Londons berühmte Glocke "Big Ben":Vier Töne für ein Königreich

Vor 150 Jahren schlug die Glocke "Big Ben" in London zum ersten Mal - bis dahin war es ein Weg voller Pannen, Streit und Beleidigungen.

W. Koydl

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150 Jahre Big Ben in London St Stephens Turm

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Der Eiffelturm steht für Frankreich, die Freiheitsstatue für New York, das Taj Mahal für Indien - bei vielen Ländern auf der Welt genügt oft ein einziges einprägsames Bild, das die Mehrheit der Erdbewohner gleichsam im Reflex der jeweiligen Nation zuordnen kann. Aber nur Großbritannien kann von sich behaupten, durch eine Reihe von Tönen allgemein erkennbar symbolisiert zu werden.

Gemeint sind freilich nicht die Strophen der Nationalhymne "God Save The Queen", sondern die vier Töne, mit denen sich Big Ben zuverlässig alle fünfzehn Minuten zu Wort meldet - ding dong ding dong, ding dong ding dong, in gis, fis, e und b.

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2009 jährt es sich zum 150. Mal, dass die Uhr im Glockenturm des Palastes von Westminster zum ersten Mal schlug.

Seitdem sind Turm, Uhr und Glockenschlag weltweit zum vermutlich bekanntesten musikalischen Signal aller Zeiten geworden - millionenfach kopiert in unzähligen Standuhren, Weckern und neuerdings Klingelsignalen auf dem Handy: Zum Jubiläum erhielten Mobiltelefonierer als Geschenk das Recht, sich den Big-Ben-Schlag als Ringtone kostenlos herunterzuladen.

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Kaum ein Handynutzer freilich dürfte wissen, dass die Melodie Teil einer Arie von Georg Friedrich Händels Oratorium "Der Messias" ist, aus dem auch der andere populäre Handy-Ohrwurm "Halleluja" stammt. "Diese ganze Stunde lang, Herr, sei mein Führer", lautet der Arientext passend zum Glockenschlag, "Und dank deiner Macht soll kein Fuß ausgleiten."

Die frommen Bürger des viktorianischen Englands vergaßen auch über ihren technischen Errungenschaften nicht die Demut vor Gott.

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Und eine bahnbrechende technische Errungenschaft war die Uhr tatsächlich, als sie am 11. Juli 1859 zum ersten Mal die Zeit verkündete.

Ein Durchmesser von sieben Metern machte das Zifferblatt für Jahrzehnte zum größten Zeitgeber der Welt; die Minutenzeiger haben eine Länge von 4,3 Metern, die Stundenzeiger sind 2,75 Meter lang - was zur Folge hatte, dass sich der erste, aus Schmiedeeisen gegossene Satz als zu schwer für eine volle Umrundung erwies und durch eine ausgehöhlte leichtere Variante ersetzt werden musste.

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Ein knapp vier Meter langes und 300 Kilogramm schweres Pendel schwingt alle zwei Sekunden und machte Big Ben zu einer der akkuratesten Uhren der Geschichte. In einem ganzen Jahr weicht sie nur an 18 Tagen um eine Sekunde von der richtigen Zeit ab.

Heute wird Big Ben dreimal in der Woche von einem Elektromotor aufgezogen. Bis 1913 freilich erledigten zwei kräftige Männer diese Aufgabe, für die sie jeweils 32 Stunden brauchten. Die Feinabstimmung erfolgt nach wie vor wie seit anderthalb Jahrhunderten durch Auflegen oder Entfernen von Münzen. Ein alter Kupferpenny, von denen ein kleiner Stapel neben dem Pendel aufbewahrt wird, beschleunigt oder verlangsamt den Zeitmesser um exakt 0,4 Sekunden pro Tag. Das macht aus Big Ben zwar keine Atomuhr, aber dennoch einen ziemlich präzisen Zeitmesser.

Im Treppenaufgang, Foto: Reuters

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Bis Uhr und Glocke freilich zum allgemeinen Stolz der Nation fertiggestellt waren, verging eine lange Zeit, die erfüllt war von Fehlschlägen, Pannen, Streitigkeiten, Beleidigungen und Gerichtsverfahren.

Der Hauptgrund der Verstimmungen lag darin, dass sich der Architekt des neuen Parlamentsgebäudes, Charles Barry, und der Uhr-Designer Edmund Beckett Denison auf den Tod nicht ausstehen konnten.

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Denison, ein Anwalt, der im Eisenbahn-Boom des 19. Jahrhunderts sein Vermögen gemacht hatte, war lediglich ein begabter Amateur, was das Chronometer-Handwerk betraf. Dennoch setzte er sich gegen den Uhrmacher der Königin durch und zog für sich und den renommierten Uhrmacher Dent den Auftrag für die Uhr an Land. Den ersten Rückschlag erlitt das Projekt, als die erste Glocke sprang, noch bevor sie im Turm aufgehängt werden konnte.

Aber auch mit der zweiten Glocke, die von einer Gießerei im Ostlondoner Stadtteil Whitechapel gegossen wurde, waren nicht alle Bürger glücklich.

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Die Abgeordneten unten im Unterhaus fanden sie zu laut, und ein gewisser Thomas Walesby bemängelte in einem Leserbrief an die Times, dass ihr Klang zu wünschen übrig lasse - "er lässt Gravitas vermissen, Macht und kräftigen Ton", schrieb er vorwurfsvoll. Ein paar Wochen nach der Inbetriebnahme von Big Ben - ihren Namen verdankt die Uhr aller Wahrscheinlichkeit nach dem damaligen Minister für öffentliche Arbeiten, Sir Benjamin Hall - kam es zur nächsten Panne: die Zeiger blieben stehen.

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Flugs schob Architekt Barry alle Schuld dem Uhrmacher zu: "Mister Denison, und er allein, ist verantwortlich für diese Zeiger", tobte er. Denison holzte, ganz und gar nicht nach Art eines Gentleman, zurück. Das ganze von Barry hochgezogene Parlamentsgebäude, so erinnerte er in einem Brief süffisant die Leser der Times, habe dreimal so viel gekostet wie veranschlagt und sei "voll von Schnitzern und Ungereimtheiten", welche den genauen Gang seiner Uhr beeinträchtigten.

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Als dann auch noch der Hammer die zweite Glocke springen ließ, wurden die Gerichte eingeschaltet - schließlich ging es um viel Geld: Uhr und Glocke verschlangen die für damalige Verhältnisse ungeheure Summe von 4080 Pfund Sterling. Händeringend schaltete sich das Haupt- und Intelligenzblatt der Nation selbst ein: "Was soll man mit dieser Glocke von Westminster machen", seufzte die Times. "Das entwickelt sich zu einer ernsten Angelegenheit, denn ganz England wird kompromittiert." Erst drei Jahre später war die Glocke so weit repariert, dass sie wieder klang - wenn auch leicht verstimmt: Ein klares E bringt sie nicht mehr zustande.

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Seitdem aber lief die Uhr weitgehend reibungslos. Den ersten und bislang einzigen mechanischen Zusammenbruch erlitt sie 1976.

In einem Punkt aber hatte die Times recht: Die Uhr im Parlament verkörperte von der ersten Stunde an ganz England, und rasch auch das Empire. Big Ben wurde zu einem der bedeutendsten Symbole britischer Macht in den Kolonien und anderswo. Als 1924 die BBC zu senden begann, trug sie die Bongs von Big Ben in alle Teile des Königreiches und bald in alle Welt. Im Zweiten Weltkrieg legte die ganze Nation jede Nacht eine Schweigeminute ein, wenn Big Ben neun schlug. Und als sich die BBC 1960 erdreistete, nicht mehr alle Glockenschläge in voller, epischer Länge ausstrahlen zu wollen, kam es beinahe zu einem Volksaufstand.

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Nicht alle Briten empfanden Sympathie für die Uhr der Nation. Die Schriftstellerin Virginia Woolf etwa beschrieb düster, wie sich Big Bens "bleierne Kreise in der Luft auflösen". Und 1956 war es, als der Schauspieler Rodney Bewes und ein Freund beschlossen, die Würde Big Bens ein wenig anzukratzen.

Gemeinsam erkletterten sie ein Gerüst bis hinauf zum Zifferblatt, um ein besonderes Accessoire zu befestigen: Von den Zeigern baumelten zwei Unterhosen.

(SZ vom 11.7.2009/kaeb)

Virginia Woolf, Foto: dpa

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