Hydrogeologie

Wie geht es unserem Grundwasser?

Deutschland hat noch genug Wasser, aber der Klimawandel wird es verknappen. Was passieren müsste, um rechtzeitig gegenzusteuern.

Von Tobias Landwehr
14. Juli 2023 - 8 Min. Lesezeit
Na, haben Sie es bemerkt? Fühlen Sie sich seit ein paar Jahren nicht auch ein bisschen … mediterraner? Nein? Nun gut, die Änderungen waren winzig: Etwa 4,4 Zentimeter jährlich hat sich die Erdachse zwischen 1993 und 2010 aus deutscher Sicht Richtung Mittelmeer verschoben.

Dass sich der 23,44-Grad-Winkel ändert, um den die Erdachse zur Umlaufbahn geneigt ist, kommt ständig vor, zum Beispiel durch Tsunamis oder große Erdbeben und Gletscherschmelzen. Neu ist hingegen, dass menschliches Tun direkt die Erdachse verschiebt. Und zwar durch den massiven Verbrauch von Grundwasser, wie Forscher der Seoul National University herausgefunden haben.

Zwei Trillionen Tonnen Wasser wurden aus den oberen Erdschichten in den Jahren 1993 bis 2010 gen Oberfläche gepumpt und verbraucht. Da weit weniger zurücksickerte, änderte sich die Massenverteilung und verschob die Erdrotation. Andere Faktoren beeinflussen ebenfalls die Position der Erdachse, sie eiert um etwa zehn bis zwölf Meter pro Jahr.

Dass unsere Spezies ihren Heimatplaneten auf kosmischer Ebene zusätzlich verschiebt, klingt trotzdem spektakulär. Aber die ganz irdischen Auswirkungen der Pumperei sind noch dramatischer: Die gewaltige Grundwasserentnahme führt weltweit zu Wasserknappheit, etwa in Indien, den USA oder Spanien.

Grundwasser ist Wasser unter der Bodenoberfläche, das durch Regen, Schmelzwasser oder Versickern in den Boden gelangt ist und durch Bodenschichten und Felsformationen aufgefangen und gespeichert wird. Es ist die wichtigste Quelle für Trinkwasser und wird weltweit auch zur Bewässerung der Felder und als Rohstoff in der Industrie benutzt. Der Zustand des Grundwassers ist also relevant für quasi alles. Und seit ein paar Jahren ist auch Deutschland von Meldungen rund um Grundwasserknappheit betroffen. Wie lässt sich die Gesamtsituation einschätzen?

Jedes Jahr geht in Deutschland Grundwasser verloren

2022 rüttelten Aussagen des renommierten US-Geologen James Famiglietti in einem ARD-Beitrag die Wasserbehörden auf: 2,4 Kubikkilometer Grundwasser seien in Deutschland zwischen 2002 und 2021 verloren gegangen. Pro Jahr. Das wäre so, als hätte die Bundesrepublik in dieser Zeit den Bodensee leer gepumpt.

Erfasst hatte das Forschungsteam die Daten mit einem Satellitenpärchen der Nasa. Die beiden verfolgen sich auf einer korrelierten Umlaufbahn im Abstand von 200 Kilometern. Durchquert ein Satellit ein Gebiet höherer Schwerkraft, etwa über gebirgigen Landschaften, beschleunigt er leicht. Verändern sich die Muster der Geschwindigkeitsänderungen im Laufe der Jahre, kann man darauf schließen, dass sich gewaltige Massen verschieben – wie bei intensiv verbrauchtem Grundwasser.

Allerdings ist die Auflösung gering. Ganz Schleswig-Holstein und Hamburg werden etwa von vier Pixeln abgebildet. Die Satellitenmessung verschätzte sich bei den deutschen Daten, weil ein besonders nasses Ausgangsjahr die Messung verzerrte. Ein Team aus deutschen Wissenschaftlern rechnete nach, zog weitere Faktoren hinzu und kam zu einem neuen Ergebnis: Deutschland verlor in den letzten zwanzig Jahren 15,2 Kubikkilometer Grundwasser, ein Drittel von Famigliettis Schätzung.

Also doch keine Grundwasserkrise in Deutschland?

So einfach ist es nicht. Pro Jahr hat Deutschland nämlich auch nach konservativen Berechnungen 0,76 Kubikkilometer Grundwasser verloren. Das übersteigt den jährlichen Trinkwasserverbrauch von Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt zusammen. Lokale Beobachtungen bestätigt den Trend, wie der leitende Hydrogeologe Stefan Broda von der Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) betont.

Stefan Broda arbeitet gemeinsam mit Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie daran, Deutschlands Grundwasserdaten besser zu machen. Und sie wollen die Zukunft aufzeigen, in der der Klimawandel eine große Rolle spielen wird. Broda und seine Kollegen wählten dafür aus etwa dreizehntausend Grundwassermessstellen in Deutschland 119 Stationen aus. Mit deren Daten entwickelten sie mittels künstlicher neuronaler Netze, Niederschlagsraten, Temperaturen und den verschiedenen Klimaszenarien des Weltklimarats Vorhersagen bis ins Jahr 2100. Das Ergebnis im Groben: Schreitet der Klimawandel weiter voran wie bisher, verzeichnen viele Messstellen stetig sinkende Wasserspiegel. An keiner einzigen steigt der Pegel.

Die Phase, in der sich neues Grundwasser bilden kann, verkürzt sich

„Im Prinzip verfestigt sich für Deutschland der Trend, den wir jetzt schon beobachten“, sagt Broda. Der Wissenschaftler sieht die Dinge nicht dramatisch, aber in der Tendenz eindeutig. „Vor allem im Norden und Osten Deutschlands haben wir sinkende Grundwasserstände, allein wenn wir nur den klimatischen Antrieb betrachten.“ Trockenphasen verlängerten sich, und die Grundwasserneubildungsphase im Frühjahr werde kürzer. In dieser Zeit kann das Wasser an langen Regentagen ohne Verdunstung leicht durch den aufgeweichten Boden in das Grundwasser einsickern. Broda führt die Region Berlin-Brandenburg als Beispiel für den Wandel an. „Wir sind jetzt fast im sechsten Dürrejahr in Folge. Und solche Dürreperioden werden in den nächsten Jahrzehnten häufiger werden.“ Seine Studie zeigt aber auch: Die Effekte ließen sich bis 2100 stark abmildern. An kaum einer Messstelle würde der Grundwasserpegel sinken, wenn weltweit große Anstrengungen gegen den Klimawandel unternommen würden.

Wenn die Klimaveränderungen hingegen ungehindert fortschreiten, könnten sie bis ins Jahr 2100 dazu führen, dass die Grundwasserstände um einige Dezimeter bis zu einem halben Meter sinken. „Das hört sich jetzt noch nicht viel an, aber es gibt genügend Baumarten, die damit nicht leben können. Das sind richtig drastische Effekte“, sagt Broda. Vor allem flach wurzelnde Bäume wären betroffen wie Fichten oder Pappeln.

Zudem könne es lokale Engpässe geben, da Grundwasser nicht gleich verteilt ist. Es gibt stärker isolierte und somit bedrohte Grundwasserbestände, etwa in Franken oder im Harz. „Deutschland als Ganzes ist vergleichsweise ein noch sehr grundwasserreiches Land. Wir müssen aber zunehmend mit lokalen Wasserknappheiten kämpfen“, sagt der Geologe.

Beim Grundwasser herrscht Daten-Wirrwarr

Eine große Herausforderung für das Grundwassermanagement in Deutschland ist zudem die föderale Struktur. Es gibt ein ganzes Geflecht aus unteren und oberen Wasser-, Umwelt- und Landesbehörden, die alle ihre eigenen Themen, Methoden und Schwerpunkte setzen. „Wir brauchen ganz klar ein verbessertes Grundwassermanagement, das so viel Information wie möglich heranzieht. Was ich als großes Problem ansehe, ist, dass wir bei allen Anstrengungen der beteiligten Behörden zwar sehr viele Daten haben, aber diese nicht alle zeitnah digital vorliegen“, sagt der Wissenschaftler Broda.

Das Wirrwarr torpediert auch die Erfüllung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die einen „umfassenden und zusammenhängenden“ Überblick fordert. Andere Daten liegen zwar digital vor, sind aber aus anderen Gründen nicht verfügbar, so zum Beispiel aufgeschlüsselte Entnahmedaten des statistischen Bundesamtes. Zwar werden die alle drei Jahre veröffentlicht, doch der Datenschutz verbietet Rückschlüsse darauf, welche Großverbraucher wie viel entnehmen.

Die Probleme ums deutsche Wasser sind derweil so eklatant, dass auch die aktuelle Bundesregierung reagiert hat: Im März veröffentlichte sie die Nationale Wasserstrategie. „78 Maßnahmen sollen bis 2030 schrittweise umgesetzt werden. Mehr Daten, Prognosen und Szenarien sollen Vorhersagen darüber ermöglichen, in welchen Regionen das Wasser knapp werden könnte“, so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. Das Paket betrifft Küsten, Seen und Flüsse – und eben Grundwasser. So soll mittelfristig etwa die Grundwasser-Entnahme in Echtzeit getrackt werden.

16 Landesbehörden sind für Wasserprognosen zuständig

Stefan Broda ist anzumerken, dass er die Strategie im Grunde für richtig hält, ihn das Konzept jedoch nicht ganz überzeugt. So fordert die Wasserstrategie hydrogeologische Modellierungen, um Bedarf und Verbrauch besser überblicken können. Die sind aber sehr aufwendig und könnten bei sechzehn Behörden lange auf sich warten lassen. Messungen, Datenerhebungen und Management bleiben nämlich Ländersache. „An dieser Zuständigkeitsverteilung wird auch die Nationale Wasserstrategie nichts ändern“, so der Sprecher des Bundesumweltministeriums. Broda sagt: „Es bleibt abzuwarten, ob detaillierte flächendeckende Beobachtungen und Prognosen von Grundwasserständen nicht zielführender wären.“ Sind die deutschen Behörden der Aufgabe gewachsen? Oder managen sie an der aktuellen Entwicklung vorbei, ohne rechtzeitig zu wissen, was dort unten geschieht?

Im Oldenburger Münsterland arbeitet der Geograf Gunter Wriedt im beschaulichen Cloppenburg in der Außenstelle des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Er ist ein Mann von ruhigem Pragmatismus. Auch ihn beschäftigt das Grundwasser, besonders seit 2018 eine Hitze- und Dürrewelle von fast vierzig Grad die Landschaft Westniedersachsens eher nach Westspanien aussehen ließ. Zwischen Februar und November fielen damals kaum Niederschläge.

Wriedt wurde nach der Dürre der zentrale Mann in Niedersachsen für Daten rund ums Grundwasser. Er sammelte Zahlen, erstellte Karten und Grafiken – denn eine bundeslandesweite Gesamtschau der Grundwasserstandsentwicklung hatte es bis dahin nicht gegeben. Wriedt konnte zeigen: Viele Messstellen registrierten Grundwasserabsenkungen von bis dahin unbekannter Dimension. „Die Botschaft ist im Prinzip immer die gleiche: Die Grundwasserneubildung ist seit einigen Jahren unterdurchschnittlich. 2018 und 2022 waren zusätzlich zwei extreme Trockenjahre“, sagt Wriedt.

Alte Entwässerungsgräben können jetzt beim Bewässern helfen

Ein grundlegendes Problem ist, dass der Regen sich anders verteilt als früher: Es regnet nicht weniger, aber es gibt häufiger sturzbachartige Schauer. Die von Dürreperioden ausgetrockneten Böden können dieses Wasser jedoch schlecht aufnehmen. Anstatt zu versickern, fließt der Regen ab. Die zunehmende Oberflächenversiegelung tut ihr Übriges. Was es eigentlich bräuchte, wäre tagelanger Landregen – gutes nordwestdeutsches Schietwetter.

Da man sich auf dieses immer weniger verlassen kann, denkt man im Oldenburger Münsterland um. Vor Jahrzehnten zog man durch den morastigen, aber fruchtbaren Boden Gräben, um die Felder zu entwässern und für schwere Landmaschinen zugänglich zu machen. Die schachbrettartigen Kanäle prägen das Bild des platten Nordwestens. Unlängst funktionierte ein Wasserverband in der Cloppenburger Region diese Gräben um und konstruierte ein kleines Stauwehr. Das aufgestaute Wasser hält im Sommer den umgebenden Oberboden feucht. Selbst Platzregen kann so zum Teil ins Grundwasser durchsickern. Für Wriedt ein wichtiges Pilotprojekt: „Solche Maßnahmen werden zunehmend wichtiger. Die größte Bedarfssteigerung wird in der Feldberegnung gesehen. Einfach aufgrund des Klimawandels.“ Bei bisherigen Praktiken in der Landwirtschaft sagen Prognosen für Teile Niedersachsen voraus, dass die Felder in der zunehmenden Hitze dreißig Prozent mehr Wasser benötigen werden. Ein Anstieg, der laut der Nationalen Wasserstrategie allein durch Grundwasser nicht mehr zu decken ist.

Die Grundwasserpegel werden in Zukunft stärker sinken

„Unsere wichtigste Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass eine Grundbalance erhalten bleibt“, betont Wriedt. Man dürfe nicht mehr Wasser verbrauchen, als sich pro Jahr nachbildet. Auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie verlangt das. Doch die Effekte, die der Klimawandel auf die verschiedenen Bodenarten wie Karst- und Kluftgrundwasserleiter haben wird, sind noch schwer abzuschätzen.

Viele Naturschutzgruppen hingegen behaupten, dass diese Grundbalance schon lange verloren sei. Schuld daran sei auch die Industrie, die an verschiedenen Orten große Eingriffe in den Grundwasserhaushalt vornehme. Denn als Kühl- und Prozesswasser und als Rohstoff für die Nahrungsmittelproduktion ist Grundwasser auch ein zunehmend wichtiges Wirtschaftsgut.

Auch der BGR-Experte Stefan Broda sieht den wachsenden Einfluss der Industrie aufs Grundwasser als Problem an, zusätzlich getrieben durch den Klimawandel. Auch bei der Bewässerung in der Landwirtschaft steigt der Bedarf perspektivisch. Böden werden in Sommern häufiger austrocknen und die Feldfrüchte trotzdem Wasser benötigen. Die Pegel von Flüssen und Seen könnten in einigen Regionen so weit sinken, dass Produktionsstätten möglicherweise auf eine andere Quelle umschwenken wollen: Grundwasser. „Wir können fest davon ausgehen, dass die Grundwasserspiegel durch menschliche Aktivitäten in Industrie und Landwirtschaft, allein um Dürren zu mindern, noch deutlich stärker sinken werden“, sagt Broda. Ob in Niedersachsen, Deutschland oder im globalen Maßstab: Beim Grundwasser gerät gerade etwas deutlich aus der Balance. Oder anders gesagt: ins Trudeln.

Na, haben Sie es bemerkt? Fühlen Sie sich seit ein paar Jahren nicht auch ein bisschen … mediterraner? Nein? Nun gut, die Änderungen waren winzig: Etwa 4,4 Zentimeter jährlich hat sich die Erdachse zwischen 1993 und 2010 aus deutscher Sicht Richtung Mittelmeer verschoben.

Dass sich der 23,44-Grad-Winkel ändert, um den die Erdachse zur Umlaufbahn geneigt ist, kommt ständig vor, zum Beispiel durch Tsunamis oder große Erdbeben und Gletscherschmelzen. Neu ist hingegen, dass menschliches Tun direkt die Erdachse verschiebt. Und zwar durch den massiven Verbrauch von Grundwasser, wie Forscher der Seoul National University herausgefunden haben.

Zwei Trillionen Tonnen Wasser wurden aus den oberen Erdschichten in den Jahren 1993 bis 2010 gen Oberfläche gepumpt und verbraucht. Da weit weniger zurücksickerte, änderte sich die Massenverteilung und verschob die Erdrotation. Andere Faktoren beeinflussen ebenfalls die Position der Erdachse, sie eiert um etwa zehn bis zwölf Meter pro Jahr.

Dass unsere Spezies ihren Heimatplaneten auf kosmischer Ebene zusätzlich verschiebt, klingt trotzdem spektakulär. Aber die ganz irdischen Auswirkungen der Pumperei sind noch dramatischer: Die gewaltige Grundwasserentnahme führt weltweit zu Wasserknappheit, etwa in Indien, den USA oder Spanien.

Grundwasser ist Wasser unter der Bodenoberfläche, das durch Regen, Schmelzwasser oder Versickern in den Boden gelangt ist und durch Bodenschichten und Felsformationen aufgefangen und gespeichert wird. Es ist die wichtigste Quelle für Trinkwasser und wird weltweit auch zur Bewässerung der Felder und als Rohstoff in der Industrie benutzt. Der Zustand des Grundwassers ist also relevant für quasi alles. Und seit ein paar Jahren ist auch Deutschland von Meldungen rund um Grundwasserknappheit betroffen. Wie lässt sich die Gesamtsituation einschätzen?

Jedes Jahr geht in Deutschland Grundwasser verloren

2022 rüttelten Aussagen des renommierten US-Geologen James Famiglietti in einem ARD-Beitrag die Wasserbehörden auf: 2,4 Kubikkilometer Grundwasser seien in Deutschland zwischen 2002 und 2021 verloren gegangen. Pro Jahr. Das wäre so, als hätte die Bundesrepublik in dieser Zeit den Bodensee leer gepumpt.

Erfasst hatte das Forschungsteam die Daten mit einem Satellitenpärchen der Nasa. Die beiden verfolgen sich auf einer korrelierten Umlaufbahn im Abstand von 200 Kilometern. Durchquert ein Satellit ein Gebiet höherer Schwerkraft, etwa über gebirgigen Landschaften, beschleunigt er leicht. Verändern sich die Muster der Geschwindigkeitsänderungen im Laufe der Jahre, kann man darauf schließen, dass sich gewaltige Massen verschieben – wie bei intensiv verbrauchtem Grundwasser.

Allerdings ist die Auflösung gering. Ganz Schleswig-Holstein und Hamburg werden etwa von vier Pixeln abgebildet. Die Satellitenmessung verschätzte sich bei den deutschen Daten, weil ein besonders nasses Ausgangsjahr die Messung verzerrte. Ein Team aus deutschen Wissenschaftlern rechnete nach, zog weitere Faktoren hinzu und kam zu einem neuen Ergebnis: Deutschland verlor in den letzten zwanzig Jahren 15,2 Kubikkilometer Grundwasser, ein Drittel von Famigliettis Schätzung.

Also doch keine Grundwasserkrise in Deutschland?

So einfach ist es nicht. Pro Jahr hat Deutschland nämlich auch nach konservativen Berechnungen 0,76 Kubikkilometer Grundwasser verloren. Das übersteigt den jährlichen Trinkwasserverbrauch von Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt zusammen. Lokale Beobachtungen bestätigt den Trend, wie der leitende Hydrogeologe Stefan Broda von der Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) betont.

Stefan Broda arbeitet gemeinsam mit Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie daran, Deutschlands Grundwasserdaten besser zu machen. Und sie wollen die Zukunft aufzeigen, in der der Klimawandel eine große Rolle spielen wird. Broda und seine Kollegen wählten dafür aus etwa dreizehntausend Grundwassermessstellen in Deutschland 119 Stationen aus. Mit deren Daten entwickelten sie mittels künstlicher neuronaler Netze, Niederschlagsraten, Temperaturen und den verschiedenen Klimaszenarien des Weltklimarats Vorhersagen bis ins Jahr 2100. Das Ergebnis im Groben: Schreitet der Klimawandel weiter voran wie bisher, verzeichnen viele Messstellen stetig sinkende Wasserspiegel. An keiner einzigen steigt der Pegel.

Die Phase, in der sich neues Grundwasser bilden kann, verkürzt sich

„Im Prinzip verfestigt sich für Deutschland der Trend, den wir jetzt schon beobachten“, sagt Broda. Der Wissenschaftler sieht die Dinge nicht dramatisch, aber in der Tendenz eindeutig. „Vor allem im Norden und Osten Deutschlands haben wir sinkende Grundwasserstände, allein wenn wir nur den klimatischen Antrieb betrachten.“ Trockenphasen verlängerten sich, und die Grundwasserneubildungsphase im Frühjahr werde kürzer. In dieser Zeit kann das Wasser an langen Regentagen ohne Verdunstung leicht durch den aufgeweichten Boden in das Grundwasser einsickern. Broda führt die Region Berlin-Brandenburg als Beispiel für den Wandel an. „Wir sind jetzt fast im sechsten Dürrejahr in Folge. Und solche Dürreperioden werden in den nächsten Jahrzehnten häufiger werden.“ Seine Studie zeigt aber auch: Die Effekte ließen sich bis 2100 stark abmildern. An kaum einer Messstelle würde der Grundwasserpegel sinken, wenn weltweit große Anstrengungen gegen den Klimawandel unternommen würden.

Wenn die Klimaveränderungen hingegen ungehindert fortschreiten, könnten sie bis ins Jahr 2100 dazu führen, dass die Grundwasserstände um einige Dezimeter bis zu einem halben Meter sinken. „Das hört sich jetzt noch nicht viel an, aber es gibt genügend Baumarten, die damit nicht leben können. Das sind richtig drastische Effekte“, sagt Broda. Vor allem flach wurzelnde Bäume wären betroffen wie Fichten oder Pappeln.

Zudem könne es lokale Engpässe geben, da Grundwasser nicht gleich verteilt ist. Es gibt stärker isolierte und somit bedrohte Grundwasserbestände, etwa in Franken oder im Harz. „Deutschland als Ganzes ist vergleichsweise ein noch sehr grundwasserreiches Land. Wir müssen aber zunehmend mit lokalen Wasserknappheiten kämpfen“, sagt der Geologe.

Beim Grundwasser herrscht Daten-Wirrwarr

Eine große Herausforderung für das Grundwassermanagement in Deutschland ist zudem die föderale Struktur. Es gibt ein ganzes Geflecht aus unteren und oberen Wasser-, Umwelt- und Landesbehörden, die alle ihre eigenen Themen, Methoden und Schwerpunkte setzen. „Wir brauchen ganz klar ein verbessertes Grundwassermanagement, das so viel Information wie möglich heranzieht. Was ich als großes Problem ansehe, ist, dass wir bei allen Anstrengungen der beteiligten Behörden zwar sehr viele Daten haben, aber diese nicht alle zeitnah digital vorliegen“, sagt der Wissenschaftler Broda.

Das Wirrwarr torpediert auch die Erfüllung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die einen „umfassenden und zusammenhängenden“ Überblick fordert. Andere Daten liegen zwar digital vor, sind aber aus anderen Gründen nicht verfügbar, so zum Beispiel aufgeschlüsselte Entnahmedaten des statistischen Bundesamtes. Zwar werden die alle drei Jahre veröffentlicht, doch der Datenschutz verbietet Rückschlüsse darauf, welche Großverbraucher wie viel entnehmen.

Die Probleme ums deutsche Wasser sind derweil so eklatant, dass auch die aktuelle Bundesregierung reagiert hat: Im März veröffentlichte sie die Nationale Wasserstrategie. „78 Maßnahmen sollen bis 2030 schrittweise umgesetzt werden. Mehr Daten, Prognosen und Szenarien sollen Vorhersagen darüber ermöglichen, in welchen Regionen das Wasser knapp werden könnte“, so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. Das Paket betrifft Küsten, Seen und Flüsse – und eben Grundwasser. So soll mittelfristig etwa die Grundwasser-Entnahme in Echtzeit getrackt werden.

16 Landesbehörden sind für Wasserprognosen zuständig

Stefan Broda ist anzumerken, dass er die Strategie im Grunde für richtig hält, ihn das Konzept jedoch nicht ganz überzeugt. So fordert die Wasserstrategie hydrogeologische Modellierungen, um Bedarf und Verbrauch besser überblicken können. Die sind aber sehr aufwendig und könnten bei sechzehn Behörden lange auf sich warten lassen. Messungen, Datenerhebungen und Management bleiben nämlich Ländersache. „An dieser Zuständigkeitsverteilung wird auch die Nationale Wasserstrategie nichts ändern“, so der Sprecher des Bundesumweltministeriums. Broda sagt: „Es bleibt abzuwarten, ob detaillierte flächendeckende Beobachtungen und Prognosen von Grundwasserständen nicht zielführender wären.“ Sind die deutschen Behörden der Aufgabe gewachsen? Oder managen sie an der aktuellen Entwicklung vorbei, ohne rechtzeitig zu wissen, was dort unten geschieht?

Im Oldenburger Münsterland arbeitet der Geograf Gunter Wriedt im beschaulichen Cloppenburg in der Außenstelle des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Er ist ein Mann von ruhigem Pragmatismus. Auch ihn beschäftigt das Grundwasser, besonders seit 2018 eine Hitze- und Dürrewelle von fast vierzig Grad die Landschaft Westniedersachsens eher nach Westspanien aussehen ließ. Zwischen Februar und November fielen damals kaum Niederschläge.

Wriedt wurde nach der Dürre der zentrale Mann in Niedersachsen für Daten rund ums Grundwasser. Er sammelte Zahlen, erstellte Karten und Grafiken – denn eine bundeslandesweite Gesamtschau der Grundwasserstandsentwicklung hatte es bis dahin nicht gegeben. Wriedt konnte zeigen: Viele Messstellen registrierten Grundwasserabsenkungen von bis dahin unbekannter Dimension. „Die Botschaft ist im Prinzip immer die gleiche: Die Grundwasserneubildung ist seit einigen Jahren unterdurchschnittlich. 2018 und 2022 waren zusätzlich zwei extreme Trockenjahre“, sagt Wriedt.

Alte Entwässerungsgräben können jetzt beim Bewässern helfen

Ein grundlegendes Problem ist, dass der Regen sich anders verteilt als früher: Es regnet nicht weniger, aber es gibt häufiger sturzbachartige Schauer. Die von Dürreperioden ausgetrockneten Böden können dieses Wasser jedoch schlecht aufnehmen. Anstatt zu versickern, fließt der Regen ab. Die zunehmende Oberflächenversiegelung tut ihr Übriges. Was es eigentlich bräuchte, wäre tagelanger Landregen – gutes nordwestdeutsches Schietwetter.

Da man sich auf dieses immer weniger verlassen kann, denkt man im Oldenburger Münsterland um. Vor Jahrzehnten zog man durch den morastigen, aber fruchtbaren Boden Gräben, um die Felder zu entwässern und für schwere Landmaschinen zugänglich zu machen. Die schachbrettartigen Kanäle prägen das Bild des platten Nordwestens. Unlängst funktionierte ein Wasserverband in der Cloppenburger Region diese Gräben um und konstruierte ein kleines Stauwehr. Das aufgestaute Wasser hält im Sommer den umgebenden Oberboden feucht. Selbst Platzregen kann so zum Teil ins Grundwasser durchsickern. Für Wriedt ein wichtiges Pilotprojekt: „Solche Maßnahmen werden zunehmend wichtiger. Die größte Bedarfssteigerung wird in der Feldberegnung gesehen. Einfach aufgrund des Klimawandels.“ Bei bisherigen Praktiken in der Landwirtschaft sagen Prognosen für Teile Niedersachsen voraus, dass die Felder in der zunehmenden Hitze dreißig Prozent mehr Wasser benötigen werden. Ein Anstieg, der laut der Nationalen Wasserstrategie allein durch Grundwasser nicht mehr zu decken ist.

Die Grundwasserpegel werden in Zukunft stärker sinken

„Unsere wichtigste Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass eine Grundbalance erhalten bleibt“, betont Wriedt. Man dürfe nicht mehr Wasser verbrauchen, als sich pro Jahr nachbildet. Auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie verlangt das. Doch die Effekte, die der Klimawandel auf die verschiedenen Bodenarten wie Karst- und Kluftgrundwasserleiter haben wird, sind noch schwer abzuschätzen.

Viele Naturschutzgruppen hingegen behaupten, dass diese Grundbalance schon lange verloren sei. Schuld daran sei auch die Industrie, die an verschiedenen Orten große Eingriffe in den Grundwasserhaushalt vornehme. Denn als Kühl- und Prozesswasser und als Rohstoff für die Nahrungsmittelproduktion ist Grundwasser auch ein zunehmend wichtiges Wirtschaftsgut.

Auch der BGR-Experte Stefan Broda sieht den wachsenden Einfluss der Industrie aufs Grundwasser als Problem an, zusätzlich getrieben durch den Klimawandel. Auch bei der Bewässerung in der Landwirtschaft steigt der Bedarf perspektivisch. Böden werden in Sommern häufiger austrocknen und die Feldfrüchte trotzdem Wasser benötigen. Die Pegel von Flüssen und Seen könnten in einigen Regionen so weit sinken, dass Produktionsstätten möglicherweise auf eine andere Quelle umschwenken wollen: Grundwasser. „Wir können fest davon ausgehen, dass die Grundwasserspiegel durch menschliche Aktivitäten in Industrie und Landwirtschaft, allein um Dürren zu mindern, noch deutlich stärker sinken werden“, sagt Broda. Ob in Niedersachsen, Deutschland oder im globalen Maßstab: Beim Grundwasser gerät gerade etwas deutlich aus der Balance. Oder anders gesagt: ins Trudeln.