Design-Hotels:O welche Wanne

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Früher gab es Bett und Bad, es gab glamouröse Grandhotels oder nette Pensionen. Inzwischen malträtieren uns die Design-Hotels. Eine Abrechnung.

Gottfried Knapp

Die gläserne WC-Zelle - endlich ist sie da: die Kabine, in der niemand mehr allein ist. Ein Designer hat sie erfunden, die Glasindustrie hat sie möglich gemacht, und im Restauranttrakt eines Hamburger Design-Hotels ist sie installiert worden. Sie hat eine leicht mattierte Glastür, die nicht allzu weit nach oben reicht und ein ganzes Stück über dem Boden schon endet. Lange Kerls, die an die Kabine herantreten und nach unten blicken, und Kleinkinder, die sich bücken, können also ohne Mühe feststellen, ob die angepeilte Zelle besetzt ist. Den mittelgroßen Menschen dürfte es schon schwerer fallen, denn auf die üblichen Benutzer-Installationen, auf rot-grüne Öffnungs-Anzeiger und etwas so Banales wie Türgriffe, hat der avantgardistische Designer hier kühn bis visionär verzichtet.

Doch nicht diese technischen Details sind die eigentliche Besonderheit dieser Kabinentür, sondern das halbtransparente Glas, das Einblick gleichzeitig irritierend gewährt und aufs raffinierteste verwehrt. Alles, was der Eintretende direkt hinter der Glasscheibe an sich vornimmt, ist von außen detailgenau, aber verschwommen wahrzunehmen. Erst wenn der Insasse sich nach hinten auf die Brille niederlässt, verschwindet er im Nebulösen, mutiert zum grauen Schemen. Sobald er sich aber wieder erhebt, schiebt er sich erkennbar ins Blickfeld.

Angesichts dieses optischen Spektakels kann man sich die philosophischen Sprüche, die dem Erfinder dieser Klotür zu seiner Nahseh-Mattscheibe eingefallen sind, gut vorstellen: endlich Transparenz, wo sonst klaustrophobische Enge herrscht; endlich eine offene Atmosphäre, in der sich das Individuum frei entfalten kann; endlich ein kleiner Thrill im sonst so öden Nasszellenbereich. Selbst Stehpinkler können ihren Geschlechtsgenossen nun selbstbewusst zeigen, was sie in den Sitzkabinen anstellen.

Design kennt keine Grenzen - oder mäht alle Grenzen einfach nieder. Selbst für ordinäre Pissoirs haben sich engagierte Gestalter etwas wahrhaft Abgründiges einfallen lassen: In einem Design-Hotel in Berlin sind die Urinale im Männerklo wie weit geöffnete Frauenschmollmünder mit kräftig rot geschminkten Lippen geformt. Wer hier sein Wasser abschlägt und mit ansieht, wie hinter den beiden oben liegenden Hasenzähnen das Spülwasser hervorschießt, kann sich der abstrusen Vorstellung hingeben, dass seinem weiblichen Gegenüber vor Wonne das Wasser im Mund zusammenläuft.

Beschwerden von Hotelgästen
:"Schwanger nach Bad im Pool!"

Der Regen zu laut, die Berge zu bergig und dann auch noch schwanger nach einem Schwimmbad-Besuch: Dieses Beschwerden von Hotelgästen sind zwar manchmal abwegig, dafür aber amüsant.

Einige Herren der Schöpfung mögen solche anatomischen Überdeutlichkeiten für witzig halten. Eindeutig sexistisch ist jedenfalls der Einfall, den ein Designer vor Jahren in den Klos einer Münchner Kneipe verwirklicht hat. Dort können die Männer beim Pinkeln durch ein großes Einwegfenster unbemerkt in die Damentoilette hinüberschauen, also in aller Ruhe mitansehen, was die Frauen, wenn sie nicht gerade in den Kabinen verschwunden sind, vor den Spiegeln und an den Waschbecken so treiben. In umgekehrter Richtung ist das Fenster blind; die Frauen spüren also nicht, dass sie - wie Kriminelle beim Verhör - von Männern, die an ihren Hosentüren herumnesteln, beobachtet und beurteilt werden.

Design als wichtigster Impulsgeber

Wir haben unserem kleinen Streifzug durch die erfolgsverwöhnte Glitzerwelt der Design-Hotels diese drei unappetitlichen Geniestreiche geschmacklicher Besserwisser vorangestellt, um etwas anzudeuten von den Grotesken, die unter dem Zwang, gestalterisch unbedingt originell sein zu müssen, in die Welt gestemmt worden sind. Im Folgenden soll aber auch von den schweren funktionalen Mängeln vieler Designobjekte, die unter dem Primat der Ästhetik zusammengesteckt worden sind, die Rede sein, von den ergonomischen Schikanen, denen sich die Liebhaber exzentrischen Designs mit geradezu masochistischer Lust auszuliefern scheinen.

Design hat sich in der jüngeren Entwicklungsgeschichte der Hotellerie als einer der wichtigsten Impulsgeber bewährt. Zahllose kleine und mittlere Stadthotels in aller Welt leben fast ausschließlich von der Attraktivität ihrer exklusiv entworfenen und angefertigten Ausstattung. Sie sind in mehreren Interessengruppen organisatorisch zusammengefasst. Ja in Berlin findet in diesen Tagen unter dem guruhaft beschwörenden Titel "Hybrid thinking" ein "Symposium für Design, Architektur und Hotellerie" statt, bei dem "bestimmende Trends der Zukunft diskutiert" werden sollen.

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Leute, die viel Zeit in Hotels verbringen müssen, träumen oft vom perfekten Ambiente. Einige haben ihr Hotelideal verwirklicht - und lassen Gäste daran teilhaben.

Den Protagonisten der Szene ist also bewusst, dass der Design-Markt auf Dauer nur floriert, wenn er ständig neue Sensationen bietet. Der Mensch lässt sich von einer schrägen Alternative nur einmal überraschen, beim zweiten Mal wird er sie schon als lästig empfinden.

Gestalterische Vielfalt statt schauriger Monotonie

Für die Besucher des von Jean Nouvel durchmodellierten Design-Hotels in Luzern etwa mag es beim ersten Besuch überwältigend sein, wenn sie sich aufs Bett legen und nicht der Fernseher angeht, sondern an der Decke riesige farbige Filmstills aufleuchten, die von einer Wand bis zur anderen reichen. Doch warum sollen sie sich diese Massivbehelligung ein zweites Mal antun, wenn sie schon beim ersten Mal Mühe hatten, die vom Himmel glotzenden Riesenfiguren wieder zu löschen. Auch darf man sich fragen, warum ausgerechnet knallige Filmbilder von den Nervensägern Almodóvar und Greenaway, also von Regisseuren, die sich erschießen würden, wenn jemand in ihren Filmen einschläft, Hotelgäste in den Schlaf wiegen sollen.

Grundsätzlich ist der Wunsch, die schaurige Monotonie der Großhotels oder der leider üblichen Business-Absteigen durch gestalterische Vielfalt, durch originelle innenarchitektonische Varianten, durch individuelle Möbelformen, exquisite Materialien und gezielt eingesetzte Farben aufzubrechen, hoch zu loben. Es muss ja nicht gleich so chaotisch zugehen wie in einem Berliner Design-Hotel, in dem jedes Zimmer so anders eingerichtet ist, dass es wie eine gruslige Folterkammer aussieht: Bei einem Spaziergang durch dieses gestalterische Monstrositätenkabinett könnte sich also ein gewisser Geisterbahn-Witz entfalten, doch dem im Einzelzimmer eingesperrten Gast bleibt dieser Spaß vorenthalten.

Zu den lächerlichsten Selbstverständlichkeiten des neuen Designs gehören die im Raum freigestellten klobigen Waschschüsseln, die hohen, engen Spucknäpfe aus Edelstahl, Glas oder Keramik und die eckigen Futtertröge aus Naturstein, die in allen Designhotels montiert worden sind, also die höchst praktisch in eine Ablagefläche eingebetteten Waschbecken abgelöst haben. Auf irgendwelchen unpraktischen Schemeln, Stellagen, nässeempfindlichen Holzbrettern oder engen Marmorsockeln stehen sie instabil herum wie abgestellte Blumentöpfe, die probehalber an ein Abwasserrohr angeschraubt wurden. Von hinten reckt sich ein dünnes Metallrohr wie ein Penis meist so knapp über den Rand hinweg, dass es unmöglich ist, in der engen Schüssel auch nur die Hände zu bewegen.

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Natürlich hat der Designer aus der näheren Umgebung alles geflissentlich verbannt, was sein ästhetisches Konzept stören könnte: vor allem also so hässliche Dinge wie Ablageflächen für Waschzeug oder gar Haken, an denen man etwas aufhängen könnte. Zum Ersatz lässt er vielleicht die Handtücher auf einem Holzbrettchen am Boden artig zu einer Pyramide übereinanderstapeln.

Ejakulat des Grauens

Bei so viel strengem Purismus um das Waschbecken wundert es einen, dass einige Designer auf die hässlichen Schmierseifenspritzdüsen am Beckenrand - sie gehören zum Schrecklichsten, was der Mensch erfunden hat - nicht verzichten wollten. Das Ejakulat des Grauens, das diesen Gerätschaften auf Knopfdruck entquillt, soll eigentlich helfen, Schmutz zu entfernen, aber es heftet sich selber wie übelster Schmutz so klebrig an die Finger, dass es mit Wasser allein nicht zu entfernen ist und nur mit richtiger Seife von den Händen abgeschrubbt werden könnte. Deshalb wird es stets in die bereitliegenden Handtücher geschmiert. Noch Stunden später wird somit die Nase mit widerlichen Duftschwaden gequält.

Zu den unbegreiflichen Neuerungen der Designhotels gehört inzwischen auch, dass die Nasszellen nicht mehr durch Türen vom Schlafraum getrennt, sondern so in den Wohnbereich integriert sind, dass die Gäste sich bei ihren intimen Hygiene-Ritualen in jeder Phase gegenseitig beobachten können und der dabei entwickelte Dampf direkt über die Betten ziehen kann.

In den Zimmern fast aller neueren Designhotels hat eine monströs klobige, hohe Badewanne, eine Art Pharaosarg aus Stein, so unvermittelt zentral im Raum oder auch direkt neben dem Bett auf dem lackierten Parkett oder dem polierten Steinboden Platz genommen, dass allein die Vorstellung, auf diesem höllisch glatten Grund badenass aussteigen zu müssen, Knochenbrüche verursachen kann. Und da spritzwasserdichte Duschvorhänge hier natürlich nicht vorgesehen sind, bequemes Liegen in den hartkantigen, steilwandigen Trögen kaum möglich ist und die Duschköpfe am freistehenden Steigrohr zu dünnen, durchlöcherten Röhrchen geschrumpft sind, fragt man sich, wie in diesen freigestellten Wasseraltären Badespaß aufkommen soll.

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Immerhin: Dem Wasser wird in den Designhotels zeremoniell gehuldigt. Aber auch die Elemente Feuer und Erde werden ausgiebig bemüht: Wo in gewöhnlichen Hotelzimmern oder -lobbys der Breitbildfernseher hängt, klafft hier ein entsprechend geformtes Kaminloch, in dem Gasflämmchen an malerisch hindrapierten Holzattrappen emporglimmen. Und mit sauber sortiertem Kies und Schotter in schönen Holzschalen und trockenem Gestrüpp oder Reisig in abenteuerlich geformten Vasen bemühen die Designer Mutter Erde in die gute Stube.

Damit sich aber auch im Bett, das für Gestalterscherze eigentlich tabu sein müsste, etwas bewegt, haben Designer das Himmelbett, den Fronleichnams-Baldachin über der Lagerstatt, aus der Mottenkiste geholt. Ihren Eigenwillen beweisen sie hier aber vor allem mit speziell entworfenen tonnenschweren Überdecken und Aufreihungen grausam bunter, fetter Kissen, die oft fast bis zum Fußende reichen. Da es im eng bemessenen Raum aber keine Ablageflächen für diese geblähten Massen gibt, schleudert man den Krempel irgendwann wütend in die Ecken, macht aus dem Zimmer also ein holpriges Schlachtfeld, in dem jede Bewegung gefährlich wird.

Sondermüll als Sitzgelegenheit

Bei den Sitzmöbeln kombinieren die Gestalter gerne wulstig-plumpe Prototypen mit spillerig-verhungerten. Ein australischer Designer hat hier den Gipfel erreicht, als er einen mannshohen prallen Sack, einen mit zerfetzten Jeans umkleideten gigantisch auswuchernden Boxhandschuh, in dem man irgendwie hilflos auf dem Rücken liegt, mit einem Zwergtischchen kombinierte, das aus drei Mikadostäbchen und einem aufgelegten Aschenbecher besteht. Sucht man nach einer zusammenfassenden Bezeichnung für diese schrillen Gegensätze, landet man rasch beim Wort Sondermüll.

Schwer begreiflich ist auch die neue Vorliebe der Geschmackspioniere für völlig lehnenlose Sitze, also für gepolsterte runde Puffs, für jene morbiden, wacklig-weichen, meist viel zu niedrigen Sitzmöbel, die wie Folterstühle in Verhörräumen die Sitzenden zermürben, ihnen den inneren Halt nehmen. In einem Designhotel in Barcelona sind in der riesigen Lobby nur solche niedrige runde Hocker verteilt. Aus den Pfeilern aber wachsen in Kniehöhe weit ausholende, tischartig flache Sitzflächen heraus. Den Models, die auf diesen bösartigen Ausstülpungen für die Prospekte posieren mussten, sieht man an, dass sie nach der Fotositzung reif für den Orthopäden waren.

Eine der absurdesten Verfremdungen von Hotelzimmereinrichtung findet sich in den einheitlich ausgestatteten Zimmern einer deutschen Hotelgruppe. Eine diagonale Holzwand trennt den Nassbereich mit der offenen, alles überschwemmenden Dusche und dem verspiegelten Spucknapf vom nüchternen Wohnbereich, in dem beim ersten Anblick alles Nötige zu fehlen scheint: Wo ist der Schrank, in dem man etwas aufhängen kann, wo der Tisch, an dem man arbeiten könnte?

Aus der Holzwand steht zwar eine eiförmige waagrechte Platte heraus, die aussieht wie ein Nabelbruch, doch die runde Ausbuchtung ist zum Arbeiten viel zu klein. Rätsel gibt auch ihr einziges Standbein auf: Es steht auf einer kreisförmig verlaufenden Schiene, die im Boden eingelassen ist und dem Gast, der genügend Geduld und mechanische Phantasie mitbringt, die Ahnung gibt, dass der Tisch vielleicht drehbar sei. Und tatsächlich kann man die Platte auf ihrem Fuß bewegen.

Bei der Drehung wird auch die anhängende Rückwand mit herausgedreht; sie eröffnet den Blick in den dahinter versteckten Schrank. Die Tischplatte fungiert also auch als Griff der Schranktür und umgekehrt: der Türgriff dient - höchst ungenügend - als Tisch. Die beiden Funktionen behindern sich massiv: Wenn der Tisch benutzt wird - man stelle mal eine Flasche Wein und zwei Gläser auf die winzige Fläche -, lässt sich der Schrank nicht öffnen; man muss also die einzige Ablagefläche im Raum jedes Mal frei räumen, wenn man an den Schrank will. Drastischer kann sich Gestaltung nicht selber aushebeln.

Darum am Ende unseres Ausflugs in die ach so beliebte Welt der Designhotels die Rätselfrage: Warum lassen sich so viele Menschen von anderen vorschreiben, was sie für schön und praktisch halten wollen?

© SZ vom 12./13.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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