Artenschutz

Warum Vögel gegen Fensterscheiben fliegen

Verglasung, Beleuchtung, eine besondere Gebäudeform: Forscher haben ermittelt, was Hochhäuser zur Gefahr macht.

Von Marie Christin Essert
25. April 2023 - 3 Min. Lesezeit

Die Nacht vom vierten auf den fünften Oktober 2010 war die bislang fatalste. In ihr fanden der Schweizer Ornithologe Pius Korner und sein Team 64 Opfer rund um das Hochhaus der Deutschen Post in Bonn: tote Goldhähnchen, verletzte Singdrosseln, verwirrte Tannenmeisen. Von 2008 bis 2013 wurden 1478 Vogelopfer registriert, wovon 107 an Ort und Stelle starben.

Warum fordert ausgerechnet jener 162,5 Meter hohe Turm so viele Vogelopfer? Korner und sein Team haben 190 Nächte zwischen 2008 und 2013 analysiert, um das herauszufinden. Über die sechs Jahre hinweg betrachteten sie jeweils die herbstliche Zugzeit der Vögel von Mitte September bis Anfang November. Wie die Forscher nun im Journal of Ornithology berichten, identifizierten sie dabei mehrere Faktoren, die dazu beitrugen, dass dem Post-Tower besonders viele Vögel zum Opfer fallen. Erwartbar war, dass die vollständige Verglasung des Gebäudes eine Rolle für die hohen Opferzahlen spielt. „Das ist gefährlich für die Tiere, da sie das Glas nicht als Hindernis wahrnehmen, weil es entweder stark spiegelt oder transparent ist“, sagt Livio Rey, Pressesprecher der Schweizer Vogelwarte Sempach.

Als größtes Problem stellte sich aber das Licht heraus. Das Gebäude verfügt über 28 Scheinwerfer am Dach, 2000 Leuchten in den Fenstern und eine grün strahlende Notbeleuchtung. Die Fassade des Post-Towers war im Beobachtungszeitraum unterschiedlich eingestellt: Teilweise leuchtete sie konstant in einer Farbe, teilweise zogen blaue Vögel über die Fassade, in der Bemühung, weniger Opfer zu fordern. Aus der Studie geht hervor: Je weniger intensiv der Tower erhellt war, desto weniger Vogelschläge und damit verbundene Tote gab es.

Denn jegliches Licht, das nach oben oder seitlich abstrahlt, zieht Vögel an, schreiben die Studienautoren. Vor allem Zugvögel seien dafür anfällig, da sich diese an natürlichen Lichtquellen orientieren, um im Herbst in den Süden zu fliegen. „Durch unnatürliche Lichter wie von Gebäuden werden die Tiere desorientiert und fliegen in die Richtung der Lichtquellen“, sagt auch Catherina Schlüter, Referentin für Vogelschutz des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Dadurch geraten sie in die Gefahrenzone in der Nähe hoher Gebäude und kollidieren mit den Fensterscheiben. Schon geringe Lichtmengen reichen aus, um Vögel anzuziehen. Im Beobachtungszeitraum waren regelmäßig die Jalousien nicht vollständig geschlossen, sodass das grüne Licht der Notbeleuchtung durchscheinen konnte.

Zudem stellt die besondere Form des Gebäudes ein Hindernis für die Vögel dar. Da das Gebäude aus zwei zusammengefügten Halb-Ellipsen mit Buchten an den Enden besteht, verfangen sich hier besonders häufig Vögel, so Korner in der Studie. Hinzu kommt, dass das Hochhaus quer in der Flugbahn der Tiere steht. Letztlich hat auch ein unbeeinflussbarer Faktor eine klare Auswirkung auf den Vogelschlag: das Wetter. Bei ungünstigen Sichtverhältnissen wie bei Regen wurden höhere Opferzahlen registriert, als bei klarer Sicht. Vor allem die Sichtbarkeit des Mondes spielt eine große Rolle, da sich die Tiere an ihm orientieren.

Laut einer Hochrechnung der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten fallen in Deutschland jährlich rund 100 Millionen Vögel dem Fensterschlag zum Opfer. Die Vogelwarte Sempach hat einen Ratgeber für vogelfreundliches Bauen für Glas und Licht publiziert, in dem beschrieben wird, worauf besonders zu achten ist: keine Eckverglasungen oder Durchgänge, lieber auf mattes Glas zurückgreifen, wobei „das artenschutztechnisch perfekte Gebäude am besten gar nicht beziehungsweise mit möglichst wenig Glas gebaut ist“, so Rey von der Vogelwarte. So solle alternativ Holz oder Metall für zum Beispiel Balkone oder Lärmschutzwände verwendet werden. Wenn Glas nicht vermeidbar ist, wie bei Fenstern, sollten „Scheiben so gekennzeichnet werden, dass sie von Vögeln als Hindernis wahrgenommen werden“ -vereinzelt aufgeklebte Greifvogelsilhouetten sind nicht ausreichend, Punkte oder Streifen über die gesamte Fensterfront sind zielführender. Die Faustregel: „Wenn ich meine Hand an das Fenster halte, muss sie immer mindestens eine Markierung berühren“, erklärt Rey. Und klar ist auch: Die beste Beleuchtung für Vögel ist jene, die nicht angeschaltet ist.

Team
Text Marie Christin Essert
Digitales Storytelling und Illustrationen Niklas Keller