Tourismus auf See:Müssen Kreuzfahrtschiffe größer sein als der Eiffelturm?

Harmony of the Seas

Die Harmony of the Seas bei einer Testfahrt vor Saint-Nazaire im März.

(Foto: AFP)

Die Branche bringt ständig neue Kolosse auf den hart umkämpften Markt. Fragt sich, ob die Urlauber das überhaupt wollen.

Von Christian Döbber

Bei Royal Caribbean mögen sie Superlative. Ihr neuestes Flottenmitglied etwa bewirbt die amerikanische Reederei auf ihrer Internetseite so: "Wussten Sie, dass die Harmony of the Seas größer ist als der Eiffelturm?" Wenn das Kreuzfahrtschiff - 361 Meter lang, 66,5 Meter breit und mit Platz für knapp 5500 Passagiere - im Mai erstmals in See sticht, wird es weltweit das größte sein. Mit an Bord: ein Amphitheater, ein Surf-Simulator und ein Park mit 12 000 echten Bäumen und Pflanzen. Durch den Panamakanal passt der Koloss nicht. Dafür - auch darauf ist die Reederei stolz - werden die Cocktails an der "Bionic Bar" von Robotern gemixt.

Schiffe wie die Harmony of the Seas sind stahlgewordener Ausdruck des Kreuzfahrt-Booms. Sie zeigen, dass die Branche auch nach Jahren immer neuer Passagier-Rekorde noch an Wachstum glaubt. Für 2016 erwartet der internationale Kreuzfahrtverband Clia weltweit 24 Millionen Passagiere; das sind knapp zwei Millionen mehr als noch vor zwei Jahren. 1980 verbrachten gerade einmal 1,4 Millionen Menschen ihren Urlaub auf See. Damals galten Kreuzfahrten als altbacken und elitär, die Reisepreise waren astronomisch hoch. Heute sind Kreuzfahrten kein Nischen- sondern ein Massenprodukt. Allein in diesem Jahr werden laut Clia 27 neue Fluss-, Hochsee- und Spezialkreuzfahrtschiffe, etwa für Expeditionsreisen in die Antarktis, in Dienst gestellt.

Wer sich von der Konkurrenz nicht abhebt, ist austauschbar - und geht unter

Der Ausbau der Flotten führt dazu, dass der Kreuzfahrtmarkt hart umkämpft wird. Dadurch sinken die Reisepreise - "oft sogar so weit, dass Reedereien damit die operativen Kosten nicht mehr abdecken können", sagt Professor Alexis Papathanassis, der an der Hochschule Bremerhaven das Geschäft mit Kreuzfahrten erforscht. Eine einwöchige Mittelmeerpassage mit Vollverpflegung kostet oft nur wenige Hundert Euro. Für die Branche würden deshalb jene Einnahmen immer wichtiger, welche durch Leistungen erzielt werden, die nicht im Reisepreis inbegriffen sind - etwa Bar- und Casino-Besuche oder Landausflüge.

Auf dem Markt bestehen kann langfristig wohl nur, wer beides schafft: neue Kunden rekrutieren und das Stammpublikum, die sogenannten "Repeater", bei Laune halten. Dazu müssten sich die Reedereien ständig neue Konzepte einfallen lassen, sagt Papathanassis.

Das Ergebnis sind Kreuzfahrten für bestimmte Zielgruppen: Familien, Singles, Schwule und Lesben oder Heavy-Metal-Fans. Andere Reedereien versuchen sich durch ihr Unterhaltungsangebot abzugrenzen und wetteifern um die längste Rutsche oder die größte Eislaufbahn auf See. "Differenzierung ist das Zauberwort in der Branche", sagt Papathanassis. Wer sich nicht von der Konkurrenz abhebt, ist austauschbar - und geht unter.

Die kleinen Schiffe haben einen deutlichen Vorteil

Platz oder große Shows? Was Luxus auf der Kreuzfahrt bedeutet

Nordmeer oder Karibik: Wer auf kleineren Schiffen reist, sucht oft besondere Ziele.

(Foto: Hilde Foss/dpa)

Der Logik des Massenkreuzfahrtmarktes weitgehend entziehen können sich Reedereien, die auf sogenannte "kleine Kreuzfahrtschiffe" setzen. Darunter versteht die Branche Schiffe, deren Kapazität deutlich unter 1350 Passagieren liegt - das ist momentan der Durchschnitt bei Kreuzfahrtschiffen. Die kleinen Schiffe haben einen deutlichen Vorteil: Die Atmosphäre an Bord ist meist intimer, der Service persönlicher. Spektakuläre Shows und Pool-Animation sucht man vergeblich, dafür sind die Routen meist ausgefallen. Das Ziel ist hier nicht das Schiff, das Ziel sind unbekannte Fjorde, verschlafene Inseln in der Karibik und Ägäis oder menschenleere Flecken in Grönland und der Antarktis. So zum Beispiel auf den Expeditionsschiffen von Hapag Lloyd, auf der Bremen oder Hanseatic mit 155 beziehungsweise 175 Passagieren an Bord, mit einem Schiff der Hurtigruten oder einem mehrmastigen Großsegler der Reederei Star Clippers.

Solche exklusiven Seereisen im kleinen Kreis haben ihren Preis. Laut dem Kreuzfahrtportal Dreamlines ist ein Urlaub auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff durchschnittlich 64 Prozent teurer als auf einem Schiff mit mehreren tausend Kabinen. Pro Tag und Person an Bord zahlen Kunden hier schon mal 500 Euro. Bei manchen Anbietern gibt es allerdings auch günstigere Reisen. Beim Bonner Veranstalter Phoenix Reisen zum Beispiel kann man einwöchige Kreuzfahrten für unter 1000 Euro buchen.

Seine vier Hochseeschiffe sind größer als die Dampfer der exklusiven Anbieter, aber verglichen mit den Schiffen anderer Reedereien immer noch klein. Die MS Albatros ist mit 830 Passagieren unterwegs, die MS Amadea hat Platz für 600 Gäste. Mit den Preisen der Massenanbieter könne man zwar nicht mithalten, sagt Michael Schulze, bei Phoenix Reisen zuständig für Kreuzfahrten. Das ist aber auch gar nicht das Ziel des Bonner Unternehmens. "Uns und unseren Kunden geht es um das klassische Kreuzfahrterlebnis. Mit der Gigantomanie auf hoher See können wir nichts anfangen", sagt Schulze.

Offensichtlich empfinden auch immer mehr Kreuzfahrttouristen so. Zwar entscheiden sich die meisten nach wie vor für Schiffe der größeren Kategorien, sagt Anne Hennelotter vom Kreuzfahrtportal Dreamlines. "Doch der Anteil von Buchungen auf kleinen Schiffen in unserem Portfolio ist allein im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent gewachsen." Mehr als die Hälfte der Schiffe, die Dreamlines im Angebot hat, sind kleine Kreuzfahrtschiffe - und es werden immer mehr. Weil die Branche seit Beginn des Kreuzfahrtbooms nur sehr wenige kleine Schiffe bauen ließ, sind diese heute vergleichsweise alt. Das hat vor wenigen Tagen erst die Amadea in die Schlagzeilen gebracht. Das Schiff, das als Kulisse für die ZDF-Serie "Traumschiff" dient, wurde öffentlichkeitswirksam von der Umweltschutzorganisation Nabu angeprangert: Das Modell, Baujahr 1991, verfüge über eine veraltete Abgastechnik und gehöre zu den größten Luftverpestern der Branche, kritisierte der Nabu.

Die Zurückhaltung der Reedereien bei kleinen Schiffen wandelt sich gerade, berichtet der Deutschlandchef des Verbandes Clia, Helge Grammerstorf. "Man kann aktuell beobachten, dass wieder vermehrt kleinere Schiffe neu in Dienst gestellt werden."

Wer nun in die richtige Richtung steuert, vermag Grammerstorf nicht zu sagen. Kreuzfahrtforscher Alexis Papathanassis ist sogar davon überzeugt, dass der weltweite Boom von Schiffsreisen höchstens noch bis 2020 andauern wird. Die stetig sinkenden Preise seien ein Anzeichen für Überkapazitäten und eine bevorstehende Stagnation auf dem Kreuzfahrtmarkt. Dann, so Papathanassis, könnte die Stunde der kleinen Schiffe schlagen. Ihr Vorteil: "Sie sind einfach leichter vollzubekommen und haben meist ein treues Stammpublikum." Entscheidend werde sein, ob sich die Betreiber kleiner Schiffe richtig zu vermarkten wissen.

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