SZ-Gesundheitsforum
Cannabis zwischen Gut und Böse
Immer mehr Menschen konsumieren Cannabis als Rauschmittel oder als Medikament. Doch wie gefährlich oder hilfreich sind die Substanzen aus der Hanfpflanze wirklich? Das SZ-Gesundheitsforum beantwortet die wichtigsten Leserfragen zum gesundheitlichen Risiko der Droge, zur Debatte um eine Legalisierung und zum Einsatz in der Medizin.
Von Christina Berndt und Franziska Dürmeier
Cannabis als Droge
Schon seit Jahrtausenden wird die Hanfpflanze als Rauschmittel genutzt. Denn ihre Inhaltsstoffe haben eine entspannende, beruhigende, aber auch stimmungssteigernde und wahrnehmungsverändernde Wirkung. Diese geht vornehmlich von der Substanz THC (Tetrahydrocannabinol) aus, die sich nur in Bestandteilen der weiblichen Pflanze findet. Von dieser werden meist die getrockneten Blütenblätter (Marihuana) oder das Harz (Haschisch) verwendet. Der Wirkstoff CBD aus der Hanfpflanze gilt dagegen als Gegenspieler des THC. Doch so alt die Tradition des Cannabis-Konsums auch ist: Die Droge ist inzwischen eine andere geworden. So hat sich der THC-Gehalt in Cannabis allein in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, deshalb ist das Cannabis von heute nicht mehr mit der Droge der 1970er-Jahre zu vergleichen. Zudem ist der Konsum stark gestiegen - in den vergangenen Jahren fast um das Doppelte. Psychologen und Psychiater warnen zunehmend vor den Folgen für die seelische Gesundheit. Wie Cannabis im Gehirn wirkt, wer besonders vulnerabel ist und ob es Cannabistote gibt:
Wieso wird der heute höhere THC-Gehalt im Cannabis oft als Problem bezeichnet? Müssen die Konsumenten nicht einfach weniger dosieren?
Das Cannabinoidprofil der Cannabisprodukte hat sich im letzten Jahrzehnt stark verändert, wie internationale Monitoring-Programme zeigen. Der Anteil an dem psychoaktiven Wirkstoff THC ist deutlich höher geworden, dagegen ist das schützend wirkende CBD oft nur noch wenig oder gar nicht mehr vorhanden. Die Konsumenten haben unterschiedliche Vorlieben: Manche mögen eine nicht so starke Wirkung. Sie gleichen den hohen THC-Gehalt aus und dosieren geringer. Doch andere bevorzugen die starke Wirkung der Droge. Experimentelle Studien haben gezeigt, dass insbesondere ein geringer CBD-Gehalt bei hohem THC-Gehalt zu einen intensiveren Rauscherleben führt. In den USA wird deshalb eine entsprechende Kennzeichnung der legal erhältlichen Cannabis-Produkte gefordert. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Der Cannabis-Wirkstoff THC erzeugt einen Rausch, es passiert also etwas im Gehirn. Kann es da sein, dass Cannabis keinerlei Auswirkungen auf die Psyche hat, wie manche Studien behaupten?
Cannabis kann als psychoaktive Substanz unser Fühlen, Denken und Handeln verändern. Wenn THC konsumiert wird, wandert es durch den Körper auch ins Gehirn. Es bindet dort an spezifische Schlüsselstellen, den sogenannten Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 (CB1-Rezeptoren) und beeinflusst dadurch Nervenzellen. So entstehen seine vielfältigen Effekte. CB1-Rezeptoren kommen besonders häufig in Gehirnbereichen vor, die mit Bewegung, Koordination, Lernen, Gedächtnis, Gefühlen und Belohnung assoziiert werden. Bei längerem, intensivem Konsum kann es zu Beeinträchtigung der Lern- und Erinnerungsleistung kommen. Auch eine Auswirkung auf die Intelligenz wurde in einigen, aber nicht in allen Studien bestätigt. Wenn Menschen ihren Cannabiskonsum stoppen, können sich die kognitiven Einbußen eventuell wieder zurückbilden. Es ist aber noch unklar, ob und nach welcher Zeit der Abstinenz. Vor allem bei Jugendlichen, die noch vor dem 15. Lebensjahr mit dem Konsum von Cannabis begonnen haben und viel davon konsumieren, kann längerfristig auch der Bildungserfolg eingeschränkt sein. Bei vulnerablen Personen gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Cannabisgebrauch und einem erhöhten Risiko für spätere psychische Erkrankungen (wie zum Beispiel Cannabisabhängigkeit, Depressionen, Angststörungen, Bipolare Störungen oder Psychosen). Hier scheint es einen Dosis-Wirkungs-Effekt zu geben: Je mehr und je intensiver Cannabis gebraucht wird, desto größer wird das Risiko, zu erkranken. Die Entstehung von psychischen Störungen ist natürlich immer ein komplexes Zusammenspiel aus Veranlagung und verschiedenen Stressoren, aber Cannabis kann einer dieser Risikofaktoren sein. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Wie schädlich ist der Cannabis-Gebrauch für das erwachsene Gehirn? Ist bereits der erste Joint schädlich?
Das Ausmaß ist schwer zu bemessen. Es gibt aber Empfehlungen für einen risikoarmen Cannabisgebrauch. Sie wurden von einer internationalen Forschergruppe um den Kanadier Benedikt Fischer entwickelt. Sie lauten: (1) Der effektivste Weg, um cannabisbezogene, gesundheitliche Risiken zu vermeiden, ist Abstinenz. (2) Ein früher Beginn des Cannabiskonsums soll verhindert werden. (3) Es sollen Produkte mit niedrigem Gehalt an dem psychoaktiven Wirkstoff THC oder einem ausgeglichenen Anteil von THC und seinem Gegenspieler CBD gebraucht werden. (4) Synthetische Cannabinoide sollen vermieden werden. (5) Cannabis soll nicht geraucht und verbranntes Cannabis nicht inhaliert werden. (6) Tiefe oder andere riskante Inhalationspraktiken sollen vermieden werden. (7) Eine hohe Konsumfrequenz (also täglicher oder fast täglicher Cannabiskonsum) soll vermieden werden. (8) Kein Fahren unter Cannabiseinfluss. (9) Risikogruppen für cannabisbezogene Gesundheitsprobleme sollten Cannabis gar nicht konsumieren. (10) Vermeidung einer Kombination der oben genannten Risiken (wie früher Konsumbeginn und häufiger Gebrauch). PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Wie groß ist das oft angeführte Psychose-Risiko von Cannabis-Nutzern im Vergleich zu Leuten, die regelmäßig Alkohol bzw. Psychopharmaka zu sich nehmen?
Cannabis erhöht, bei vulnerablen Menschen, das Risiko für die Entwicklung einer psychotischen Störung. In vielen klinischen Studien hat sich das Risiko auch dann noch als relevant erwiesen, nachdem andere Risikofaktoren wie Alkohol, Tabak und anderen Substanzen herausgerechnet wurden. Die Studien legen einen dosisabhängigen Zusammenhang nahe: Je mehr und je früher Cannabis konsumiert wird und je höher der THC-Gehalt der Substanz ist, desto höher ist auch das Psychose-Risiko. Eine Studie, in der das Psychose-Risiko von Cannabis, Alkohol und Psychopharmaka miteinander verglichen wurde, ist mir nicht bekannt. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Gibt es genetische Unterschiede, die vulnerabler für die Folgen von Cannabis machen?
Kürzlich hat die Washington University School of Medicine gemeinsam mit einer internationalen Forschergruppe einen Zusammenhang zwischen Cannabisabhängigkeit und einer Region auf der menschlichen DNA nahe einem Gen namens FOXP2 gefunden. Dieses Gen war zuvor mit Risikoverhalten in Verbindung gebracht worden. Die Forscher analysierten die DNA und andere Daten von mehr als 21 000 Menschen mit einer diagnostizierten Cannabiskonsumstörung und 360 000 Menschen ohne diese Diagnose. Auch das CHRNA2-Gen wurde von der Forschergruppe als relevant für eine Cannabisabhängigkeit eingeschätzt. Es spielt wohl ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung von Nikotinabhängigkeit. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Ist die These der Einstiegsdroge wissenschaftlich haltbar?
Epidemiologische Studien aus Australien, Neuseeland und den USA haben gefunden, dass regelmäßige Cannabiskonsumenten mit einer größeren Wahrscheinlichkeit später auch Heroin und Kokain nahmen. Je jünger sie waren, desto eher nahmen sie andere Drogen. Das kann mehrere Gründe haben: So haben Cannabiskonsumenten womöglich mehr Gelegenheiten, andere Substanzen zu konsumieren; die Effekte von Cannabis könnten zu einem verstärkten Interesse an anderen Drogen führen oder Menschen, die Cannabis ausprobieren, sind aufgrund persönlicher Faktoren auch anderen Drogen zugeneigt, etwa aufgrund von Impulsivität oder Sensation-Seeking. Darüber hinaus wurde die Frage nach der Einstiegsdroge auch in Tierversuchen untersucht. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Ratten, die in ihrer Jugend Cannabis bekommen hatten, im Erwachsenenalter eine Vorliebe für Opiate entwickelten. Ähnliche Ergebnisse wurden für Kokain gefunden. Da die Effekte teilweise bis ins Erwachsenenalter der Tiere reichten, schlussfolgerten die Wissenschaftler, dass THC-Gebrauch in der Jugend unter bestimmten Bedingungen langanhaltende Effekte auf die Neigung zum Substanzgebrauch haben kann. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Warum werden diese Pflanze und ihre Derivate so verteufelt? Ist es richtig, dass dies seit gut 90 Jahren geschieht? Und hängt das mit Harry Anslinger zusammen, der der Pharmaindustrie (DuPont) nahestand und Angst vor Beschäftigungslosigkeit wegen des Endes der Alkoholprohibition hatte?
Die kritische Sicht auf Marihuana und Cannabis in der westlichen Welt und vor allem in den USA hängen in der Tat mit den Aktivitäten von Harry Anslinger zusammen. Hierfür gibt es viele Gründe, die aber meines Erachtens weniger auf die Pharmaindustrie zurückzuführen sind, sondern mehr auf Überfremdungsängste in den USA zu jener Zeit. Aus meiner Sicht steht es außer Frage, dass Cannabis ein hohes Sucht- und – vor allem bei Heranwachsenden – Schädigungspotential hat und alle Eigenschaften einer klassischen Droge aufweist. Aber es gibt, wie im Gesundheitsforum dargestellt, auch potentiellen medizinischen Nutzen, was sich in zugelassenen Cannabis-Präparationen mit definierten Indikationen widerspiegelt. Außerhalb dieser Indikationen (als Zweitlinientherapie bei Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Tumortherapie, Behandlung von Spastik bei Multipler Sklerose) ist die Datenlage jedoch noch verbesserungsbedürftig. Prof. Dr. Thomas Gudermann, Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universität München
Wie viele Menschen sterben an Hanf?
Ein Argument von Befürwortern für die Liberalisierung ist der Hinweis, dass Cannabiskonsum nicht tötet. Im Gegensatz zu Alkohol zum Beispiel. Es ist richtig, dass man durch das klassische Rauchen von Cannabis zwar Symptome einer Überdosis erfahren kann, die den Konsument*innen auch zum Teil große Angst macht, tatsächlich zu sterben. Allerdings verfliegen diese Symptome in der Regel wieder. Mehrere Studien berichten von einer Zunahme an Anrufen bei Notfallzentralen und Einlieferungen ins Krankenhaus aufgrund solcher Symptome. Diese gehen hauptsächlich auf den Konsum von sehr hoch konzentrierten essbaren Cannabisprodukten zurück. Sterben muss hieran jedoch in der Regel niemand.
Gleichzeitig weisen dezidierte Gegner von liberalen Cannabisregulierungen – gerade in den USA – immer wieder darauf hin, dass es eben sehr wohl Cannabistote gebe. Konkret werden hier vor allem Verkehrstote aufgeführt, da es unter dem Einfluss von Cannabis zu Unfällen kommt. Die Anzahl an solchen tödlichen Unfällen sei im Zuge von Legalisierungen gestiegen. Zusätzlich werden als Beleg hierfür mehrere Todesfälle in den USA aufgeführt, die im Jahr 2019 auf das sogenannte Vaping von Cannabisprodukten zurückgeführt wurden. Hier wurden in vielen Fällen flüssige Cannabisprodukte für diese Todesfälle verantwortlich gemacht.
Legalisierungsgegner verweisen deshalb darauf, dass gerade in kommerzialisierten Märkten mit großer Produktvielfalt eben auch große und bislang ungeahnte Gefahren bzgl. der Produktsicherheit existieren. Legalisierungsgegner halten dagegen, dass viele dieser problematischen Präparate eben nicht dem legalisierten Markt entsprungen seien, sondern Schwarzmarktprodukte seien. Gerade das spricht aus ihrer Sicht für eine regulierte Legalisierung. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Legalisierung von Cannabis
In Deutschland ist der Besitz von Cannabisprodukten nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten und kann eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Der Konsum an sich ist aber erlaubt. In der Regel werden Strafverfahren bei "Kleinstmengen" nicht weiterverfolgt. Befürworter einer Legalisierung argumentieren oft, dass Alkohol weitaus gefährlicher sei und gerade die Kriminalisierung zu einem unkontrollierten Markt führe. Was davon zu halten ist, welche Auswirkungen eine Legalisierung in anderen Ländern hatte und welchen Ursprung das Cannabisverbot hat:
Es gibt nun etliche Länder und US-Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert haben. Haben sich die Befürchtungen zum vermehrten Konsum unter Jugendlichen dort bewahrheitet?
Das kann man jetzt noch nicht klar sagen. Einerseits haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet. So zeigt sich in Kanada kein Anstieg des illegalen Konsums unter Jugendlichen. Aber entscheidend ist, ob sich dieser Anstieg noch einstellen wird. Die Befürchtung war ja ohnehin nicht, dass sich der Konsum über Nacht drastisch erhöht. Denn gerade für Jugendliche bleibt der Erwerb ja weiter illegal. Vielmehr ist die Befürchtung, dass sich durch die zunehmende Normalisierung von Cannabis das Konsumverhalten langfristig ändert. Tabak und Alkohol werden hier häufig angeführt. Denn gerade im Bereich Tabak hat es Jahrzehnte gedauert, um Rauchen in der Gesellschaft eben nicht mehr als normal erscheinen zu lassen, so dass es nun langsam aber stetig – auch im Zuge von immer strengerer Regulierung – zu einem Rückgang von Rauchen (auch bei Jugendlichen) gekommen ist. Regulierung wirkt hier auf zwei Wegen. Einerseits indem Sie direkt unmittelbar Handlungswege ermöglicht oder verwehrt. Andererseits, indem sie langsam Teil von dem wird, was wir als normal empfinden und was somit unsere Werte und Kultur prägt. Eben wie beim Alkohol. Alkoholkonsum wird in Deutschland weitestgehend als völlig normal gesehen. Gerade dadurch wird der starke Konsum beeinflusst. Ein Alkoholverbot würde den Konsum von Alkohol wohl – gerade kurzfristig – nicht völlig auflösen. Er ist so sehr in unserer Kultur verankert, dass Menschen hier wohl zu illegalen Möglichkeiten greifen würden.
Gleichzeitig zeigt sich aber, dass sich der Schwarzmarkt nicht so schnell und einfach auflösen lässt, wie erhofft. In Kalifornien gehen offizielle Schätzungen davon aus, dass 70 Prozent aller Transaktionen über den Schwarzmarkt laufen. Auch hier ist jedoch die Frage, ob sich dieses Problem nicht einfach im Laufe der Zeit auflösen wird, insbesondere indem weitreichender legalisiert wird und auch die Preise reduziert werden. Sollte jedoch die Nachfrage von Jugendlichen steigen, dann wird sich der Schwarzmarkt kaum ganz auflösen. Auch hierfür ist Alkohol ein Beispiel. Denn der illegale Konsum von Alkohol bei Jugendlichen ist ein Problem.
Am deutlichsten zeigt sich ein Konsumanstieg von Cannabis bei Erwachsenen, vor allem bei jungen Erwachsenen unter 40. Ob dieser per se problematisch ist oder nicht, ist die Frage. Die US-Gruppe Smart Approaches to Marijuana (SAM) gibt regelmäßig einen Bericht zu diesen Entwicklungen heraus: https://learnaboutsam.org/ Dieser Bericht unterstreicht sehr stark die negativen Entwicklungen. Allerdings ist dies auch eine politische Gruppe, die Legalisierungen sehr kritisch gegenübersteht. Eine ausgewogenere Zusammenfassung der Forschung liefern zum Beispiel Hall und Lynesky hier: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/wps.20735
Ich denke, dass es derzeit noch zu früh ist für gesicherte Erkenntnisse über die Erfahrungen mit Legalisierung. Dokumentierte Probleme können sich durchaus noch auflösen. Gleichzeitig können sich aber derzeit noch ausbleibende Probleme noch entwickeln. In fünf bis 10 Jahren lässt sich hier wahrscheinlich deutlich mehr sagen. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Gibt es in Ländern und Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert haben, mehr gesundheitliche Probleme oder auch Einweisungen in Psychiatrien?
Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Anzahl der Anrufe bei Notrufstellen und Vergiftungszentralen in legalisierenden US-Bundesstaaten gestiegen ist. Auch die Notfalleinlieferungen in Krankenhäuser aufgrund von Cannabiskonsum hat zugenommen Außerdem gibt es Hinweise auf einen Anstieg an Verkehrsunfällen aufgrund von Cannabiskonsum. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Für psychiatrische Gesundheitsfolgen und Notfälle gibt es nach meinem Kenntnisstand keine eindeutige Antwort auf diese Frage. In Colorado ist seit der Legalisierung die Zahl der Krankenhauseinweisungen im Zusammenhang mit Cannabis angestiegen. So kam es vermehrt zu Vergiftungen bei Kindern, Überdosierungen bei Erwachsenen, Verkehrsunfällen, Sucht/Abhängigkeit – und zugleich tragen Psychosen und Schizophrenie, Suizide, Selbstverletzungen, Depressionen und andere affektive Störungen häufiger auf. Aber das Bild für die USA ist nicht homogen, was auch daran liegt, dass die US-Bundesstaaten Cannabis nicht einheitlich legalisiert haben und es kein systematisches Monitoring der Folgen gibt. Einen sehr guten und ausgewogenen Übersichtsartikel finden Sie hier: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/wps.20735 PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Sind Prohibition und Jugendschutz gleichzeitig möglich?
Liberalisierungsbefürworter gehen davon aus, dass beides zugleich nicht möglich ist. Legalisierungsgegner sehen das natürlich anders. Die Frage zu entscheiden, ist aus meiner Sicht schwierig. Egal ob ich Cannabis generell verbiete oder einen legalisierten Markt hierfür schaffe, die Effektivität des Jugendschutzes hängt davon ab, ob es einen Schwarzmarkt gibt oder eben nicht. Nur wenn es keinen solchen Schwarzmarkt gibt, ist Jugendschutz wirklich effektiv möglich.
Gleichzeitig sollte man jedoch die Effektivität des Jugendschutzes nicht einfach nur als entweder effektiv oder gescheitert bezeichnen. Hier gibt es sehr wohl Abstufungen. So wird Jugendschutz umso wirksamer, je kleiner der Schwarzmarkt und damit die Verfügbarkeit für Jugendliche ist. Jugendschutz ist somit auch im Rahmen von Prohibition möglich. Streng genommen ist die Prohibition ja ein Versuch, Jugendliche vor den Gefahren von Cannabis zu schützen. Natürlich ist Jugendschutz hier nicht zu 100 Prozent effektiv, da es eben einen beträchtlichen Schwarzmarkt für Cannabis gibt. Ob Jugendschutz hier wesentlich besser oder wesentlich schlechter funktioniert als im legalisierten Markt, hängt entscheidend davon ab, wie sich der Schwarzmarkt im legalisierten Markt entwickeln würde. Ist dieser wesentlich kleiner als im Verbotssystem? Oder ist dieser sogar größer als im Verbotssystem? Sowohl in den USA als auch in Canada haben sich die Schwarzmärkte in legalen Cannabis-Märkten bislang noch nicht aufgelöst. Solange solch beträchtliche Schwarzmärkte verbleiben, ist es fraglich ob Jugendschutz unter Verbotssystemen wesentlich schlechter oder nicht sogar ähnlich bzw. besser funktioniert als in legalen Märkten.
Ein anderes wesentliches Kriterium ist natürlich, der (illegale) Konsum von Jugendlichen. Sollte sich dieser in legalisierten Märkten ausweiten, wäre hier ja noch weniger Jugendschutz geboten als im Verbotssystem. Aktuell deuten jedoch zumindest die Entwicklungen in Canada, Washington State und Colorado nicht auf einen solchen Anstieg des Konsums bei Jugendlichen hin. Dies könnte so interpretiert werden, dass hier Jugendschutz mindestens genauso gut funktioniert wie im Verbotssystem, da der illegale Konsum von Jugendlichen konstant zu bleiben scheint. Die Befürchtung ist jedoch, dass sich dieser im Laufe der nächsten Jahre im Zuge einer weitergehenden Normalisierung von Cannabis jedoch noch einstellt. Dies werden wir in den nächsten Jahren immer besser bewerten können. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Warum wurde Cannabis ursprünglich verboten?
Es ist gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten. Es war allerdings kein rein nationaler Entscheidungsprozess. Vielmehr waren Abstimmungen auf internationaler Ebene in den 1920er-Jahren entscheidende Treiber. Dabei ging es allerdings nicht nur um Cannabis, sondern um verschiedenste Drogen, für die internationale Abkommen getroffen werden sollte. Denn Anbau und Handel waren hier schon immer internationale und keine rein nationalen Phänomene. Bis heute ist die internationale Ebene wichtig für diesen Bereich. Das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel der Vereinten Nationen ist bis heute ein wichtiger Baustein des nationalen Umgangs mit Cannabis. Denn dieses Abkommen verpflichtet die Mitgliedsstaaten eigentlich weiterhin zu einem restriktiven Umgang mit Cannabis. So gibt es Stimmen, die in der Legalisierung von Cannabis einen Verstoß gegen dieses Abkommen sehen. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Warum wird der Verkauf von Drogen Kriminellen überlassen?
Das ist natürlich – wenn Sie mir dies gestatten – eine etwas tendenziöse Frage. Anders herum könnte man zurückfragen: Darf der Staat denn gar nichts verbieten, solange es Kriminelle gibt, die dann diese Lücke füllen? Oder etwas provokant und überspitzt gefragt: Warum wird der Menschenhandel denn Kriminellen überlassen? Was diese beiden Fragen wohl trennt ist die unterschiedliche Bewertung von Menschenhandel und Drogenverkauf. Während sich wohl alle einig sind, dass der illegale Menschenhandel – vor allem mit jungen Frauen zum Zwecke der Prostitution – eine inakzeptable und verwerfliche Praxis ist, wird der Verkauf von Cannabis von immer mehr Menschen (und politischen Parteien) als eine Praxis gesehen, unter der eigentlich niemand schwer leidet und deshalb ein solches Verbot des Verkaufs eben nicht wirklich angezeigt ist.
Gleichzeitig fällt die Bewertung davon, wie gefährlich eine legale Freigabe von Cannabis tatsächlich für die Gesellschaft ist, zwischen den Parteien – und übrigens auch innerhalb der Wissenschaft – weiterhin sehr unterschiedlich aus. Konkret denke ich, dass Deutschland aktuell Cannabis weiterhin verbietet, weil insbesondere CDU/CSU die gesellschaftlichen Gefahren anders einschätzen als zum Beispiel die Linke oder insbesondere Bündnis90/Die Grünen. Das ist jedoch nur ein Teil der Antwort. Denn auch schon 1998 traten die Grünen mit einem Legalisierungsvorhaben in den Bundestagswahlkampf ein und hätten unter Rot-Grün die Möglichkeit gehabt, eine Legalisierung voranzutreiben. Am Ende zeigte sich jedoch, dass bei der Abwägung davon wie wichtig die Legalisierung von Cannabis zum Beispiel im Vergleich zu Themen wie Atomausstieg, Umweltschutz usw. ist, das Thema Cannabis eben doch nicht die höchste Priorität genießt.
Von daher bleibt Deutschland derzeit wohl bei seinem Verbotssystem aufgrund (a) einer Mischung aus unterschiedlichen – und durchaus berechtigt unterschiedlichen – Ansichten bei diesem Themas, (b) der Dominanz der Union im Bund und (c) der Tatsache, dass diese Thema für das Gros der Wählerinnen und Wähler keine allzu große Bedeutung hat und damit im politischen Verhandlungsprozess eben durchaus auch schon mal fallen gelassen wird, um wichtigere Ziele zu erreichen. In den USA wird letzteres eben mit dem Hinweis darauf beschrieben, dass die Unterstützung für Cannabislegalisierung zwar meilenweit, aber nur ungefähr einen Zentimeter tief reicht. So ist das auch bei uns. Die Unterstützung für Legalisierung in der Bevölkerung ist zwar durchaus beträchtlich, aber nur eine sehr kleine Wählergruppe schriebt dem Thema eine sehr große Bedeutung zu. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Bestehen aktuell gesetzgeberische Diskussionen darüber, die Strafbarkeit des Besitzes/Erwerbs zu dekriminalisieren und als Ordnungswidrigkeit auszugestalten?
Dies ist mit einem klaren Jein zu beantworten. Denn einerseits sehen fast alle Parteien, mit Ausnahme der CDU/CSU und AfD, die „Verbotspolitik als gescheitert“ an. Gleichzeitig betonen viele Parteien hier derzeit eher direkt eine Legalisierung oder die Einführung von Modellprojekten zur Evaluierung der Wirksamkeit von Legalisierungen.
Erst Ende Oktober gab es hierzu wieder Debatten im deutschen Bundestag. Die SPD hat sich intern wohl auf eine solche Dekriminalisierung in Verbindung mit der Prüfung von Modellprojekten für eine Legalisierung verständigt. Ob die SPD jedoch darüber hinaus eine Legalisierung unterstützen würde, ist unklar. Die LINKE spricht sich ebenfalls für eine Dekriminalisierung aus, zeigt sich jedoch in den letzten Jahren auch immer offener bereit für eine darüberhinausgehende Legalisierung. Bündnis90/Die Grünen bewerben eine Legalisierung im Rahmen ihres Cannabiskontrollgesetzentwurfes. Somit befürworten wohl LINKE, Grüne, FDP und SPD eher eine Dekriminalisierung. Gleichzeitig dominiert die politische Diskussion aktuell eher die Debatte um eine direkte Legalisierung bzw. zumindest die Debatte um die Schaffung von Modellprojekten für eine solche Legalisierung. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Warum bleibt Cannabis weiterhin verboten, obwohl es in den Parteien durchaus Legalisierungsbefürworter gibt und der Cannabiskonsum unter jungen Leuten in Deutschland trotz des Verbots weiter gestiegen ist?
Die einfachste Antwort ist wohl: Legalisierungsbefürworter haben keine Mehrheit im deutschen Bundestag. Und als Bündnis90/Die Grünen 1998 als Teil der rot-grünen Bundesregierung die Möglichkeit zur Liberalisierung hatte (diese war sogar Teil ihres Wahlkampfes), wurde dem Thema offensichtlich zu wenig Bedeutung beigemessen. Warum das so war, ist Spekulation. Wahrscheinlich weil der Koalitionspartner SPD kein Interesse an einer Legalisierung hatte und auch der Realo-Flügel innerhalb der Grünen die Cannabisfrage nicht als drängend genug gesehen hat.
Aber Ihre Frage zielt wohl darauf ab, ob es überhaupt legitim sein kann, die Verbotspolitik zu verteidigen. Der Verweis auf die ca. 4 Millionen Konsumenten und den steigenden Konsum wird häufig für ein Scheitern der Verbotspolitik angeführt. Tatsächlich weist dies auf ein beachtliches Problem der Verbotspolitik hin. Gleichzeitig ist diese Verbotspolitik aber wohl erst dann wirklich als gescheitert zu sehen, wenn sie deutlich schlechter funktioniert als mögliche Alternativen. Wenn also das Ziel ist, dass so wenig Menschen wie möglich kiffen, dann ist die Frage, ob unter dem Verbot, einer Dekriminalisierung oder in einem legalen Markt mehr Leute kiffen würden. Hierzu wissen wir, relativ gesichert, dass eine Dekriminalisierung, die konsequent mit Suchthilfemaßnahmen flankiert wird (wie in Portugal), nicht zu einem starken Anstieg an Konsumenten führt. Andererseits deutet sich eine solcher Anstieg in legalisierten Märkten schon an.
Wenn es jedoch gar nicht um Erwachsene geht, sondern um Jugendliche, dann zeigt sich in der Tat derzeit – zum Beispiel in Kanada – kein starker Anstieg des illegalen Konsums von Jugendlichen. Die entscheidende Frage ist, ob sich dieser Anstieg noch einstellen wird (siehe Fragen oben). Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Was ist Ihrer Meinung nach das effektivste bzw. schlagfertigste Argument, um die Bundesregierung von einer "gerahmten" Legalisierung zu überzeugen?
Das ist eine gute Frage. Kurz: wahrscheinlich keines. Es werden ja seit Jahrzehnten dieselben Argumente ausgetauscht. Die SPD scheint eigentlich überzeugt zu sein, stellt jedoch aktuell, als Koalitionspartner, Cannabis anderen politischen Interessen hintenan. Denn für viele Wähler*innen ist das Thema Cannabis nicht das drängendste Thema. Interessanterweise gibt es bei solchen klassischen Debatten ja ohnehin kaum die Möglichkeit, die Gegenseite „zu überzeugen“ und tatsächlich zu einer Meinungsänderung zu bewegen. Auch in den USA oder bei uns wird die sich wandelnde öffentliche Meinung eher auf demographischen Wandel als auf Meinungsänderungen zurückgeführt.
Was die Sache jedoch verändern könnte, sind die Legalisierungsexperimente in vielen US Bundesstaaten, in Kanada oder auch Uruguay. Hier werden immer mehr empirische Daten verfügbar, die die klassische Debatte bereichern können. Sollte sich zeigen, dass sich die Schwarzmärkte weitestgehend auflösen, dass sich der Konsum von Jugendlichen nicht drastisch erhöht und auch sonst unerwünschte Nebenwirkungen ausbleiben, wird das wohl den größten Effekt haben.
Solange jedoch große Schwarzmärkte trotz Legalisierung überleben, wie eben in Kanada, Kalifornien und anderen Ländern, wird wohl eher das Gegenteil der Fall sein. Anstatt von Überzeugung wird das Thema wohl ohnehin viel eher von machtpolitischen Überlegungen entschieden werden. Sollte es zu einer Koalition von CDU/CSU/Grünen kommen, könnte es sein, dass die Grünen unter Druck gesetzt werden, für die Umsetzung einer etwas ehrgeizigeren Klimapolitik ihre Cannabisvorhaben hintenanzustellen. Bei einer Rot-Rot-Grünen Koalition gäbe es eigentlichen keinen wirklichen Vetospieler mehr, der nicht zumindest die Einführung von Modellprojekten oder eine Dekriminalisierung befürworten würde. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Aus dem durchs Grundgesetz garantierten Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung leitet sich das Recht auf Wagnis ab, mit dem man beispielsweise ein Motorrad kaufen kann, obwohl Autos viel ungefährlicher sind. Bezieht man diese Logik auf die Substanzen Alkohol und Cannabis, besteht dann nicht ein immenses Missverhältnis?
Alkohol ist dabei wohl das Motorrad mit 240 PS, um in ihrem Bild zu bleiben. Das Argument, dass Alkohol viel gefährlicher ist als Cannabis und aus diesem Grund Cannabis liberalisiert werden sollte, wird häufig angeführt. Der Befund, dass Alkohol gefährlicher ist, ist durchaus richtig. Die Schlussfolgerung ist jedoch nicht alternativlos. Denn man könnte umgekehrt genauso gut argumentieren, dass der Alkohol restriktiver reguliert werden sollte, um den Konsum zu „entnormalisieren“ und ihn dadurch zu senken. Denn gerade Alkohol ist überall verfügbar und sehr billig. Zudem wird hier häufig recht lax mit Jugendschutzbestimmungen umgegangen. Genau davor warnen viele Public-Health-Advokaten auch im Zusammenhang mit Cannabis. Sie wollen eine solche schleichende Normalisierung verhindern, damit am Ende nicht so viele Menschen einen problematischen Konsum von Cannabis an den Tag legen, wie dies beim Alkohol der Fall ist. Zudem befürchten sie, dass sich schnell eine finanzstarke Cannabis-Lobby entwickeln würde, vor allem wenn es zu einer stark kommerzialisierten Legalisierung kommen sollte. Wie schwierig es ist, gegenüber mächtigen Lobbyambitionen langfristig Public-Health-Interessen zu wahren, zeigen die Probleme beim Tabak und beim Alkohol. Trotz der starken wissenschaftlichen Evidenz zu den Gefahren des Rauchens dauerte es Jahrzehnte, bis die Politik hier wirklich aktiv wurde. Es gibt hier also gewiss ein Missverhältnis. Was daraus folgen muss, darüber kann man sicherlich diskutieren. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Weshalb ist nicht einmal der Eigenanbau für Patienten möglich – nicht einmal, wenn es sich nur um Nutzhanf handelt, der keine berauschende Menge an psychoaktiven Cannabinoiden beinhaltet? Hier wird oft argumentiert, man könne (wenn auch mit unaufbringlich hohem Aufwand) das restliche THC aus dem Nutzhanf extrahieren... Aber ist das Verbot somit gerechtfertigt?
Das Cannabis-Gesetz hatte unter anderem zum Ziel, solche problematischen Entwicklungen wie den Eigenanbau zu medizinischen Zwecken zu vermeiden, da in diesen Fällen keine Qualitätsprüfung erfolgen kann und die Sicherheit der Präparate nicht gewährleistet ist. Der Gesetzgeber bewertet THC-haltige Pflanzen, in Übereinstimmung mit internationalen Abkommen, als Betäubungsmittel, die speziell reguliert sind und deren Anbau nur unter bestimmten Bedingungen legal erfolgen kann. Prof. Dr. Oliver Pogarell, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, LMU
Nutzhanf darf in Deutschland zwar angebaut werden, aber nur von landwirtschaftlichen Betrieben und nicht von Privatpersonen. Diese Regulierung ist das Ergebnis eines schrittweisen Veränderungsprozesses. Bis Mitte der 1990er-Jahre war der Hanfanbau in der EU ganz verboten. Seitdem hat man das gelockert und zumindest Nutzhanf mit sehr geringer THC-Konzentration für bestimmte Unternehmen zum Anbau freigegeben. Für Cannabis Patienten ist diese Art von Nutzhanf ja ohnehin nicht wirklich relevant. Vor der Legalisierung von medizinischem Cannabis in Deutschland konnten (wenige) Patienten eine Sondergenehmigung zum Eigenanbau erwirken. Das hat man aber mit der Legalisierung aus den oben genannten Gründen wieder aufgehoben. Ob das am Ende gerechtfertigt ist oder nicht, ist schwer zu beurteilen und kann vor allem wissenschaftlich nicht beantwortet werden. Das obliegt dem individuellen Werturteil. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Warum sind Drogen steuerfrei?
Vielen Dank für Ihre Frage. Die offensichtliche Antwort ist: weil sie verboten sind. Andererseits gibt es in Deutschland auch weiterhin nicht lizensierte und damit illegale Anbieter von Online-Sportwetten. Und obwohl ihr Angebot somit ebenfalls verboten ist, führen diese Anbieter sehr häufig Steuern an den deutschen Fiskus ab. Dies ist allerdings eine etwas bizarre Ausnahme, die wohl damit zusammenhängt, dass es rechtlich umstritten ist, inwiefern die Beschränkung auf wenige legale Lizenznehmer für Sportwetten in Deutschland trotz Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt überhaupt europarechtskonform ist. Solange dies nicht abschließend geklärt ist, versuchen hier illegale Anbieter einer Verfolgung von Steuervergehen vorzubeugen, indem sie eben freiwillig Steuern abführen. Da es sich hierbei meist um große Unternehmen handelt, die in anderen Märkten durchaus legal Sportwetten anbieten ist auch die Umsetzung hiervon nicht allzu problematisch.
Illegale Drogendealer hätten jedoch wohl kaum ein Interesse daran, freiwillig Steuern abzuführen, wenn Sie befürchten müssten, bei Angabe von Name, Adresse und Tätigkeit beim Finanzamt polizeilich verfolgt zu werden. In legalisierten Märkten wird Cannabis natürlich versteuert. Gerade um die öffentliche Gesundheit zu schützen werden hier – ähnlich wie bei Zigaretten – auch durchaus beträchtliche Steuern angesetzt. Gleichzeitig gibt es, gerade in den USA, auch Druck von Seiten der legalen Cannabisindustrie diese Steuern zu senken. Denn durch den somit erhöhten Preis halte man den weiterhin beträchtlichen Schwarzmarkt für Cannabisprodukte, der weiterhin auch innerhalb von legalisierten Märkten existiert, am Leben. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Cannabis und Strafverfolgung im Straßenverkehr
Wer unter der Wirkung von Cannabis fährt, muss mit Geldstrafen oder einer Freiheitsstrafe von bis zu
einem Jahr rechnen. In der Folge kann auch der Führerschein entzogen werden. Doch welcher Abstand zwischen Konsum und Fahren ist bedenklich, weshalb werden Alkohol und Cannabis am Steuer ganz anders geahndet - und wann gilt man als fahruntüchtig?
Wann sind ein Einsatz mit Maschinen und das Führen von Kraftfahrzeugen unbedenklich, wenn Tage vorher Cannabis konsumiert wurde, und wie unterscheidet sich der Abbau von Cannabis zu Alkohol im Körper?
Der Zusammenhang zwischen Cannabis-Konsum und Fahrtüchtigkeit ist nach wie vor eine juristische Grauzone. Man kann deshalb keine Unbedenklichkeit attestieren. Hinsichtlich der Abbaukinetik unterscheiden sich Alkohol und Cannabis fundamental. Der Alkoholabbau erfolgt im Körper mit einer sogenannten Kinetik 0. Ordnung. Das heißt, dass pro Zeiteinheit immer die gleiche Menge Alkohol abgebaut wird. Man kann daher die Elimination gut berechnen und voraussagen. Das ist bei Cannabis ganz anders, da die Substanz im Körper umverteilt wird und sich in verschiedenen Geweben anreichern kann. Somit kann es zu einer verspäteten Freisetzung aus den Speichern und mit einer Wirkung noch nach vielen Stunden kommen. Prof. Dr. Thomas Gudermann, Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universität München
Stichwort Fahrtüchtigkeit: Wenn ich am Wochenende einen Vollrausch habe, komme ich am Donnerstag drauf ohne Probleme durch eine Polizeikontrolle. Tage nach dem Kiffen ist THC aber immer noch im Blut nachweisbar – und man kann schwer bestraft werden. Ist das nicht ungerecht?
Ob das gerecht ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Dafür fehlt mir als empirisch arbeitendem Politikwissenschaftler schlicht das Instrumentarium. Ich persönlich empfinde diese Ungleichbehandlung jedoch zumindest auch für begründungspflichtig. Die LINKE hat sich gerade aktuell für die Abmilderung dieser Ungleichbehandlung im Rahmen eines Gesetzentwurfs eingesetzt. Hierzu sollen die relevanten Grenzwerte für THC im Blut verändert werden. Tatsächlich hat sich mit dieser Frage aber auch schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Dieses hat den aktuellen Grenzwert quasi legitimiert. Zwar nicht, weil man damit gesichert fahruntüchtig sei. Aber es könne bei diesem Grenzwert nicht sicher ausgeschlossen werden, dass keine Fahruntüchtigkeit vorliegt. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Könnte hier nicht ein Hanfmerkmal auf EU-Führerschein Klarheit und vor allem endlich Rechtssicherheit schaffen?
Das ist eine interessante Idee. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, ob ein solches Vorhaben irgendwie, irgendwo ernsthaft verfolgt wird. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Wann kommt ein Ausweisdokument für die Menschen, die Cannabis als Medizin nehmen? Immer noch verlieren Cannabis-Patienten ihren Führerschein. Dabei hat die Bundesregierung 2017 bestätigt, das Cannabis-Patienten unter Medikation am Straßenverkehr teilnehmen dürfen.
Sie haben völlig recht, dass die Bundesregierung eine Ausnahme für die Straßenverkehrsordnung geschaffen hat. Aber natürlich nur für den legalen Konsum von medizinisch verordnetem Cannabis. Illegale Selbsttherapie oder Freizeitkonsum bleiben ausgeschlossen. Gleichzeitig wird wohl im Einzelfall abgewogen, ob diese Ausnahme zur Anwendung kommt oder nicht. Und das hängt offenbar stark davon ab, wie die Fahrtüchtigkeit eingeschätzt wird. Mir ist derzeit nicht bekannt, dass es hier klare Bestrebungen von Seiten der politischen Parteien gibt, bessere Rechtssicherheit zu schaffen. Prof. Dr. Christian Adam, Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Zeppelin-Universität, Friedrichshafen
Cannabis als Medikament
Seit März 2017 ist der Einsatz von Cannabis und seinen Wirkstoffen in Form von Arzneimitteln gesetzlich geregelt: Die Droge darf in Einzelfällen bei schwerwiegenden Erkrankungen von Ärzten verschrieben werden, etwa um Schmerzen zu lindern. Cannabis wird in der Medizin in Form von getrockneten Blüten, Extrakten oder auch als Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon verabreicht. In welchen Fällen wird Cannabis verschrieben, wirken die im Handel verfügbaren CBD-Öle und wann übernimmt die Krankenkasse Kosten?
Ich bin an einer Colitis Ulcerosa (CED) erkrankt und konsumiere seit zwei Jahren täglich Cannabis, da ich dadurch Appetit bekomme und essen kann. Auch reduziert Cannabis die Anzahl der Magenkrämpfe. Mein Arzt weigert sich trotzdem, mir medizinisches Cannabis zu verschreiben, obwohl ich bereits einige Immunsuppressiva ausprobiert habe, die nur Teilerfolge gebracht haben. Wie kann das sein?
Die Verordnung von Cannabinoiden ist seit 2017 im Cannabis-Gesetz geregelt. Nach einem besonderen Antrags- und Genehmigungsverfahren können auch Cannabisblüten und -extrakte zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ärztlich verordnet werden. THC-haltige Präparate gelten aber als Betäubungsmittel und unterliegen im medizinischen Einsatz besonderen Rahmenbedingungen und Regelungen, die unter anderem im Betäubungsmittelgesetz und in der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung festgelegt sind. So dürfen Betäubungsmittel nur verschrieben werden, wenn keine anderen Therapien (mehr) in Frage kommen (Ultima-Ratio-Prinzip). Das bedeutet, dass erst alle anderen zugelassenen Therapiemöglichkeiten und -verfahren ausgeschöpft werden müssen. Zudem ist für die Verordnung von Betäubungsmitteln ein eigenes Rezeptformular erforderlich, das über die Bundesopiumstelle bezogen werden muss. Nicht alle Ärztinnen und Ärzte sind mit der Betäubungsmittelverschreibung vertraut, so dass die Cannabis-Verordnung dann nicht erfolgen kann. Prof. Dr. Oliver Pogarell, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, Universität München
Weshalb stellt so gut wie kein Neurologe einem MS-Patienten ein Cannabis-Rezept aus? Das geschieht in der Regel erst, wenn die Patienten zu 100 Prozent austherapiert sind.
Dies liegt in der Regel daran, dass zur Behandlung der Multiplen Sklerose viele verschiedene Medikamente zur Verfügung stehen. Weil eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie also zur Verfügung steht, ist es für Ärzte sehr schwierig, MS-Patienten Cannabis zu verschreiben. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Ich selbst wurde 10,5 Jahre lang mit teils starken Pharmazeutika gegen meine Depressionen, Autismusspektrumstörung und Angststörungen erfolglos behandelt. Die gewünschte Wirkung blieb aus; dafür quälten mich heftige, zum Teil persönlichkeitsverändernde Nebenwirkungen, die sogar zu suizidalen Verhalten geführt haben. Wie kann die Verschreibung von solch harten Medikamenten verantwortet werden, während Cannabis eine sicherere Alternative darstellt?
So gut wie alle Medikamente können Nebenwirkungen oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) verursachen, dies gilt auch für Cannabinoide. Cannabinoide waren in den publizierten wissenschaftlichen Untersuchungen und Fallserien meist gut verträglich, schwerwiegende Nebenwirkungen traten nur selten auf. Dennoch haben erste Ergebnisse der gesetzlich verpflichtenden Begleiterhebung, an der alle Ärztinnen und Ärzte teilnehmen müssen, die Cannabis verschreiben, gezeigt, dass viele Betroffene Cannabis-Präparate auch wegen Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten wieder abgesetzt haben. Prof. Dr. Oliver Pogarell, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, Universität München
Könnte auch eine 13-Jährige mit starken Regelschmerzen Cannabis nutzen – oder gibt es ein Mindestalter für die Anwendung von medizinischem Cannabis?
Um einer eventuellen Hirnschädigung oder Abhängigkeitsentwicklung vorzubeugen, sollen Cannabis-basierte Arzneimittel nicht bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (bis 25 Jahre) sowie schwangeren oder stillenden Frauen angewendet werden. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Ich habe eine Muskelkrankheit, die starke Schmerzen und Krämpfe auslöst. Seit ich Cannabisextrakte und Blüten nehme, brauche ich keine einzige Schmerztablette mehr. Ich kann schlafen, zur Arbeit gehen und für meine Familie da sein. Trotzdem übernimmt meine Krankenkasse die Kosten nicht. Wie kann das sein?
Für gesetzlich Versicherte gibt es klare Regeln der Kostenübernahme. Zwar besteht für Patienten mit „schwerwiegender Erkrankung“ ein gesetzlicher Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen. Diese sind: 1. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie steht a) nicht zur Verfügung oder kann b) aufgrund einer begründeten ärztlichen Entscheidung nicht zur Anwendung kommen (etwa weil die erwarteten Nebenwirkungen zu schwerwiegend sind oder weil bei dem Patienten bestimmte Besonderheiten vorliegen). 2. Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht, dass Cannabis sich spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome auswirkt. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Was kann ich tun, wenn meine Krankenkasse die Kostenübernahme für Cannabis ablehnt?
Jedem Antrag auf Kostenübernahme muss eine Stellungnahme des behandelnden Arztes beigefügt werden, in der dieser die Anwendung von Cannabis begründet. Wenn Ihrer Meinung nach die im Gesetz genannten Kriterien für eine Anwendung von Cannabis (siehe Frage oben) erfüllt sind, können Sie einen Widerspruch gegen die Ablehnung Ihres Antrags auf Kostenübernahme einlegen. PD Dr. Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide, Klinik für Psychiatrie, Universität München
Ich nehme seit einem halben Jahr zweimal täglich CBD-Öl als Kapseln ein. Mir hilft es, meine Depersonalisation, Derealisation und mein selbstverletzendes Verhalten in den Griff zu bekommen – und das ohne Nebenwirkungen. Ich kann ohne Panikattacken öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ich fühle mich auch unter Menschen wohler und spreche mehr. Wieso musste ich über einen illegalen Weg eine Medizin finden, die endlich hilft?
Es gibt bislang keine zuverlässigen wissenschaftlichen Belege, ob und inwieweit die im Handel verfügbaren CBD-Öle eine nennenswerte therapeutische Wirkung haben, zudem ist auch der Vertrieb umstritten und bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. Vom sogenannten Cannabis-Gesetz erfasst sind natürliche oder synthetische THC-haltige Substanzen, also Hanfpflanzen (Blüten, Extrakte), Fertigarzneimittel oder THC-Zubereitungen. Diese Präparate sind Betäubungsmittel, deren Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ein besonderes Antragsverfahren erfordert. Mit wenigen Ausnahmen (zum Beispiel für Spastik bei Multipler Sklerose, Übelkeit und Erbrechen unter Chemotherapie) gibt es keine arzneimittelrechtlich zugelassenen Präparate, so dass der Einsatz immer im Einzelfall mit der behandelnden Ärztin/dem behandelnden Arzt besprochen und geprüft werden muss. Sollte die Krankenkasse die Kostenübernahme ablehnen, besteht die Möglichkeit eines Widerspruchverfahrens oder den Klageweg zu bestreiten. Prof. Dr. Oliver Pogarell, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, Universität München