Religiöse Bilderverehrung:Blut, Tränen, Leid

Religiöse Bilderverehrung: Die Kreuztragung Christi von Gregorio Fernández und Pedro de la Cuadra (Christus) aus dem Museo Nacional de Escultura in Valladolid hat in der Ausstellung "Spaniens Goldene Zeit" in der Kunsthalle einen eigenen Raum.

Die Kreuztragung Christi von Gregorio Fernández und Pedro de la Cuadra (Christus) aus dem Museo Nacional de Escultura in Valladolid hat in der Ausstellung "Spaniens Goldene Zeit" in der Kunsthalle einen eigenen Raum.

(Foto: Stefan Heigl)

Drastisch stellten die Spanier die biblische Geschichte dar. Die Werke sollten im Sinne des Konzils von Trient der Glaubensvermittlung dienen. Die Spanier gaben noch Theatralik dazu.

Von Johanna Pfund

Grimmig blickend zerrt der Knecht an dem Strick, der Jesus um den Hals gelegt ist. Diese lebensgroße Skulpturengruppe beeindruckt bei der Schau in der Kunsthalle, doch sie ist mehr als ein Ausstellungsstück. Pünktlich zur Karwoche muss sie zurück sein in der spanischen Stadt Valladolid. Auch 400 Jahre nach ihrer Entstehung wird sie dort Jahr für Jahr in einer der stundenlangen, die ganze Stadt in Bann haltenden Prozessionen von der Bruderschaft der Sagrada Pasión de Cristo durch die Straßen getragen und damit zu einer sichtbaren und nachfühlbaren Erzählung des Leidens Christi. Genau das war schon im 17. Jahrhundert der Zweck solcher Skulpturen. Es war die spanische Antwort auf die Reformation.

Der deutsche Theologe Martin Luther hatte 1517 mit seinem Ruf nach einer Neuausrichtung der katholischen Kirche einen Sturm entfesselt. In seinen 95 Thesen hatte er den exzessiven Ablasshandel, teure Kirchenbauten und den Lebenswandel des Klerus kritisiert und damit viele Anhänger gefunden. In der Folge war die protestantische Bewegung nicht mehr aufzuhalten, Fürstentümer und Geistliche spalteten sich von der katholischen Kirche ab, während diese versuchte, ihren Stand zu wahren. Im Konzil von Trient (1545-1563) rang sich die Kirche über zwei Jahrzehnte hinweg einen neuen Kanon, neue Glaubenssätze, ab. Unter anderem erhielt die Bilder- und Reliquienverehrung eine klare Rolle.

Denn dass Luther die Bibel in die Volkssprache übersetzte, lehnte die katholische Kirche ab. "Das Argument gegen die Übersetzung war, dass die Bibel für die Gläubigen ein Buch mit sieben Siegeln und deshalb viel zu schwer zu deuten sei", sagt Mariano Delgado, Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog an der Theologischen Fakultät an der Universität Freiburg in der Schweiz. Der Klerus wollte sich die Deutungshoheit reservieren und in Predigten und in Bildern dem Volk die Lehre von Christus nahebringen. So wurde festgelegt, dass die Reliquien- und Bilderverehrung in der Verbreitung der kirchlichen Lehre weiter einen festen Platz haben sollten. Das Verbot der Bibelübersetzung aber setzte die Kirche erbarmungslos um. Wer anderer Meinung war, musste mit der Inquisition rechnen. Bartolomé de Carranza, Erzbischof von Toledo und Teilnehmer des Konzils von Trient, hatte versucht, sich für die Übersetzung der vier Evangelien und der Briefe des Apostels Paulus in die Volkssprache einzusetzen. Das rief die Inquisition auf den Plan, die ihn protestantischer Umtriebe verdächtigte. 18 lange Jahre verbrachte Carranza in Gefangenschaft, 1576 starb er in Rom, nur wenige Tage nach seiner Freilassung.

Währenddessen fand die Kirche in Spanien zu ihrer ganz eigenen Form der Bildersprache. "Der spanische Katholizismus war im Zeitalter der Reformation anders orientiert", sagt Mariano Delgado. Zwar hätten die Spanier das aufgegriffen, was das Konzil von Trient verfügt hatte: Die Reliquien- und Bilderverehrung sollte die kirchliche Verkündigung unterstützen. Vorausgesetzt, die Darstellungen hielten sich an die Worte der Bibel und zeigten nichts Profanes oder Unsittliches. Doch die Spanier kombinierten das mit einer Theatralik, die bereits in den Jahrzehnten vorher in der Glaubensvermittlung eine wichtige Rolle gespielt hatte. Die Kultur des katholischen Barocks ist "offen geblieben für das Himmlische", sagt Delgado. Prozessionen und Mysterienverehrung, unterstützt von Schriften wie der Mystikerin Teresa von Ávila, die schon vor der Reformation einen großen Anklang gefunden hatte, erhielten nach dem Konzil neuen Aufschwung. Malerei und Bildhauerei sollten das Ihre dazu beitragen, das Himmlische sichtbar zu machen und das Wort Gottes zu verkündigen.

Einfach gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Malern - die die Skulpturen fassen, also bemalen durften - und Bildhauern allerdings nicht. Wem gebührte die Ehre für das Werk? Wer hatte größeren Anteil daran und somit das Anrecht auf das größere Honorar? Gerade die selbstbewussten Bildhauer in Sevilla und Valladolid forderten dabei die Maler oft heraus, erzählt Delgado. Doch für beide Gattungen galt dieselbe Maxime: "Die Werke sollten im Sinne des Konzils von Trient so produziert werden, dass sie zur Andacht führten, und sie mussten den biblischen Inhalt darstellen", sagt Delgado. Dabei flehten die Künstler bei der Arbeit auch um göttlichen Beistand - damit ihre Werke auch wirklich der Andacht würdig seien, wie Manuel Arias Martínez in seinem Beitrag im Ausstellungskatalog berichtet.

Es veränderten sich auch die Darstellungen der Geburt Jesu. In der Zeit vor dem Konzil etwa zierte allerlei Zubehör die Krippe. In den Werken von Bartolomé Esteban Murillo, Diego Velásquez oder Francisco de Zurbarán hingegen geht alles Licht vom Kind aus. "Der Rest wird dann darum komponiert. Vom Glanz des Kindes profitieren alle, die sich zu ihm hinbeugen, am meisten Maria", sagt Delgado. Das ist die schöne Seite des Lebens Jesu, das sind die schönen, leicht zugänglichen Bilder.

Lebensecht wirken die Wunden, im Gesicht glitzern Glasperlen wie echte Tränen

Drastisch hingegen sind die Darstellungen vom Leiden Jesu - in der Kreuzweggruppe aus Valladolid ebenso wie in anderen Skulpturen und Gemälden. Jesus am Kreuz erhält lebensecht wirkende Wunden, das Blut quillt aus den Wunden, die Tränen werden oft mit Glasperlen dargestellt, die im Gesicht glitzern wie echte Tränen. Teils verwendeten die Künstler echtes Haar, um den Grad des Realismus zu steigern. Die Malerei stand der Bildhauerei in puncto Realismus nicht nach. "Der heilige Franziskus von Assisi nach der Vision von Papst Nikolaus V." von Zurbarán wirkt fast wie eine Fotografie. Die Augen nach oben gerichtet, die Hände in den Ärmeln verborgen, wirkt Franziskus völlig entrückt. Die schlichte Kutte, das Spiel mit Licht und Schatten vor einem vollständig dunklem Hintergrund faszinieren mit einer gewissen Strenge. Die Knoten der Schnur weisen auf die Gelübde des Mönches hin. Kein weiterer Mensch, kein weiteres Objekt stört Franziskus. Es scheint, als hätte Franziskus just in diesem Moment seine Erleuchtung. Wie sehr die Malerei mit Plastizität arbeitete, zeigt auch ein Bild von Jesus am Kreuz, das Velásquez gemalt hat und das dreidimensional wirkt. Das Ziel, realitätsnahe Bilder zu schaffen, war somit durchaus erfüllt.

"Die Bilder sind ein Instrument", sagt Delgado. "Man meinte damit das Volk besser evangelisieren zu können." Wesentlich besser, als mit einer Übersetzung der Bibel in die Volkssprache. So blieb die katholische Kultur gerade in Spanien eine "Kultur des Sehens" wie es Delgado ausdrückt. Das sinnliche Erleben der Bibelgeschichten wurde in drastischen Darstellungen zelebriert. Und das führte zu einer kirchlich geförderten Blüte der Kunst, die Betrachter heute noch in den Bann zieht.

Mariano Delgado, "Das Spanische Jahrhundert (1492-1659), WBG, Darmstadt 2016; Michael Eissenhauer, Bernd Wolfgang Lindemann und Roger Diederen (Hg.), "Spaniens Goldene Zeit. Die Ära Velásquez in Malerei und Skulptur", Hirmer, München 2016

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