PFAS

Alles Wissenswerte über PFAS

Nützlich, giftig, unverwüstlich – wofür man diese Chemikalien braucht, was sie anrichten und warum die Industrie nicht darauf verzichten möchte.

PFAS

Alles Wissenswerte über PFAS

Nützlich, giftig, unverwüstlich – wofür man diese Chemikalien braucht, was sie anrichten und warum die Industrie nicht darauf verzichten möchte.

Von Daniel Drepper und Andrea Hoferichter
23. Februar 2023

Was sind PFAS?

Die Abkürzung PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Gemeint sind künstlich hergestellte Substanzen, die im Wesentlichen aus Kohlenstoff (chemisches Symbol C) und Fluor (chemisches Symbol F) bestehen. Laut Definition enthalten sie mindestens eine sogenannte CF2- oder CF3-Gruppe. PFAS-Moleküle können sehr unterschiedlich aussehen. Manche sind eher klein und kompakt, andere haben ein Skelett aus langen Kohlenstoffketten. Entsprechend verschieden sind auch ihre Eigenschaften. Zum Beispiel können PFAS gasförmig, flüssig oder fest sein. Einige lösen sich gut in Wasser, andere in Fetten. Und manche tun weder das eine noch das andere.

Viele PFAS sorgen für glatte Oberflächen, an denen weder Schmutz, Fett noch Wasser hängen bleiben. Sie sind äußerst stabil, halten hohen und tiefen Temperaturen stand. Auch viele aggressive Chemikalien können ihnen nichts anhaben.

In einer Datenbank der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung(OECD) sind mehr als 4700 PFAS-Varianten erfasst. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA geht von mehr als 9000 Vertretern der Stoffgruppe aus, die EU-Kommission in ihrem neuesten Regulierungsvorschlag sogar von mehr als 10000.

Man unterscheidet unter anderem: Fluorpolymere oder “Fluorkunststoffe”: Diese Substanzen sind äußerst stabil, auch in der Umwelt. Sie haben eine Art Wirbelsäule aus Kohlenstoffatomen, an denen Fluoratome direkt dranhängen. Dazu zählen etwa Kunststoffe für die Beschichtung von Bratpfannen, Kabelisolierungen oder Dichtbänder.

“Polymere mit fluorierten Seitenketten” klingen ähnlich, sind chemisch aber ganz andere Substanzen. Am Kohlenstoff-Rückgrat hängen weitere Kohlenstoffketten, an denen dann die Fluoratome gebunden sind. Diese Polymere werden vor allem als Imprägniermittel genutzt, etwa für Teppiche, Sofastoffe oder Schuhe. Diese Polymere gelten als problematischer als die “Fluorpolymere”, da sie ihre Seitenketten verlieren können, die einzeln gesundheitlich bedenklich sein können.

“F-Gase”: Diese PFAS, die schon bei recht niedrigen Temperaturen verdampfen, stecken zum Beispiel als Kältemittel in den Kühltheken der Supermärkte, in Wärmepumpen, Autoklimaanlagen und sie werden auch als Narkosegase genutzt.

In welchen Produkten sind PFAS enthalten?

PFAS sind in vielen Gegenständen des täglichen Gebrauchs enthalten. Sie stecken unter anderem in Beschichtungen für Pfannen oder Backformen, in Kabelummantelungen, Dichtungen, Medizinschläuchen, in Membranen für Wetterjacken, Hightech-Wasserfiltern, Brennstoffzellen und Elektrolysezellen und als Bindemittel in Elektroden von Lithiumionenbatterien.

Mit PFAS werden aber auch Textilien imprägniert, Teppiche beispielsweise, Sofas oder Vorhänge, zudem Lebensmittelpapiere und -karton. Die Fluorchemikalien stecken außerdem oft in Fahrradkettenfett, Skiwachs, Klebstoffen, Farben und Schmierstoffen. Auch in der Pharma- und Pestizidbranche kommen sie zum Einsatz, als Treib- und Kältemittel in Wärmepumpen oder Kühltheken im Supermarkt.

Nicht zuletzt haben viele Produkte eine Art „PFAS-Fußabdruck“. Sie enthalten zwar keine PFAS, werden aber mit deren Hilfe produziert. Ein Grund: PFAS helfen, um für eine saubere Umgebung zu sorgen, die für viele Industrieprozesse nötig ist. Das gilt vor allem für die Chemie- und die Halbleiterindustrie. Bauteile für elektronische Geräte wie Handys oder Computer beispielsweise werden mithilfe von PFAS hergestellt.

Weil sich PFAS mittlerweile in der Umwelt verteilt haben, gelangen sie auch unabsichtlich in verschiedenste Produkte. Sie wurden zum Beispiel in Trinkwasser, Fisch, Fleisch und Eiern gefunden, aber auch in Orangensaft und Tampons.

Sind PFAS gesundheitsschädlich?

PFAS wirken in der Regel nicht akut giftig, aber von einigen Vertretern dieser Stoffgruppe ist bekannt, dass sie das Immunsystem von Kindern schwächen können, den Fettstoffwechsel stören, die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und das Geburtsgewicht von Neugeborenen mindern. Auch Wirkungen auf die Gehirnentwicklung, Leber- und Nierenschäden sowie Hodenkrebs werden auf PFAS-Vertreter wie PFOA und PFOS zurückgeführt.

Auswirkungen von PFAS auf die Gesundheit

Fluorkunststoffe, wie sie in Bratpfannen oder medizinischen Implantaten stecken, sind weniger bedenklich. Eine direkte Gesundheitsgefahr geht in der Regel nicht von ihnen aus – vorausgesetzt, sie enthalten keine schädlichen Verunreinigungen aus der Produktion und werden nicht überhitzt. Allerdings kommen bei ihrer Herstellung meistens andere, potenziell gesundheitsschädliche PFAS zum Einsatz. Zerfallen Fluorpolymere in winzige Mikro- oder Nanopartikel, können sie - wie jedes Mikro- oder Nanoplastik - durchaus in biologische Zellen eindringen, mit derzeit unbekannten Folgen.Von den allermeisten PFAS ist schlicht unbekannt, welche Wirkung sie in der Umwelt oder im Körper haben.

Wie nehmen Menschen PFAS auf?

PFAS werden hauptsächlich über Getränke und Lebensmittel aufgenommen. Die Stoffe sind aber auch in der Luft und im Hausstaub enthalten. Manche PFAS reichern sich im Körper im Fettgewebe und in Organen an, auch in Muttermilch. Dazu zählen zum Beispiel PFOA (Perfluoroktansäure) und PFOS (Perfluoroktansulfonsäure), die bisher am besten untersuchten und bereits regulierten Vertreter der Stoffgruppe.

Laut Umweltbundesamt (UBA) stecken PFAS im Blut fast aller Menschen, auch in Deutschland. In einem bundesweiten Monitoring stellte das UBA-Team hohe PFOA-Belastungswerte in Blutproben von Kindern und Jugendlichen fest. So hoch, dass bei jedem fünften Probanden „gesundheitliche Schäden nach heutigem Wissenstand nicht mehr ausreichend sicher auszuschließen sind“. Und zwei bis drei Prozent der Blutproben waren derart mit der Chemikalie PFOS belastet, dass gesundheitliche Wirkungen „durchaus zu erwarten sind“. Ein europäisches Biomonitoring kommt zu ähnlichen Ergebnissen.

Sterben Menschen durch PFAS?

Eine vom Norddeutschen Rat, dem Zusammenschluss vor allem skandinavischer Länder, initiierte Untersuchung zu den sozioökonomischen Folgen von PFAS kommt zu der Schätzung, dass in der EU jedes Jahr mehr als 12 000 Menschen im Zusammenhang mit einer hohen PFAS-Belastung sterben.

Wie gelangen PFAS in die Umwelt?

PFAS lösen sich aus Produkten wie Skiwachs oder Kettenfett, beim Waschen aus Textilien oder Schmierstoffen von Baumaschinen. 

Die Fluorchemikalien werden aus Fabrikschloten in die Luft gepustet, lange Zeit wurden sie bei der Brandbekämpfung im Löschschaum versprüht. Aus Industrieabwässern werden sie in die Flüsse gespült. Kläranlagen halten sie nicht komplett auf. Wieviel PFAS aus Müllverbrennungsanlagen und Fabrikschornsteinen in die Luft abgegeben wird, wurde noch nicht systematisch untersucht.

Meerestiere nehmen die Stoffe auf und das kontaminierte Wasser gerät auch ins Trinkwasser.

In der Landwirtschaft gelangt PFAS über die Luft und das Grundwasser (durch Bewässerung) in Lebensmittel.

… und landet beim Menschen. 

Die Fluorchemikalien werden aus Fabrikschloten in die Luft gepustet, lange Zeit wurden sie bei der Brandbekämpfung im Löschschaum versprüht. Aus Industrieabwässern werden sie in die Flüsse gespült. Kläranlagen halten sie nicht komplett auf. Wieviel PFAS aus Müllverbrennungsanlagen und Fabrikschornsteinen in die Luft abgegeben wird, wurde noch nicht systematisch untersucht.

Meerestiere nehmen die Stoffe auf und das kontaminierte Wasser gerät auch ins Trinkwasser.

In der Landwirtschaft gelangt PFAS über die Luft und das Grundwasser (durch Bewässerung) in Lebensmittel.

… und landet beim Menschen. 

Mittlerweile finden Forscher PFAS überall auf der Welt, sogar in der Antarktis und im tibetanischen Hochland. Sie fallen zum Beispiel mit dem Regen vom Himmel. Die Belastung mit bereits regulierten Vertretern der Stoffgruppe wie PFOA und PFOS geht zwar tendenziell zurück, dafür werden vermehrt andere Fluorchemikalien gefunden.

Warum sind PFAS in der Umwelt ein Problem?

Weder Sonnenlicht noch Mikroorganismen können dieser chemischen Bindung zwischen den Kohlenstoff- und Fluoratomen in PFAS etwas anhaben. Sie zählt zu den stabilsten überhaupt. Die Substanzen bleiben für Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Umwelt, reichern sich dort an – und damit auch in der Nahrungskette. Jeder neue PFAS-Eintrag in Böden, Flüsse und in die Luft addiert sich zur bereits bestehenden Belastung, die stetig steigt. Die Fluorchemikalien werden deshalb auch als „persistent“ oder „Ewigkeitschemikalien“ („Forever Chemicals“) bezeichnet.

Was genau bedeutet „persistent“?

Persistente Chemikalien bleiben sehr lange in der Umwelt und verteilen sich dort. Es ist praktisch unmöglich, sie wieder herauszubekommen.

Andere Beispiele für persistente oder „Ewigkeitschemikalien“ sind das Insektizid DDT oder Polychlorierte Biphenyle, „PCB“, die unter anderem als Flammschutzmittel in Elektronikprodukten dienten. Diese Stoffe sind über das praktisch weltweit gültige Stockholm-Protokoll schon seit Jahrzehnten verboten. Dennoch findet sie man auch heute noch in der Umwelt.

Können PFAS wieder aus der Umwelt herausgeholt werden?

Haben sich PFAS großräumig in Böden, Gewässer und in der Luft verteilt, ist es praktisch unmöglich, sie komplett wieder zu entfernen. Um Menschen und Tiere lokal zu schützen, helfen lokal begrenzte Maßnahmen, etwa das Trinkwasser zu reinigen, den Schaden in Grenzen zu halten. Um zusätzlich Grundwasserkontamination zu vermeiden, können Wände ins Erdreich gebaut werden und belastetes Wasser durch Pumpen vom umliegenden Gewässer ferngehalten werden. Diese Methoden sind allerdings sehr teuer.

Welche Grenzwerte gelten für PFAS?

Die Leitwerte für die PFAS-Belastung in der Umwelt, in Trinkwasser und Lebensmitteln sind in den letzten Jahren drastisch gesenkt worden, zum Teil um mehr als das Tausendfache und damit so weit, dass die gefundenen Mengen in Umweltproben vielerorts darüber liegen. Die strengsten Richtwerte für PFAS in einem  Liter Trink- oder Seewasser weltweit liegen heute im Bereich von Milliardstel bis Millionstel Milligramm.

Für Lebensmittel hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit neue Höchstwerte für jene vier PFAS-Vertreter (PFOA, PFOS, PFHxS und PFNA) festgelegt, die aktuell zusammen rund 90 Prozent der Belastung ausmachen. Die Werte werden für Produkte wie Eier, Fleisch oder Fisch vom sogenannten TWI-Wert abgeleitet. Danach sollte ein Mensch in Summe nicht mehr als 4,4 Nanogramm (Milliardstel Gramm) dieser PFAS pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Laut Bundesinstitut für Risikoforschung überschreitet etwa jeder zweite Deutsche diesen Richtwert.

Auch die Trinkwasserrichtlinie der EU soll in Sachen PFAS neu aufgelegt werden. Die Kommission wird dazu bis Anfang 2024 Leitlinien zu Analyseverfahren vorlegen. Der einst angedachte Richtwert von maximal 0,1 Mikrogramm pro Liter, bezogen auf eine Gruppe von 20 bereits bekannten PFAS-Vertretern, gilt angesichts des neuen TWI-Werts für Lebensmittel allerdings schon wieder als überholt. Diskutiert wird deshalb gerade ein Richtwert von 2,2 Nanogramm pro Liter für die vier oben genannten Fluorchemikalien.

Ebenfalls noch in der Diskussion ist, wie die Leit- und Grenzwerte für Gewässer, Böden und Klärschlamm, der als Dünger auf Äcker gebracht werden darf, den neuen Leitwerten zur wöchentlichen Aufnahme angepasst werden.

Wie gut sich die neuen, sehr niedrigen Richt- und Grenzwerte kontrollieren lassen, ist vor allem eine Frage der Analytik. Wann alle Labore das erforderliche Niveau haben werden, ist zurzeit unklar.

Was unternimmt die Politik?

Fünf Länder haben einen Vorschlag eingebracht, die PFAS-Stoffgruppe als Ganzes zu regulieren: Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen. Produkte und Prozesse, für die es schon PFAS-freie Alternativen gibt, sollten nach Inkrafttreten entsprechender Vorgaben innerhalb von 18 Monaten verboten werden, zum Beispiel mit PFAS beschichtete Pfannen, Skiwachs, Kosmetik oder Kettenfett. Für Anwendungen, für die Alternativen noch etabliert oder gefunden werden müssen - etwa für medizinische Implantate - könnten Übergangsfristen von mehr als 13 Jahren gelten. Die Regulierung wird weiter diskutiert und tritt frühestens 2026 in den EU-Mitgliedsländern in Kraft.

Den verschiedenen Übergangsfristen und Ausnahmen liegt ein Ansatz zugrunde, der im Montreal-Protokoll zum Verbot von Stoffen, die der Ozonschicht schaden, festgeschrieben wurde. Das Protokoll unterscheidet zwischen essentiellen und nicht essentiellen Anwendungen. Eine Anwendung ist demnach essentiell, wenn sie für die Gesundheit oder Sicherheit erforderlich oder für das Funktionieren der Gesellschaft kritisch ist und es keine gesundheitlich und ökologisch bessere Alternative gibt.

Was sagt die Industrie?

Industrieverbände wehren sich gegen die Pläne, die ganze Stoffgruppe PFAS zu regulieren. Sie warnen vor dem Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Arbeitsplätzen. PFAS sollten auch weiterhin einzeln zu möglichen Schadwirkungen bewertet werden, fordert etwa der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) in einem Positionspapier. Der Verband der deutschen Kunststoffindustrie pro-K wie auch internationale Hersteller fordern, die Fluorkunststoffe von einer PFAS-Regulierung auszunehmen. Sie richteten keine Gesundheitsschäden an und könnten mehrheitlich ohne bedenkliche PFAS hergestellt werden.

Wie kann ich mich (und andere) vor Gesundheitsschäden durch PFAS schützen?

Ein Schutz durch eigenes Handeln ist den Behörden zufolge kaum möglich. Generell hilft es aber, regelmäßig zu lüften und feucht zu wischen, um die Schadstoffbelastung zu senken. Zudem gilt: Alle PFAS, die nicht produziert werden, machen auch andernorts keine Probleme, zum Beispiel für Menschen die bei Produktions- oder Verarbeitungsfabriken mit schlechtem Umweltmanagement leben.

Bei manchen Produkten ist es recht einfach umzusteigen, indem man Pfannen aus Eisen oder Edelstahl benutzt, unbeschichtete Backformen und dergleichen. Cremes oder Wetterjacken ohne PFAS sind schon lange erhältlich. Auch bei Schuhspray, Skiwachs und Kettenfett gibt es fluorfreie Alternativen. Allerdings ist von außen oft nicht zu erkennen, ob PFAS enthalten sind oder nicht. Beim Recherchieren am Supermarktregal können Schadstoff-Apps helfen.

Und Achtung: „PFOA-frei“ auf Pfannen beispielsweise bedeutet lediglich, dass diese eine PFAS-Variante nicht enthalten ist.

Welchen wirtschaftlichen Schaden verursacht die Umweltverschmutzung mit PFAS?

Dazu gibt es bisher nur Schätzungen. Der Nordische Rat, ein Zusammenschluss vor allem skandinavischer Staaten, beziffert die gesundheitsbezogenen Folgekosten der Umweltverschmutzung durch PFAS im Europäischen Wirtschaftsraum auf 52 bis 84 Milliarden Euro im Jahr. Auf ähnliche Zahlen kam jüngst ein Team der New York University für die USA, mit Kosten zwischen fünfeinhalb und mehr als 60 Milliarden Euro für Therapien, Medikamente und Arbeitsausfälle.

Team
Text Daniel Drepper und Andrea Hoferichter
Digitales Storytelling Christian Helten
Infografik und Animation Julia Schubert
Digitales Design Felix Hunger