Grand Hotel in Rimini:Das Haus der Träume

Seit genau einem Jahrhundert gilt es als Symbol des Sommers, als Refugium für besondere Gäste - für den neuen Besitzer ist es aber noch viel mehr.

Stefan Ulrich

"Sind Sie schon einmal in ein Mädchen verliebt gewesen?", fragt Antonio Batani, und fährt fort, ohne eine Antwort abzuwarten: "Viele waren es schon. Aber diese Liebe ist etwas Besonderes. Seit Jahrzehnten mache ich der Signora den Hof."

Leider sei seine Angebetete lange unerreichbar gewesen, sinniert der kleine, kräftige Mann im blaugrauen Anzug. Er habe sich die Dame schlicht nicht leisten können. Nun, endlich, hat er sie gekauft. Für 65 Millionen Euro. Er ist entschlossen, ihr bis an sein Lebensende treu zu bleiben.

Der 72 Jahre alte Antonio Batani ist eigentlich kein schwärmerischer Typ, und seine Herzensdame ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Stein. 100 Jahre wird sie am 3. Juli alt, und das wird die ganze adriatische Riviera um Rimini herum feiern.

Warum er sie gekauft habe, die Signora namens "Grand Hotel", die schon Federico Fellini umschwärmt und in seinem Film "Amarcord" unsterblich gemacht hat? Batani schweigt und dreht sich ein paar Tagliatelle mit Zackenbarsch-Sugo auf die Gabel. Dann meint er, ganz der tüchtige oberitalienische Geschäftsmann: "Erstens: Weil dieses Hotel in aller Welt berühmt ist. Zweitens: Weil ich auf den Touristikmessen so etwas ganz Besonderes anbieten kann. Und drittens: ..."

Batani führt die Gabel mit den Tagliatelle zum Mund, kaut, konzentriert sich. Dann nickt er seinem Chefkoch Claudio Di Bernardo zu, der ein wenig feierlich hinter ihm in dem höfischen, um diese Nachmittagsstunde menschenleeren Speisesaal verharrt. "Buono", murmelt Batani zufrieden. "Und drittens" , hebt er dann an, "drittens: Weil das Grand Hotel seit einem Jahrhundert das Symbol des Sommers ist."

Ehrfurcht und Misstrauen

Auch Batani selbst hat es spätestens mit dem Erwerb dieses legendären Fünf-Sterne-Luxus-Hauses zum Symbol gebracht. Er steht dafür, wie auch in Italien aus Tellerwäschern Multimillionäre werden können. Doch davon später.

Das Grand Hotel: Vor dem Ersten Weltkrieg wurde es von dem südamerikanischen Architekten Paolo Somazzi in einem ausschweifenden Liberty-Stil, der italienischen Jugendstil-Variante, an den damals noch relativ menschenarmen Adria-Strand geknallt. Fünf Stockwerke hoch zog er die mit steinernen Mädchenköpfen, Muscheln, Blumen und Ranken verzierte Fassade mit ihren eleganten Bogenfenstern und gusseisernen Balkonen über den Fischerhäusern empor.

Draußen luden Terrassen und nach Jasmin duftende Gärten zu Bällen und Champagner-Diners, drinnen lockte ein - für den Ort und die Zeit - märchenhafter Reichtum, der noch heute im Widerschein der erblindenden Kristallspiegel zu erkennen ist.

Lesen Sie weiter, wie das Grand Hotel zu einem touristischen Weltwunder wurde und bis heute Prominente anzieht.

Das Haus der Träume

Das Grand Hotel wurde zu einem touristischen Weltwunder, das die Adeligen aus vielen Ländern nach Rimini lockte. Es kamen die Habsburger, die Königin von Sachsen, Scheichs und Emire, ein späterer türkischer Großwesir und der Tenor Enrico Caruso - ein königlicher Sänger.

"Das Grand Hotel wirkte wie ein Leuchtturm, der Rimini erstrahlen ließ", erzählt Fabio Grassi vom Fremdenverkehrsbüro. "Unser Ort stieg zum 'Ostende Italiens' auf - zu einem der elegantesten Seebäder Europas."

Auf die Adeligen folgten die Reichen und Neureichen, die ersten Bikinis Italiens landeten hier an, und später krochen Millionen Deutsche in ihren Käfern über die Alpen, um hier für ein, zwei Wochen ihren Traum vom Süden zu leben - Wurstel con crauti inklusive.

Grassi drückt sich natürlich nicht so aus. Er erzählt zufrieden von etwa sechs Millionen Menschen, die inzwischen Jahr für Jahr an der adriatischen Riviera Urlaub machten und eine ganze Region nährten. Das alles sei irgendwie dem Grand Hotel zu verdanken.

Stein gewordener Traum eines Zuckerbäckers

Die Fischer aus Rimini aber blickten von Anfang an mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Misstrauen auf den Stein gewordenen Traum eines Zuckerbäckers. Schnell rankten sich die Legenden so üppig wie die Stukkaturen um das flamboyante Haus.

Der ägyptische König Faruk soll einmal nur mit seinem Turban bekleidet in einer Suite Hof gehalten haben, raunten die Menschen. Benito Mussolini, und das ist verbürgt, rauschte gerne mit einem Wasserflugzeug heran. Der Duce ließ für ein paar Stunden Ehefrau und Kinder in Riccione zurück, um sich seiner Geliebten Claretta Petacci im Grand Hotel zu widmen.

Die Geschichte schickte auch andere Prüfungen. 1920 verglommen bei einem Brand die prächtigen Holzkuppeln auf dem Dach. Auch der Zweite Weltkrieg zerzauste das Jugendstil-Haus. Nach jedem Tod aber erlebte das Grand Hotel eine Renaissance, bei der die Reichen und Berühmten Pate standen.

Der japanische Kronprinz und spätere Kaiser Hirohito und US-Außenminister Henry Kissinger etwa, Joe Cocker und der Dalai Lama, Demi Moore und Alberto Tomba - alle kamen ins Grand Hotel.

Prinzessin Diana, so erzählen sie hier, telefonierte nächtelang mit ihrem Dodi, um dann am Morgen unprätentiös im Dienstbotenaufzug zum Schwimmbad zu fahren. George Bush senior und Michael Gorbatschow tuschelten miteinander, womöglich über ihren Beitrag zum Mauerfall.

Warum kommen so viele Prominente bis heute ins Grand Hotel? Der Luxus allein kann es nicht sein. Längst gibt es komfortablere Häuser in Italien, in Rapallo und auf Capri, in Punta Ala und an der Costa Smeralda. Das Grand Hotel aber hat etwas zu bieten, was nicht in Design, Technik, Kaviar und Moët Chandon auszudrücken ist: den Geist der Geschichte. Und der heißt vor allem Federico Fellini.

Lesen Sie weiter, wie Fellini dem Hotel zu seinem besonderen Flair verhalf.

Das Haus der Träume

"Etliche Gäste kommen bis heute wegen Fellini", erzählt Batani. Vor allem Amerikaner lassen es sich tausend Euro pro Nacht kosten, um in der plüschigen Suite Nummer 315 mit ihren goldumrahmten Spiegeln und französischen Kommödchen zu nächtigen, die der Regisseur so gerne bewohnte.

"Wir widmen Fellini zum 100.Geburtstag des Hotels eine Ausstellung", erzählt die Vize-Direktorin Cristina Bernagozzi stolz. Und der junge Sommelier mit dem Rapper-Spitzbärtchen, der am Abend im Speiseprunksaal begeistert die Weißweine der Region anpreist, flüstert: "Ich bin schon viel in der Welt rumgekommen. Doch was mich hier reizt, ist die Geschichte und die Atmosphäre." Er deutet herum. "Spüren Sie es? Die Geister von damals, sie sind überall. Vor allem Fellini. Ich bin ein großer Fellini-Fan. Wegen ihm arbeite ich hier."

Kindheitserinnerungen von Fellini

Als der 1920 in Rimini geborene Regisseur des Dolce Vita noch ein armer Junge mit Hochwasser-Hosen war, prägten sich Bilder und Geschichten aus dem Grand Hotel in seinem Kopf ein.

Fellini schrieb, sie seien als Jungen "wie die Mäuse" um den geheimnisvollen Bau herumgeschlichen, in dem sie sich allerlei orgiastische Szenen vorstellten. Aus den Hecken heraus erhaschten sie Blicke auf die legendären Terrassenfeste: "Wir erspähten die nackten Rücken von Frauen, die wie aus Gold erschienen, umfangen von den Armen der Männer im weißen Smoking. Ein duftender Lufthauch trug uns von Zeit zu Zeit Jazzmelodien zu - es war zum Dahinschmelzen."

Für Federico wurde das swingende Liberty-Gebirge am nächtlichen Adriastrand zum Sehnsuchtsort. Exotik, Luxus, Frauen, Fernweh, diese schaurig-schöne Melange zog ihn unwiderstehlich an. Bald war er groß genug, um das Grand Hotel auch von innen bewundern zu können. "In den Sommernächten verwandelte sich das Grand Hotel in Istanbul, Bagdad, Hollywood", phantasierte er.

Ein Ort der Übertreibung

Heute phantasiert das Grand Hotel von Fellini. Der Gast begegnet ihm bei jedem Schritt. In der Eingangshalle mit ihren Säulen und Pilastern aus rot-schwarz gesprenkeltem Marmor liegt auf einem Tisch ein Band, so groß wie eine Familienbibel: "Das Buch der Träume." Unter diesem Titel reitet eine nackte Blondine mit mächtigem Gesäß auf einer flauschigen Wolke, die ein Faun über den Himmel pustet. Drinnen im Buch sind Cartoons und Karikaturen abgedruckt, von denen viele im Grand Hotel entstanden.

Federico Fellini sei gern in einem der Sessel in der Halle gesessen und habe die Leute beobachtet, erzählt Cristina Bernagozzi. "Er skizzierte viele unserer Gäste als künftige Figuren für seine Filme und suchte danach Schauspieler aus."

Fellinis 1973 gedrehter, vielleicht populärster Film "Amarcord", diese skurril-phantastische Suche nach seiner verlorenen Jugendzeit in Rimini, spielt auch im Grand Hotel. Hier verführte Gradisca, die Stadtschönheit, einen Fürsten; und hier will der fliegende Händler Biscein 28 Haremsdamen in einer Nacht beglückt haben.

Das Grand Hotel war stets ein Ort der Übertreibung. Die opulenten Filmszenen Fellinis ließen es nun von einem Luxushotel zu einem Kultort aufsteigen. Allerdings wurde "Amarcord" gar nicht in Rimini gedreht. Fellini ließ das Grand Hotel in Studio 5 der römischen Filmstadt Cinecittà nachbauen.

Nachts, im Hotelzimmer, findet der Gast dann ein Kärtchen mit einem Fellini-Zitat auf seinem Bett: "Es ist das Geld, das die besten Ideen hervorbringt." Bei Antonio Batani war es umgekehrt.

Erst waren da die Ideen, später kam das Geld. Auch Batani war ein kleiner Junge aus der Gegend um Rimini, der von der großen Welt träumte. Das Grand Hotel schien für Tonino, eines von sechs Kindern eines Maurers, jedoch unerreichbar zu sein. "Was mag es wohl kosten?", dachte er sich, wenn er vorbeiradelte. Heute sagt er: "Als Unternehmer wirst du geboren, egal in welche Familie."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie aus dem Kellner Batani der Besitzer des Grand Hotels wurde.

Das Haus der Träume

Statt im Grand Hotel landete der junge Bursche allerdings zunächst in einem Bahnhofslokal in der Schweiz, wo er als Kellner arbeitete. Als die Teutonen über die Adria hereinbrachen, rief ihn der Vater 1957 zurück.

Gemeinsam zog die Familie in der Nähe Riminis die Ferienpension "Delia" auf, mit 16 Zimmern und wenigen Bädern. Die Betten aber waren sauber, das Essen gut, die Atmosphäre herzlich. "Ich habe viele Nächte mit den Gästen gefeiert", erinnert sich Batani.

Das gefiel den Urlaubern. Und Tonino baute sich Haus für Haus ein Hotel-Imperium an der Adria auf. Vor zehn Jahren gewann er einen Hoteliers-Wettbewerb - und eine Nacht mit seiner Frau im Grand Hotel. Im Dezember 2007 kaufte er es.

Jedes Jahr denselben Tisch

Die stolze Jugendstil-Signora war da von der Zeit gezaust. Der Park war verwildert, der Terrassenboden löchrig, und allerlei Lackschichten überdeckten den sündhaft teuren Kunstmarmor, der einst viele Innenwände schmückte.

Ein normaler Investor hätte den Betrieb wohl eingestellt und die Suiten in Appartements umgewandelt. Antonio Batani aber schwor: "Ich werde das Grand Hotel wieder aufblühen lassen."

Vieles ist seither passiert. Die Terrassen und der Park sind wieder ein Sommertraum. Jahrhunderte alte Olivenbäume aus Apulien hat Batani pflanzen lassen, für 10000 Euro das Stück. Ein Teil der Säle ist bereits restauriert - in den historischen Farben des Hotels: Gold und Elfenbein.

Im Winter kommen die Bäder an die Reihe, und irgendwann will Batani seinem Werk die Sahnekrönchen aufsetzen - und die 1920 verbrannten Kuppeln rekonstruieren.

Eines aber ist schon jetzt wieder - oder noch immer - zu spüren. Die persönliche Atmosphäre, die das Grand Hotel über allen Luxus hinaus stets auszeichnete. Manche begüterten Familien verbringen hier wie in alten Zeiten Jahr für Jahr die Sommerfrische, sie kennen sich zum Teil seit Menschengedenken.

"Das Grand Hotel ist für sie eine Insel in Rimini", meint Matteo De Maio, der Maître. "Wir strahlen nicht die Kälte anderer Luxus-Hotels aus. Unsere Gäste fühlen sich hier zu Hause." Die "Clienti" legten viel Wert darauf, mit all ihren Eigenheiten umsorgt zu werden, etwa, jedes Jahr denselben Tisch im Speisesaal zu bekommen. Den Angestellten werde viel Detailkenntnis abverlangt. "Zeitweise servierten wir an den Geburtstagen der Hunde unserer Gäste spezielle Hundekuchen", erinnert sich der Maître.

Wenn sie sich richtig umsorgt fühlten, benähmen sich die illustren Gäste natürlich und unkompliziert, meint er. "Doch wehe, wenn ich einen bei der Ankunft nicht erkenne und entsprechend begrüße!"

Es wird dunkel, draußen im Park des Grand Hotel. Im Speisesaal decken die Kellner ab, während der Mann am Flügel Barmusik hervorperlen lässt. Die Kronleuchter funkeln, und die weißhaarige Dame im schwarzen langen Kleid, die da allein mit ihren Gedanken an einem Tischchen gespeist hat, trinkt bedächtig ihr Glas Weißwein aus.

Womöglich träumt sie von den Zeiten, als Federico Fellini hier tafelte. Der Maestro erlitt Anfang der neunziger Jahre in Suite Nummer 315 einen Schlaganfall. Bald darauf starb er. Seine Filme leben weiter, genauso wie das Grand Hotel.

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