Hilfe für die Seele, Teil 8

Apps auf Rezept

Viele Handy-Programme sollen bei psychischen Problemen helfen. Nicht alle halten, was sie versprechen. Doch Forscher meinen: Einen Versuch sind sie wert.

24. November 2022 - 4 Min. Lesezeit

Digitalisierung ist ja so ein Wort, das beinahe immer vorkommt, wenn es um Fortschritt, Entwicklung und die Zukunft geht und bei dem dann aber meist im Vagen bleibt, was damit überhaupt gemeint ist. In der Psychotherapie ist das anders. Hier ist völlig klar, was Digitalisierung bedeutet: Apps, Apps, Apps, Tele-Sprechstunde, ein paar Computerprogramme für Therapeuten und Apps.

Seit es der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn mit dem im Dezember 2019 in Kraft getretenen Digitalen Versorgungsgesetz ermöglichte, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für digitale Anwendungen erstatten, sind eine Unmenge ebensolcher Anwendungen in die App- und Playstores geschossen. Es gibt Apps für kleinere und größere psychische Probleme. Es gibt Apps für spezifische Diagnosen. Es gibt Apps, die eine Therapie unterstützen oder solche, die man selbständig nutzt. Es gibt Apps, da sitzt ein Therapeut im Hintergrund, der die Fortschritte der Nutzer beobachtet und ab und zu eine Empfehlung schreibt, und reine KI-Anwendungen ohne Kontakt zu echten Menschen. Die meisten davon kosten Geld – aber das bezahlen die Krankenkassen, wenn der Arzt die „App auf Rezept“ verschreibt.

Und genau hier liegt das Problem: Nur vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüfte Apps können per Rezept verordnet werden. Geprüft wird jedoch nur, ob die App funktioniert und ob die Theorie dahinter sinnvoll klingt. Einen Nachweis, dass eine Anwendung auch wirkt wie versprochen, müssen Entwickler erst ein Jahr, nachdem sie auf die Liste aufgenommen wurden, einreichen, Fristverlängerung möglich. So ist mittlerweile ein wildes Durcheinander entstanden. Manche Apps wurden von universitären Forschungsabteilungen entwickelt und in großen Wirksamkeitsstudien getestet. Manche Anwendungen sind seit mehr als zehn Jahren im Einsatz. Andere sind hip designt und nach allen Regeln der Gamifizierung aufgebaut, helfen aber der psychischen Gesundheit nur bedingt weiter.

Woher aber soll jemand wissen, der vielleicht gerade auf den Beginn seiner Therapie wartet oder einfach so etwas für Achtsamkeit und Resilienz tun möchte, was gut und was schlecht gemacht ist?

Zunächst mal kann bei der Entscheidung helfen, was Julian Rubel sagt: „Wir wissen, dass ein kombiniertes Digital-Angebot mit einem Therapeuten im Hintergrund hilfreicher ist als eine rein digitale Therapie.“ Rubel ist Professor für Psychotherapieforschung an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. „Nichtsdestotrotz glaube ich, dass auch rein digitale Angebote schon einer ganzen Reihe von Leuten helfen können. Vor allem dann, wenn die Probleme nicht ganz so schwerwiegend sind und man sie gut auf einzelne Probleme eingrenzen kann.“ Wenn also nicht unbedingt eine durch viele verschiedene Gründe verursachte Depression vorliegt, sondern zum Beispiel ständige Probleme mit Zeitdruck, Angst vor Gruppen zu sprechen oder sich auf öffentliche Plätze zu begeben. Wichtig sei außerdem, so Rubel, „dass Leute, die ein digitales Angebot nutzen, auch motiviert dazu sind, die Inhalte aufmerksam zu lesen und die enthaltenen Übungen strukturiert und regelmäßig durchzuführen“.

Wer darüber nachdenkt, eine solche App zu benutzen, dem rät Rubel: einfach mal ausprobieren. Denn eigentlich gebe es nichts, was dagegenspreche. Im schlimmsten Fall deinstalliere man die App wieder. Besonders wer gerade einige Monate auf einen Therapieplatz warte, könne sich an den digitalen Angeboten versuchen: „Alles ist besser, als zu warten“, sagt Rubel. „Das ist schon ein großer Gewinn für die Nutzer. Und ob einem dieses oder jenes Angebot zusagt, das merkt man beim Ausprobieren dann auch schon relativ schnell.“

Drei Ansätze helfen, eine Entscheidung zu treffen

Allerdings dürfte es für Patienten teils schwierig sein, selbst zu entscheiden, ob die digitale Behandlung ausreicht oder nicht. Der Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) etwa warnt vor fatalen Folgen, wenn ein Programm bei der Online-Behandlung einer Depression eine Suizidabsicht nicht erkenne. Zudem gibt es teils Sicherheitslücken, bei einer App konnte das gemeinnützige Hacker-Kollektiv „zerforschung“ ohne große Hürden sensible Daten abfangen.

Trotzdem sehen Experten vor allem die Vorzüge der Apps. „Wir reden immer über die Effektivität von verschiedenen Therapietheorien, -verfahren oder -schulen“, sagt Wolfgang Lutz, der an der Uni Trier die Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie leitet. „Aber verglichen damit, dass man monatelang auf einen Therapieplatz wartet, sind das Nuancen.“ Dass es so lange Wartezeiten gebe oder manche Menschen vom Therapieangebot gar nicht erreicht würden, das sei das viel größere Problem. Hier könnten digitale Angebote ebenfalls helfen: „Mit einer Internettherapie kann man eventuell auch Personen in weniger gut versorgten Gegenden erreichen“, so Lutz.

Doch am Ende sitzen Interessierte immer noch vor Tausenden Apps und müssen sich für eine entscheiden. Hier gibt es drei Ansätze, die dabei helfen, eine Entscheidung zu treffen. Erstens: den Arzt fragen. Der Hausarzt oder der Psychotherapeut, bei dem man auf die Therapie wartet, können eventuell einen Tipp geben, was gut passen könnte. Zweitens: die Krankenkasse fragen. Die haben oft eigene Kooperationen mit Anbietern und grundsätzlich ein Interesse daran, dass ihre Versicherten gesund bleiben. Außerdem können sie gleich mitteilen, für welche Apps sie bezahlen und für welche nicht. Und drittens: unter https://digitalversorgt.de ins Online-Verzeichnis des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung schauen, wo alle vom BfArM zugelassenen Angebote aufgeführt sind und man sich selbst die passende App herausfiltern kann.

Team
Redaktion Jakob Wetzel
Digitales Design Stefan Dimitrov