

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Ufo in den Dünen

Seit 1994 ist Prora zum Baudenkmal erklärt und somit vor dem Totalabriss geschützt. Die Probleme allerdings wurden damit nicht gelöst: Das zeitweilig als Lazarett umgewidmete, von Sowjetarmisten bewohnte, von der NVA als Kaserne genutzte Mahnmal für den mörderischen Größenwahn der Nazis, ist immer wieder Experimentierfeld in Architektenworkshops und Spielwiese schillernder Investorenträume, die bislang allerdings alle mehr oder weniger im Sand verliefen.

Eine halbe Stunde etwa dauert der Fußweg am Strand entlang vom südlichen Ende Proras bis zur Binzer Seebrücke. Nur wenige Meter weiter scheint ein Ufo mitten am Strand gelandet zu sein, das über eine Stahltreppe fest verankert vor dem Meer liegt.

Doch auch diese staunenswerte Architektur wurde auf Rügen erdacht: Als hätten ihn die zahllosen Muscheln im Sand inspiriert, suchte der 1934 in Binz geborene und dort 2007 gestorbene Architekt Ulrich Müther sein Leben lang, Behausungen zu entwickeln, die nur eine dünne Schale vom Außenraum trennt.

Baumeister mit Rügener Wurzeln

Mehr als 50 Betonkuppeln hat er gebaut, den zum Wahrzeichen gewordenen "Teepott" etwa in Warnemünde, das Zeiss-Planetarium in Wolfsburg, wofür übrigens im Gegenzug Volkswagen 10.000 VW Golf in die DDR lieferte, oder eben die futuristische, ehemalige Rettungsstation aus dem Jahr 1968 am Binzer Strand, in der inzwischen geheiratet werden kann.

Ebenso wie die Planungen für Putbus und Prora ist sie heute jedoch vor allem ein Manifest, das belegt, dass man auch auf Sand bauen kann, wenn nur der Geist flexibel ist.

Das muss sich wohl auch Moritz Lau-Engehausen gedacht haben, als er vor einigen Jahren ein Grundstück direkt am Rondell der Binzer Seebrücke gegenüber dem Kurhaus zugesprochen bekam.

Als Architekt, Betreiber und Investor bebaute er das Eck mit einem Hotel, das seit seiner Eröffnung im vergangenen Sommer zwischen all den umgebenden Stilen charmant zu vermitteln weiß: Es wirkt mit seiner dem Klassizismus eines Schinkel entlehnten Architektursprache so elegant und zeitlos, wie Malte von Putbus sich sein Dorf wünschte.

Im vorwiegend schwarz gehaltenen Inneren ist es so modern wie Ulrich Müthers Konstruktionen, in seiner atmosphärisch kühlen Zurückhaltung so funktional, wie Clemens Klotz in Prora plante. Die vielen luxuriösen Details im Cerês-Hotel, etwa die Edelstahlstreifen an den Innenwänden und die Filzbespannung im Aufzug künden vom gleichen verschwenderischen Selbstbewusstsein wie die üppigen Veranden an der Promenade. Einen zeitgemäßeren Ort inmitten der Inselhistorie direkt am Strand kann man auf Rügen nicht finden.

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