Frankreich:Mattscheibe überall

Viele Reiseanbieter sehen die Zukunft im komplett vernetzten Hotel. Im Club Med in Val Thorens bekommt man davon heute schon erste Eindrücke. Sie zeigen: Manches ist noch ausbaufähig.

Von Johannes Boie

Montagabend 22.30 Uhr. Laure und Clemence tragen silberfarbene Hotpants und tanzen auf der Bühne. Neben ihnen ein Mann in einem Ganzkörperanzug aus grünem Latex. Drei künstliche Brüste hängen daran und wackeln, sie sind in einem roten BH verstaut, offenbar eine Maßanfertigung. Es läuft: "I'm still standing" von Elton John. Alle singen mit: Clemence, die Masseurin aus dem Spa im Untergeschoss, und Laure, die Kellnerin aus dem Restaurant im zweiten Stock, und der Mann im Latexanzug, der tagsüber auch einen anderen Job hat. Und vor der Bühne, natürlich, die Hotelgäste, deren Drinks im Übernachtungspreis schon enthalten sind. Allerdings gilt das, was sie singen, nicht für alle. Von "still standing" kann keine Rede sein. Die Drinks sind ordentlich gemixt.

Man muss jetzt mal weg von der Bühne des Hotels Club Med Sensations im französischen Skiort Val Thorens, weg von der Oxygen Bar im vierten Stock, die Treppen runter, vorbei an der Epicurious Gourmet Lounge im dritten Stock und am Yurts Restaurant bis ganz nach unten in die Lobby. Die Rezeptionistin sagt lächelnd: "Bonsoir, Monsieur." Die Glastüren öffnen sich. Draußen liegt Les Trois Vallées, eines der besten, größten, höchstgelegenen Skigebiete der Alpen. Die Nacht ist kalt und klar. Aus den Discotheken dröhnt die Musik.

Soweit der ganz normale Wahnsinn eines Cluburlaubs im Winter. Doch auf dem Weg durch dieses Hotel, das zum französischen Tourismus-Großkonzern Club Med gehört, geht man alle paar Meter an großen Bildschirmen vorbei, die mal das Wetter, mal den Weg zur nächsten Club-Animation aufzeigen. Je nachdem, was der Gast gerade sehen will. Allein auf dem Weg von der Bar zum Zimmer sind es neun Schirme. Und wer hier als Gast sein Handy zückt, der kann die App des Hotels installieren, über die sich Gäste miteinander anfreunden oder dem DJ für die nächste Party Musikvorschläge machen können.

Anfang des Jahres hat sich die chinesische Investorengruppe Fosun die Macht bei Club Med gesichert. Der Konzern soll fast eine Milliarde Euro wert sein, ein äußerst stolzer Preis. Die Chinesen wollen jetzt Gewinne sehen. Mancher Franzose im Konzern fürchtet um das urfranzösische Image des Unternehmens. Und die wacklige Weltwirtschaft gibt obendrein Grund zur Sorge. Die 373 Zimmer und elf Suiten des Club Med in Val Thorens Sensations sollen in dieser angespannten Situation die Zukunft des Konzerns zeigen. Diese Zukunft soll digital sein.

Frankreich: undefined

Künftig soll es um Daten gehen, um die der Gäste. So sollen Computer übernehmen, was bislang die Königsdisziplin der Concierges war: den Kunden Wünsche von den Lippen ablesen, selbst jene, die sie selbst noch nicht kennen. Wünsche lassen sich gut zu Geld machen. Im Detail könnte der Plan zum Beispiel so aufgehen: Wenn sich Gäste untereinander vernetzen, motivieren sie sich in der nächsten Saison gegenseitig, wieder nach Val Thorens zu reisen. Oder: Wenn das Hotel sieht, dass Freunde eines Gastes dessen Eintrag über das Hotel auf Facebook mögen, dann kann es denjenigen gleich ein Angebot machen. Und wenn ein Gast auf seiner Facebook-Seite zeigt, dass er schottischen Whisky mag, dann kann man ihm vermutlich einen verkaufen - und ihn dabei noch positiv überraschen. Der Datenauswertung sind dabei technisch keine Grenzen gesetzt, unter anderem weil die Kunden im Hotel das Wlan des Konzerns verwenden. Alles, was sie im Netz machen, kann theoretisch gespeichert werden, außerdem verlangt die App des Hotels regelmäßig Zugriff auf das Facebook-Konto des Nutzers. Dazu kommt, dass auch sonst Digitaltechnik eingeführt wird. Das Club Med Sensations gibt zum Beispiel jedem Gast eine Chip-Karte, mit der der Skischrank geöffnet werden kann. Wenn ein Gast nun seinen Skischrank nicht öffnet, könnte das Hotel daraus schließen, dass der Gast noch im Haus ist. Ein guter Zeitpunkt, um ihm per App Angebote fürs Mittagessen zu schicken. Das könnte die Zukunft sein. Im Club Med Sensations ist diese Zukunft auf paradoxe Art als Ziel klar zu erkennen, aber dennoch noch lange nicht Realität.

Wetter, Wege, Öffnungszeiten: All das lässt sich über Google manchmal sogar schneller laden

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einerseits analysiert das Hotel die Daten der Gäste noch nicht sinnvoll. Das erzählt an der Bar eine junge Frau, die nur ihren Vornamen verrät. Lea ist im Club Med Sensations für die Social-Media-Aktivitäten zuständig, also Twitter und Facebook, und sie kümmert sich um die großen Bildschirme und um die App. Sie erzählt, dass die Hotelkette bislang nicht auswerte, wie die Angebote angenommen werden. Das ist erstaunlich, denn digitale Angebote zeichnen sich sonst genau dadurch aus, dass der Anbieter - in diesem Fall das Hotel - in Echtzeit sehen kann, wie und ob die Kunden die Technik nutzen. Dann können die Angebote schnell verändert und verbessert werden. Das gelingt in Val Thorens noch nicht. Während eines dreitägigen Aufenthalts steht kaum jemand jemals vor den Bildschirmen. Und auf den Handydisplays der Gäste ist nie oder nur ganz selten die App des Hotels zu sehen.

Das mag einerseits auch in der Nutzerfreundlichkeit von Bildschirmen und App begründet sein. Das Programm erschließt sich den Kunden nicht immer von selbst. Vor allem erhalten die Gäste kaum Mehrwert, wenn sie die Angebote wahrnehmen. Die Frage, die sich Nutzer also stellen - Warum sollte ich diese Angebote verwenden? -, beantwortet Club Med noch nicht. Die Informationen, die Bildschirme und App bieten - Wetter, Wege, Öffnungszeiten - lassen sich zum Teil sogar über Google schneller laden.

Alles, was die Gäste im hoteleigenen Wlan-Netz machen, kann gespeichert werden

Das beworbene "Wlan bis auf die Piste" ist wacklig und nur dann und wann in der Nähe einiger Stationen verfügbar. Das können weniger exklusive Skigebiete, zum Beispiel in Österreich, besser. Auch dass man sich als Gast durch das als digital vermarktete Hotel mit gleich zwei Chip- beziehungsweise Magnetstreifenkarten bewegt, eine für den Skischrank, eine für das Zimmer, und obendrein noch ein Armband benötigt, um sich als Gast auszuweisen, erinnert eher an das Mallorca der siebziger Jahre als an ein digitalisiertes Hotel im 21. Jahrhundert.

Informationen

Hin- und Rückreise mit dem Flugzeug bis Lyon ca. 300 Euro p. P., Hotelshuttle von und nach Lyon 848 Euro für zwei Personen, im DZ für zwei Personen ab 3600 Euro pro Woche alles inklusive, clubmed.de.

Bis es soweit ist, muss das Club Med Sensations sich noch auf die datenschutzrechtlichen Fragen einstellen, die dann wichtig werden. Dem Gast begegnen allgemeine Geschäftsbedingungen für die Nutzung von Apps und Wlan nur auf Französisch, man spürt, dass die ethische Debatte der Digitalisierung hier noch keine Rolle spielt: Wem gehören die Daten der Kunden? Ist es fair, ihre Wünsche aus ihrem digitalen Verhalten abzuleiten und ihnen dann entsprechende Angebote zu machen? Wenigstens ihre Zustimmung wäre für die Zukunft einzuholen.

Bis dahin lohnt es sich aus Sicht eines Gastes allerdings, die Gegenwart zu genießen. Die Skipiste befährt man direkt vom Haus aus. Zum Lift geht kaum jemand in Val Thorens, das Örtchen liegt auf 2300 Meter am Hang und ist im Hochwinter komplett eingeschneit. Das türkische Bad im Hotel entspannt die Muskeln nach einem Tag auf der Piste. Die rosafarben-graue Einrichtung der geräumigen Zimmer im Club Med ist zwar Geschmacksache, die hochwertige Ausstattung spricht aber für sich. Nur ein Waschbecken in der vom Badezimmer getrennten Toilette hätte in dieser Preisklasse nicht geschadet.

Ein Restaurant für die Masse der Gäste, das Yurts, bietet ordentliches Essen nach einem sportlichen Tag. Wer es edler mag, geht in das Restaurant Epicurious Gourmet Lounge. Vorher muss man reservieren, was nicht immer so gut klappt. Gleich zwei Bestätigungen, die die Rezeption per Mail schicken will, kommen auf dem Zimmer nicht an. Der Service im Restaurant selbst ist aufmerksam, dabei angenehm unaufdringlich. Dazu interpretiert eine Band lässig Ella Fitzgerald. "Summertime" ist zwar gerade nicht, aber in diesem Restaurant kann man das vergessen. Was auf jeden Gast unter 30 Jahren zutrifft, ist die Songzeile "Daddy is rich". Zwischen 3600 und 8000 Euro kostet die Woche im Club Med für zwei Erwachsene, je nach Zimmer und Anfahrt. Die Gäste erholen sich vom Geldbesitzen mit Geldausgeben.

Sei's drum. Wer vor die Tür tritt, der weiß, dass er nicht wegen Essen, Trinken, Apps oder Bildschirmen in Val Thorens ist. Als der Tag anbricht, wartet die Piste mit 200 Kilometern Tiefschneeabfahrten, obendrauf kommen noch 600 komplett präparierte Pistenkilometer - ganz ohne Schneekanonen. Viele Pisten beginnen direkt unter den Gipfeln des Vanoise-Massivs. Die Sonne strahlt, die Kälte schneidet ins Gesicht, die Luft ist frisch. Digitalstrategie? Drauf gepfiffen. Winterurlaub, das ist: ein analoges Erlebnis. Schnee. Ein Brett, wenn es sein muss, auch zwei. Und ein Berg.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: