14. Station: Kurs auf die Malediven und die Seychellen:Die See als Autor von Dramen und Tragödien

Die Körpersprache des Ozeans ist schwer verständlich. Aber faszinierend: Meeresblicke von Kaohsiung bis Yokohama

Klaus Podak

Die Meere selbst sind lebendige Wesen. Das hatten wir auf dieser Reise schon oft erfahren. Sie befinden sich in einer ständigen Auseinandersetzung mit dem ihren Siegeswillen begrenzenden Land. Sie sprechen mit den Landmassen, lullen sie ein, machen ihnen Friedensangebote mit geduldigem Wellenschlag. Doch sie können ganz plötzlich auch anders. Man weiß nie genau, warum. Dann bedrängen sie die Küsten, schießen laut Wogen auf sie ab, fordern das Land heraus, beschimpfen und bespucken es. Es kommt zu einem Kampf, der nie endgültig entschieden wird.

Hier gibt er sich friedlich, der Ozean. Aber das kann sich schnell ändern.

Hier gibt er sich friedlich, der Ozean. Aber das kann sich schnell ändern.

(Foto: Foto: Podak / SZ)

Spielsüchtige Meere

Anders verhalten sich die Meere, wenn sie mit sich allein sind in ihren riesenweiten Reichen. Dann spielen sie. Mal wie Spielsüchtige, die gewinnen wollen, immer nach den selben Regeln. Nie scheint ihnen das langweilig zu werden. Dann wieder wechselt die Stimmung unvorhersehbar. Das Meer tobt. Mal wie wilde Kinder toben, ungebändigt, unberechenbar. Aber im Ganzen doch friedlich.

Oder eben überhaupt nicht friedlich. Sondern mit einer Wut, die schwer durchschaubaren Gesetzen gehorcht. Die Winde toben immer mit. Sie sind verantwortlich für die schrillen Musiken, die dem Ganzen zusätzliche Tempi besorgen.

Es gehört zu den weiß Gott nicht geringen Vergnügungen einer langen Seereise, diese Schauspiele sorgfältig zu studieren, die sich zu Dramen, wenn nicht gar zu Tragödien steigern können. Ein Passagier hier an Bord scheint es darin zu einer stillen Meisterschaft gebracht zu haben. Morgens, zwischen sechs und sieben, wenn einige von uns, die frisch gedruckte Bordzeitung unter dem Arm, dem Frühaufsteherkaffee entgegeneilen, steht er an der Reling und beobachtet das Meergeschehen draußen. Man sieht ihm an, dass er schon lange dort so steht. Spätabends, wenn wir eine letzte Runde auf dem Außendeck drehen, steht er auch da und sieht in die Meernacht hinaus. Bei den Essen sitzt er immer, wenn es sich machen lässt, allein an einem Tisch, redet mit niemandem. Er sieht zufrieden aus. Wir stellen uns ihn als einen glücklichen Menschen vor.

Grün in allen Facetten

Seit einigen Tagen schon bewegen wir uns in asiatischen Gewässern. Da zeigt das Meer, was seine Farben betrifft, eine neue Gewohnheit, die sich vorher nur ab und zu angedeutet hatte. Statt des Wechselns zwischen immer wieder neuen Blautönen ist es nun beständig zu einem Durchprobieren sämtlicher Schattierungen der Farbe Grün übergegangen. Das vollzieht sich von einem stumpfen, undurchsichtigen Hellgrün am Morgen über ein nicht ganz durchschaubares Flaschengrün am späteren Vormittag bis zu einem strahlenden Dunkelgrün irgendwann mittags oder nachmittags.

Die Reihenfolge kann wechseln oder auch andere Komponenten zulassen. Gestern wurde lange ein lehmiges Gelbgrün bevorzugt. Beim Nachdenken über dieses neue Farbenprogramm stellte sich ein Klischeewort ein, das nicht mehr zu verscheuchen war: Jade-Farben. Es war gar kein Klischee. An Land in Taiwan, Japan und China zeigte es sich, in den Andenkenläden und Kunsthandlungen, dass tatsächlich alle verfügbaren Schattierungen des Minerals Jade von den Wassern vorweggenommen worden waren. Das Meer hatte sie prophezeit.

Und auf diese Weise die Andenkenkauflust der Passagiere in eine Land und Meer angemessene Richtung gedrängt. Jadeerzeugnisse in allen vorher an Bord im Wasser wahrgenommenen Nuancen wurden in einer Vielzahl vom Landgang mitgebracht, die kein Zufall sein konnte. Das Meer hatte der Tourismus-Industrie erfolgreich zugearbeitet.

Die See als Autor von Dramen und Tragödien

Nun also Asien

14. Station: Kurs auf die Malediven und die Seychellen: So ein Anlegemanöver ist in seiner Präzision immer wieder spannend - wie hier im Hafen von Kobe.

So ein Anlegemanöver ist in seiner Präzision immer wieder spannend - wie hier im Hafen von Kobe.

(Foto: Foto: Podak / SZ)

Nun also Asien. Ein neuer Weltteil unserer Weltreise. In Spuren nur, gewiss, wenn man die Riesen-Landmasse auf der Weltkarte in Beziehung setzt zu den paar Punkten, welche die MS Deutschland mit uns für ein paar Stunden antippte und noch antippen wird. Dass wir, als Seereisende zumal, nur Ränder dieses Kontinents berühren können, das war uns allen vorher klar.

Bei der langen Anfahrt - es konnte gar nicht anders sein - änderten sich nach und nach Luft und Licht. Kühler wurde es und dunstiger, aber die Luftfeuchtigkeit sank. Wir waren ja auch wieder auf der Nordhalbkugel des Erden- und Wasserballs. Die Spannung auf die neuen, andersartigen Länder wuchs.

Erste Station auf diesem Teil der Reise, dem Festland Asiens schon ziemlich nah, war Kaohsiung, an der Südküste Taiwans, die zweitgrößte Stadt dieser Insel, eine Stadt mit 1,4 Millionen Einwohnern. Die Liegezeit der MS Deutschland betrug zehn Stunden, dann legten wir schon wieder ab, und es ging weiter.

Zehn Stunden Liegezeit bedeuten aber nicht zehn Stunden Landgangsmöglichkeit. Jedes Schiff wird in jedem Hafen erst einmal von den Behörden kontrolliert und dann freigegeben. Danach erst kann man sich aufmachen zur Erkundung der Fremde, per Bus mit einer Gruppe oder individuell in Taxis mietenden Grüppchen oder ganz allein, auf gut Glück und eigene Faust. Ende der Liegezeit bedeutet für die Reisenden die Aufforderung, sich spätestens eine halbe Stunde vorher wieder an Bord einzufinden und zurückzumelden.

So ungefähr sechs bis sieben Stunden bleiben den Passagieren für ihre Forschungen. Für eine gründliche Inventur der offiziell aufgeführten Sehenswürdigkeiten, oder wenn einem so gut wie alles in einer fremden Stadt sehenswürdig erscheint, wird die Zeit bald knapp. Sie reicht aber völlig aus, um sich beeindrucken zu lassen von der Andersartigkeit der Fremde. Man sollte außerdem den Zufall zum Helfer werden lassen.

Der nette Tony

Das Fremdenverkehrsbüro Kaohsiungs hatte nette, hilfsbereite Menschen zum Schiff geschickt. Einer von ihnen war Tony Wu. Er erklärte nicht nur Wege und verteilte Stadtpläne. Er fragte munter und plauderte auf Englisch. Beim Fußmarsch ins Zentrum hupte es plötzlich heftig. Es war Tony Wu mit seinem Auto, der schon zwei Passagiere eingeladen hatte und sie zu einer der raren Geldwechselstellen und zum Historischen Museum transportieren wollte. So kamen wir doch noch zu Taiwan-Dollars und zum blitzblanken und prächtigen jadegrünen Historischen Museum. Jeder Gegenstand dort war ganz allein mit chinesischen Ideogrammen ausgezeichnet.

Es ist gar nicht schlecht zu erfahren, dass man irgendwo kaum etwas versteht. Es erzieht zur Bescheidenheit. Ein Raum mit Requisiten der taiwanesischen Oper forderte den Scharfsinn des fremdländischen Besuchers heraus, ein anderer zeigte wunderbare Taschen und Täschchen, welche die Vorstellung eines wohlhabenden Bürgertums hervorriefen. Wieder draußen war erst einmal ein Marsch durch eine nicht zu große, freundlich-sterile Bürohausgegend fällig. Dann plötzlich eine quicklebendige Einkaufs- und Marktmeile.

Zurückhaltende Menschen beobachteten den Besucher aufmerksam und unaufdringlich. Zwei ältere Damen erbarmten sich freundlich auf Englisch. Der Besucher wanderte beglückt und beeindruckt weiter. Garküchenessen auf der Straße, das um diese Mittagszeit viele der Einwohner einnahmen, stärkte für den Rest der verbleibenden Zeit. Der Weg zum Schiff, zu Fuß rückwärts auf Tony Wus Route, gelang mühelos. Um 17 Uhr hieß es "Leinen los" an Bord. Es ging weiter, nun auf Japan zu.

Kenner wird man nicht so schnell

Yokohama, Kobe und Hiroshima waren dort die Häfen, die unser Schiff anlief. Was soll man viel erzählen? Zum Japankenner wird ein Kreuzfahrtreisender gewiss nicht. Aber ein paar Erfahrungen macht er schon: Wie die Menschen sind an fremden Orten, wie es zugeht in ihrem Alltag auf den Straßen, in den Geschäften, in Cafés und in kleinen Lokalen, wie sie Besuchern aus ungekannter Ferne begegnen, wie sie selbst zu verstehen versuchen, was ihnen fremd ist. Ein Weltreisender macht mancherlei tolle Erfahrungen und hat eine Menge neuer Dinge kennen gelernt. Er ist aber nicht zum Weltenkenner, nicht zum Fremdweltenspezialisten geworden.

Yokohama war großartig, Kobe lustig, überraschend, überwältigend. Von Yokohama aus konnten die Passagiere einen Blitz-Bus-Besuch in Tokio buchen. Eine Mitreisende fasste selbstbewusst ihre Unsicherheit nach der Rückkehr so zusammen: "Tokio ist ein Monster - aber interessant." Was soll ein auf See Weltreisender auch anderes sagen nach drei Stunden Berührung mit einer Millionenstadt? Meist sieht man nur, was man schon weiß: Tokio ist ein Monster.

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