Es ist eine der Marotten von Touristen und Tourismusbranche gleichermaßen, einen richtig schönen Ort, sagen wir Kopenhagen, nicht einfach Kopenhagen sein lassen zu können. Die Stadt erhält einen Beinamen, der irgendwie noch mehr nach erster Liga klingen soll. Kopenhagen wird deshalb beispielsweise auf www.visitcopenhagen.de als "Venedig des Nordens" vorgestellt, wahrscheinlich, damit selbst der Reiseanfänger eine Ahnung davon bekommt, was es mit Kopenhagen so ungefähr auf sich hat. In der ziemlich langen Liste der Venedige des Nordens tauchen unter anderem auch noch die Städte Amsterdam, Hamburg, Sankt Petersburg auf, wobei Sankt Petersburg - je nach Sichtweise des Betrachters- auch unter "Venedig des Ostens" firmiert.
Das Venedig der Bergwelt ist das 4478 Meter hohe Matterhorn. Der Berg ist heute nicht einfach nur ein Berg, sondern eine Marke. Das liegt an der einzigartigen Melange aus Besteigungsgeschichte, eidgenössischem Vermarkungsfleiß und Antlitz. Die Form eines nahezu gleichschenkligen Dreiecks gilt seit Jahrhunderten als Schönheitsideal in der hochalpinen Landschaft; das Matterhorn sieht mit seinen steilen, von einem spitzen Gipfel gekrönten Flanken ziemlich genau so aus, wie Kinder einen Berg spontan zeichnen.
Die Erstbesteigung vor 150 Jahren, an die zuletzt diverse Veranstaltungen im Talort Zermatt erinnerten, ging wegen des tragischen Verlaufs als Höhepunkt und große Tragödie des Goldenen Alpinismuszeitalters in die Bergsteigerhistorie ein.
Sammelbegriff für Berge auf der ganzen Welt
In seiner Funktion als Marke hat sich das Matterhorn - in der Lokalbevölkerung sowieso unverkennbar "ds Hore" oder "ds Horu" genannt - von seiner Heimat Zermatt und dem Kanton Wallis gelöst und zu einem Sammelbegriff für so ziemlich alle ähnlich gebauten Berge auf der ganzen Welt entwickelt.
Da gibt es jene, die das Schweizer Supermodel einfach im Namen tragen wie Little Matterhorn (zum Beispiel in Utah) oder Matterhorn Peak (in Kalifornien). Andere Doppelgänger, so der eigentlich norwegisch getaufte Ulvetanna in der Antarktis, profitieren von dem offensichtlichen Mangel an Herkunftsschutz für formschöne Berge und heißen einfach nur "Matterhorn".
Besonders interessant sind aber jene unter Plagiatsverdacht stehenden Gipfel, die einen eigenen Namen samt eigener Geschichte besitzen und dennoch ein Aufmerksamkeit heischendes Pseudonym verpasst bekommen. So gilt der wunderbare und mit 6543 Metern vergleichsweise riesige Shivling als das Matterhorn Indiens; die noch hünenhaftere Ama Dablam (6814) wird zum Matterhorn Nepals degradiert und der nur wenig kleiner geratene Jirishanca (6094 m) zum Matterhorn-Vertreter der Anden (auch: Matterhorn Perus) auserkoren.
Die Liste lässt sich von Norwegen (Stetind) über das Verwall (Patteriol) bis Neuseeland (Mount Aspiring) so gut erweitern, dass der Bergsteiger Hans Kammerlander sogar einen eigenen Vortrag zu dem Thema "Matterhörner der Welt" komponierte.
Deutschland stellt übrigens gleich zwei Anwärter für das "Matterhorn des Allgäus": den Hochvogel und die Trettachspitze. Dass die Schweizer ihrem Horu den Zweitnamen "Hochvogel der Eidgenossen" geben, anstatt es mit dem üblichen Schweizer Selbstverständnis als "Berg der Berge" zu bezeichnen, ist eine der vielen Aufgaben, die den Touristikern hierzulande noch bevorsteht.