


Wenige Wochen vor Beginn der Weltnaturkonferenz im kanadischen Montreal zeigt ein Bericht der Umweltorganisation WWF, welche dramatischen Ausmaße der weltweite Schwund von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien bereits angenommen hat. In nur knapp 50 Jahren hat die Menschheit durchschnittlich 69 Prozent der beobachteten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien vernichtet.
Die nicht ganz so schlechte Nachricht des aktuellen Living Planet Reports ist, dass der Schwund sich nicht weiter beschleunigt hat. „Seit 2015 knickt die Kurve nicht mehr weiter nach unten ab, sondern stagniert auf sehr niedrigem Niveau“, sagt Christoph Heinrich vom WWF Deutschland. Ziel müsse sein, dass sich die Bestände erholen, so dass die Kurve wieder nach oben zeigt.
Um den Schwund der Wirbeltiere auf der Welt zu quantifizieren, hat der WWF gemeinsam mit der Zoological Society of London (ZSL) den sogenannten „Living Planet Index“ entwickelt, der alle zwei Jahre neu berechnet wird. Die Indexkurve zeigt die durchschnittliche prozentuale Veränderung der erfassten Tierbestände seit dem Jahr 1970. In die aktuellen Berechnungen flossen Daten aus knapp 32000 Wirbeltierbeständen ein. Seit dem letzten Bericht aus dem Jahr 2020 sind Daten von 838 Arten aus 11011 Populationen dazugekommen.
Besonders schlecht geht es den Ergebnissen zufolge Süßwasserarten, Tieren also, die in Flüssen, Seen oder Feuchtgebieten leben. Ihre Bestände sind im Schnitt um 83 Prozent zurückgegangen. „In keinem anderen Ökosystem gibt es weltweit derart gravierende Rückgänge“, sagt Heinrich. Europa ist da keine Ausnahme. Auch in Deutschland haben Süßwasserorganismen mit vielen verschiedenen schädlichen Einflüssen zu kämpfen: Unter anderem gehen immer mehr Moore und Sümpfe verloren und Staudämme in Flüssen unterbrechen die Wanderwege von Fischen.
Doch es gibt auch Positivbeispiele, die zeigen, dass sich Arten auch wieder erholen können, wenn sie ausreichend geschützt werden. Die Population der Tiger in Nepal etwa ist mittlerweile wieder auf mehr als 235 Individuen angewachsen, 2009 gab es nur noch 121 Exemplare. Eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes sind auch die Seeadler in Schleswig-Holstein. 1945 gab es dort nur noch ein einziges Paar. Mittlerweile sind es immerhin wieder 57.







Der Klimawandel spielt dem Bericht zufolge für den Schwund von etwa 15 Prozent der untersuchten Arten eine Rolle. Laut dem Weltklimarat (IPCC) wird sich die Wirkung der Klimakrise auf die Artenvielfalt in Zukunft aber erhöhen, je nachdem, wie stark die Temperaturen ansteigen. Bei einer globalen Erderhitzung um 1,5 Grad nimmt der Anteil der Arten mit hohem Aussterberisiko beispielsweise um vier Prozent zu. Erhöht sich die Erhitzung um 3 Grad, steigt der Anteil auf 26 Prozent.

Zu denjenigen Arten, auf die sich der Klimawandel schon jetzt negativ auswirkt, gehören beispielsweise Meeresschildkröten: aufgrund der Hitze schlüpfen mancherorts nur noch weibliche Tiere, die dann keinen Partner mehr finden, um sich zu vermehren. Und aus Europa und den USA gebe es Berichte, dass Hummeln aufgrund von Hitzewellen lokal verschwunden seien, sagt Arnulf Köhnke, der beim WWF Deutschland für den Artenschutz zuständig ist.


Grundsätzlich verstärken sich Klima- und Artenkrise gegenseitig, weil höhere Temperaturen, mehr oder weniger Niederschläge und häufigere Extremwetter die Zusammensetzung der Spezies in Ökosystemen verändern. Dieses veränderte Artenspektrum wirkt sich dann wieder auf die Stickstoff-, Kohlenstoff-, und Wasserkreisläufe und damit auf das Klima aus.
Auf der Weltnaturkonferenz in Montreal sollte es deshalb nach Ansicht der Artenschützer nicht nur um Lösungen für die Biodiversitätskrise gehen, sondern auch um die Begrenzung der Erderwärmung.