Der lange Weg

Fast ausgestorben, heute acht Milliarden: Wie der Mensch in den vergangenen dreihunderttausend Jahren die Erde bevölkert hat.

Was hier so verloren im Stundenglas taumelt, ist ein Punkt, der für zehn Millionen Menschen steht. Weil die Weltbevölkerung langsam wächst, dauert es lange, bis ein zweiter Punkt im oberen Teil des Stundenglases dazukommt. Schneller füllt sich der Boden des Stundenglases; dort, wo sich alle Menschen, die jemals gelebt haben, versammeln.

4. November 2022 - 7 Min. Lesezeit

300 000 Jahre vor Christus

Hat es damals angefangen? Aus dieser Zeit stammen die bislang ältesten gefundenen Homo-sapiens-Fossilien. Sie lagen in der Djebel-Irhoud-Höhle in Marokko. Die frühen Menschen sind also weit herumgekommen, denn die ergiebigsten Fundstellen für menschliche und vormenschliche Fossilien liegen eigentlich in Ost- und Südafrika. Die Knochen bei Djebel-Irhoud gehörten allerdings nicht Adam und Eva, sondern mindestens fünf Individuen. Wie viele Menschen es damals insgesamt gab, lässt sich nur raten. Entstanden ist der Homo sapiens in Afrika. Im Zeitraum von vor 110 000 bis vor 60 000 Jahren begann er dann damit, nach und nach die gesamte Erde zu besiedeln.

72 000 v. Chr.

Die Toba-Katastrophe

Hier hätte es fast schon wieder vorbei sein können. Vor etwa 74 000 Jahren erlebte die Menschheit ihren bislang heftigsten Vulkanausbruch: Im Norden von Sumatra explodierte der Toba. Ascheregen fiel auf die Erde, und die Menschen seien bis auf ein paar Tausend Exemplare alle umgekommen, meinte vor einigen Jahren der US-Anthropologe Stanley Ambrose, der Anzeichen für einen genetischen Flaschenhals gefunden hatte. Die jüngere Forschung weckt allerdings Zweifel daran. Vermutlich haben mehr Steinzeitbewohner überlebt als gedacht.

21 000 v. Chr.

Die Zeit des Homo sapiens beginnt

Seit dieser Zeit ist der Mensch allein auf der Welt, zumindest als einziger Vertreter der Gattung Homo. Vor rund 40 000 Jahren starben die letzten Verwandten aus, die Neandertaler in Europa, vielleicht wegen der Konkurrenz durch den Homo sapiens. Leicht hatte es dieser aber anfangs auch nicht, denn es wurde kalt. Vor etwa 23 000 Jahren war mehr als die Hälfte Europas von Eis bedeckt, so viel wie seither nie wieder. Wissenschaftler schätzen, dass europaweit damals nur noch 130 000 Menschen lebten, nicht einmal halb so viele wie wenige Jahrtausende zuvor. Es dauerte aber nicht lange, und die Bevölkerungszahl erholte sich.

8000 v. Chr.

Der Mensch wird sesshaft

Seit etwa 10 000 Jahren geht der Homo sapiens einen neuen Weg. Ausgehend von Vorderasien ließen sich damals die zuvor umherziehenden Steinzeitmenschen an festen Plätzen nieder, domestizierten Tiere und bestellten Felder. So schufen sie die Grundlage für eine ergiebigere Produktion von Nahrung und damit für ein bis dahin ungekanntes Bevölkerungswachstum. Dabei profitierten die Pioniere selbst offenbar kaum davon: Die ersten Bauern litten archäologischen Funden zufolge massiv unter Hungersnöten und Krankheiten.

3500 v. Chr.

Erste Städte, erste Reiche

Den nächsten Schritt ging die Menschheit wohl erneut in Mesopotamien. Im vierten Jahrtausend vor Christus bildeten die Menschen am Euphrat die erste bekannte Metropole der Welt, Uruk. Deren Bewohner erfanden die Schrift und spezialisierten sich auf Berufe. Zugleich zerfiel die Gesellschaft stärker als zuvor in Arm und Reich. Drei Jahrtausende später entstand in derselben Region das erste Weltreich der Geschichte, das Großreich der Perser. In ihm lebten je nach Schätzung zwischen 20 und 50 Millionen Menschen, etwa ein Sechstel bis Drittel der Weltbevölkerung.

Jahr 1

Nullpunkt der westlichen Zeitrechnung

Es ist wie bestellt: Am Beginn der christlichen Zeitrechnung steht ausgerechnet eine Volkszählung. Auf Befehl des Kaisers Augustus sollten sich alle Bewohner des Römischen Reiches in Steuerlisten eintragen, heißt es im Lukas-Evangelium. Also seien Josef und Maria nach Bethlehem gezogen; das Weitere ist bekannt. Schade ist nur, dass Lukas das Ergebnis dieser Volkszählung nicht erwähnt. Ohnehin ist nicht restlos geklärt, ob Menschen oder nur Haushalte gezählt wurden. Und die Volkszählung, die es wirklich gegeben hat, fand nicht im Jahr eins statt (das Jahr null gibt es nicht), sondern erst im Jahr sechs oder sieben. Das Römische Reich beherrschte damals den gesamten Mittelmeerraum; Historiker schätzen seine Bevölkerung auf etwas mehr als 50 Millionen Menschen, etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung.

500 n. Chr.

Die sogenannte Völkerwanderungszeit

Während des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung kam vieles zusammen; die globale Bevölkerungszahl stagnierte. Es gab regionale Klimaschwankungen, Missernten, Seuchen, Hungersnöte und vor allem Kriege und Migrationsbewegungen. Dass ganze Völker auf Wanderschaft waren, wie es die Rede von der „Völkerwanderungszeit“ nahelegt, ist eine fixe Idee aus dem 19. Jahrhundert und eher fragwürdig. Richtig ist aber: Die Hunnen führten Raub- und Kriegszüge Richtung Westen, germanische Stämme siedelten auf dem Gebiet des Römischen Reiches und lehnten sich auf. Am Ende ging das weströmische Reich in Bürgerkriegen unter. Für Historiker beginnt damit das europäische Mittelalter.

Ab 1346 n. Chr.

Der Schwarze Tod

Er gilt als eine der größten Katastrophen der Geschichte. Der Schwarze Tod raffte in Asien und Europa von der Mitte des 14. Jahrhunderts an Millionen Menschen dahin. Parallel begann sich das Klima zu verschlechtern. Die Bevölkerungszahl ging zurück, Siedlungen verfielen. Wie viele Menschenleben die Pest genau forderte, lässt sich nur schätzen. Historiker sprechen für Europa von rund einem Drittel der Bevölkerung. Zuletzt zeigten Analysen fossiler Pollen, dass die Seuche regional mal mehr, mal weniger stark wütete. Doch sie begleitete die Menschen über Jahrhunderte hinweg. Der ganze Kontinent stand bis ins 19. Jahrhundert in ihrem Schatten.

Ab 1500

Erste europäische Kolonien in Übersee

Kaum war Amerika entdeckt, wurde der Kontinent bereits von Europäern besiedelt und für die Heimat ausgebeutet. Die Kolonisatoren verschifften Sklaven aus Afrika nach Übersee. Und auch wenn es sich an der globalen Bevölkerungszahl kaum ablesen lässt: Die Expansion der Europäer hatte für die Einheimischen zum Teil verheerende Folgen. In Spanisch-Amerika zum Beispiel gingen von 1492 bis 1633 fast 90 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung an eingeschleppten Seuchen wie Masern, Pocken oder Typhus zugrunde. Teils war das unbeabsichtigt, teils auch die Folge biologischer Kriegsführung; Indigene sprachen von einem „Zauber“ der Europäer. Die vergleichsweise harmlose Revanche: Aus Südamerika schwappte eine aggressive Variante der Syphilis nach Europa.

1750 n. Chr.

Industrialisierung der Landwirtschaft

Vom 18. Jahrhundert an hat sich die Zahl der Menschen auf der Welt vervielfacht; kurz nach der Wende zum 19. Jahrhundert lag sie erstmals über einer Milliarde. Möglich wurde das wegen mehrerer Neuerungen in der Landwirtschaft. Neue Fruchtfolgen lösten die mittelalterliche Dreifelderwirtschaft ab, die Böden warfen fortan mehr Getreide ab. Chemiker entwickelten künstlichen Dünger und steigerten so zusätzlich die Produktivität, Tiere dagegen landeten zunehmend im Stall. Und Maschinen ersetzten die menschliche Arbeitskraft. Auch deshalb zogen immer mehr Menschen in die Städte und arbeiteten zum Beispiel in Fabriken. Die sogenannte Agrarrevolution hat damit die Industrialisierung möglich gemacht.

1880 n. Chr.

Aufteilung Afrikas

Im späten 19. Jahrhundert teilten die europäischen Mächte den afrikanischen Kontinent formal unter sich auf, auch um Rohstoffe und Absatzmärkte für die kriselnde heimische Wirtschaft zu sichern. Dabei bedeutete die Kolonialherrschaft nicht nur Sklaverei, Entrechtung, Zwangsarbeit, Gewalt und Krieg. Die Europäer brachten nicht zuletzt auch die einheimische Demografie durcheinander. Lebte ein Großteil der Menschen zuvor als Hirten oder Bauern, zogen viele nun in Ballungsräume, in Städte, an die Küsten. Seuchen wie die Schlafkrankheit konnten nun zu Epidemien werden. Und obwohl die medizinische Versorgung zunächst hauptsächlich Europäern vorbehalten war, legten die Kolonialmächte den Grundstein für eine steigende Lebenserwartung. Lebten um 1880 etwa 120 Millionen Menschen in Afrika, waren es rund 100 Jahre später bereits mehr als eine halbe Milliarde.

1945 n. Chr.

Die Weltkriege

Die Rivalität der Europäer hatte ihn entfacht, ausfechten aber mussten den Ersten Weltkrieg Soldaten aus der ganzen Welt. Allein auf Seiten der Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien kämpften mehr als 640 000 Afrikaner und Asiaten an der Front in Europa, Hunderttausende weitere wurden in der Kriegsindustrie eingesetzt. Ungezählte weitere mussten in den Kolonien aufeinander schießen. Im von Hitlerdeutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg war es nicht wesentlich anders. Insgesamt haben die beiden Weltkriege durch Kampfhandlungen, Massenmord und Hungersnöte schätzungsweise mehr als 100 Millionen Menschenleben gekostet.

1965

Babyboom

So schnell wie in diesen Jahrzehnten wuchs die Weltbevölkerung nie zuvor und seither auch nie wieder. In den Sechzigerjahren verzeichneten Europa, Asien und Amerika Rekorde, in den Achtzigerjahren dann Afrika. Die Geburtenrate stieg steil an, die Jahrgänge sind in Europa und Amerika heute noch als „Babyboomer“ bekannt. Zugleich sank die Sterblichkeitsrate, die durchschnittliche Lebenserwartung verdoppelte sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts an. 1959 lebten drei Milliarden Menschen auf der Welt, bereits 1974 waren es vier Milliarden, 1987 schon fünf. Wie es dazu kam? Im Nachkriegseuropa herrschten Aufschwung und Optimismus; dazu kam medizinischer Fortschritt. Und neue Hochleistungspflanzen bescherten vielen Entwicklungsländern Rekordernten.

1990

Demografischer Wandel

Gab es die Kehrtwende schon? Modellrechnungen der Vereinten Nationen legen zumindest nahe, dass sich das Bevölkerungswachstum verlangsamt. Waren Kinder einst wichtig für die eigene Altersvorsorge, ist das in vielen Ländern nun immer weniger der Fall. Andere Faktoren werden wichtiger, etwa die Attraktivität kinderloser Lebensentwürfe, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die finanziellen Kosten von Kindern. In Westeuropa sank die Geburtenziffer bereits Ende der 1960er-Jahre schlagartig. Dafür wurde lange die Erfindung der Antibabypille verantwortlich gemacht; der Knick in der Statistik lässt sich aber auch schlicht als Ende des Babybooms deuten. In Deutschland zum Beispiel sank die Geburtenrate schon seit dem 19. Jahrhundert. Die Gesellschaft altert. Andere Industrieländer entwickeln sich ähnlich.

2011

Die Städte

Sinkende Säuglingssterblichkeit und eine steigende Lebenserwartung weltweit tragen dazu bei, dass die Zahl der Menschen weiter zunimmt – und mit ihnen wachsen die Städte. Mitte der 2010er-Jahre leben weltweit erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Weltweit sinkt die Zahl der Geburten je Frau auf 2,5 Kinder, in Industriestaaten wie Deutschland liegt sie schon länger bei 1,5 Kindern.

2022

Acht Milliarden Menschen

Hat es bis zur ersten Milliarde mehr als 300 000 Jahre gedauert, geht es nun deutlich schneller. Elf Jahre später sind die acht Milliarden erreicht, ein Augenzwinkern in der Geschichte der Menschheit. Eine erstaunliche Zahl, wenn man auf den Boden des Stundenglases blickt: Bisher haben nach unseren Berechnungen (mehr dazu im Methoden-Teil) erst etwa 66,8 Milliarden Menschen gelebt – zählt man die aktuelle Weltbevölkerung dazu, leben derzeit 10,7 Prozent aller Menschen, die je auf diesem Planeten geboren worden sind.

Der lange Weg

Fast ausgestorben, heute acht Milliarden: Wie der Mensch in den vergangenen dreihunderttausend Jahren die Erde bevölkert hat.

Was hier so verloren im Stundenglas taumelt, ist ein Punkt, der für zehn Millionen Menschen steht. Weil die Weltbevölkerung langsam wächst, dauert es lange, bis ein zweiter Punkt im oberen Teil des Stundenglases dazukommt. Schneller füllt sich der Boden des Stundenglases; dort, wo sich alle Menschen, die jemals gelebt haben, versammeln.

300 000 Jahre vor Christus

Hat es damals angefangen? Aus dieser Zeit stammen die bislang ältesten gefundenen Homo-sapiens-Fossilien. Sie lagen in der Djebel-Irhoud-Höhle in Marokko. Die frühen Menschen sind also weit herumgekommen, denn die ergiebigsten Fundstellen für menschliche und vormenschliche Fossilien liegen eigentlich in Ost- und Südafrika. Die Knochen bei Djebel-Irhoud gehörten allerdings nicht Adam und Eva, sondern mindestens fünf Individuen. Wie viele Menschen es damals insgesamt gab, lässt sich nur raten. Entstanden ist der Homo sapiens in Afrika. Im Zeitraum von vor 110 000 bis vor 60 000 Jahren begann er dann damit, nach und nach die gesamte Erde zu besiedeln.

72 000 v. Chr.

Die Toba-Katastrophe

Hier hätte es fast schon wieder vorbei sein können. Vor etwa 74 000 Jahren erlebte die Menschheit ihren bislang heftigsten Vulkanausbruch: Im Norden von Sumatra explodierte der Toba. Ascheregen fiel auf die Erde, und die Menschen seien bis auf ein paar Tausend Exemplare alle umgekommen, meinte vor einigen Jahren der US-Anthropologe Stanley Ambrose, der Anzeichen für einen genetischen Flaschenhals gefunden hatte. Die jüngere Forschung weckt allerdings Zweifel daran. Vermutlich haben mehr Steinzeitbewohner überlebt als gedacht.

21 000 v. Chr.

Die Zeit des Homo sapiens beginnt

Seit dieser Zeit ist der Mensch allein auf der Welt, zumindest als einziger Vertreter der Gattung Homo. Vor rund 40 000 Jahren starben die letzten Verwandten aus, die Neandertaler in Europa, vielleicht wegen der Konkurrenz durch den Homo sapiens. Leicht hatte es dieser aber anfangs auch nicht, denn es wurde kalt. Vor etwa 23 000 Jahren war mehr als die Hälfte Europas von Eis bedeckt, so viel wie seither nie wieder. Wissenschaftler schätzen, dass europaweit damals nur noch 130 000 Menschen lebten, nicht einmal halb so viele wie wenige Jahrtausende zuvor. Es dauerte aber nicht lange, und die Bevölkerungszahl erholte sich.

8000 v. Chr.

Der Mensch wird sesshaft

Seit etwa 10 000 Jahren geht der Homo sapiens einen neuen Weg. Ausgehend von Vorderasien ließen sich damals die zuvor umherziehenden Steinzeitmenschen an festen Plätzen nieder, domestizierten Tiere und bestellten Felder. So schufen sie die Grundlage für eine ergiebigere Produktion von Nahrung und damit für ein bis dahin ungekanntes Bevölkerungswachstum. Dabei profitierten die Pioniere selbst offenbar kaum davon: Die ersten Bauern litten archäologischen Funden zufolge massiv unter Hungersnöten und Krankheiten.

3500 v. Chr.

Erste Städte, erste Reiche

Den nächsten Schritt ging die Menschheit wohl erneut in Mesopotamien. Im vierten Jahrtausend vor Christus bildeten die Menschen am Euphrat die erste bekannte Metropole der Welt, Uruk. Deren Bewohner erfanden die Schrift und spezialisierten sich auf Berufe. Zugleich zerfiel die Gesellschaft stärker als zuvor in Arm und Reich. Drei Jahrtausende später entstand in derselben Region das erste Weltreich der Geschichte, das Großreich der Perser. In ihm lebten je nach Schätzung zwischen 20 und 50 Millionen Menschen, etwa ein Sechstel bis Drittel der Weltbevölkerung.

Jahr 1

Nullpunkt der westlichen Zeitrechnung

Es ist wie bestellt: Am Beginn der christlichen Zeitrechnung steht ausgerechnet eine Volkszählung. Auf Befehl des Kaisers Augustus sollten sich alle Bewohner des Römischen Reiches in Steuerlisten eintragen, heißt es im Lukas-Evangelium. Also seien Josef und Maria nach Bethlehem gezogen; das Weitere ist bekannt. Schade ist nur, dass Lukas das Ergebnis dieser Volkszählung nicht erwähnt. Ohnehin ist nicht restlos geklärt, ob Menschen oder nur Haushalte gezählt wurden. Und die Volkszählung, die es wirklich gegeben hat, fand nicht im Jahr eins statt (das Jahr null gibt es nicht), sondern erst im Jahr sechs oder sieben. Das Römische Reich beherrschte damals den gesamten Mittelmeerraum; Historiker schätzen seine Bevölkerung auf etwas mehr als 50 Millionen Menschen, etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung.

500 n. Chr.

Die sogenannte Völkerwanderungszeit

Während des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung kam vieles zusammen; die globale Bevölkerungszahl stagnierte. Es gab regionale Klimaschwankungen, Missernten, Seuchen, Hungersnöte und vor allem Kriege und Migrationsbewegungen. Dass ganze Völker auf Wanderschaft waren, wie es die Rede von der „Völkerwanderungszeit“ nahelegt, ist eine fixe Idee aus dem 19. Jahrhundert und eher fragwürdig. Richtig ist aber: Die Hunnen führten Raub- und Kriegszüge Richtung Westen, germanische Stämme siedelten auf dem Gebiet des Römischen Reiches und lehnten sich auf. Am Ende ging das weströmische Reich in Bürgerkriegen unter. Für Historiker beginnt damit das europäische Mittelalter.

Ab 1346 n. Chr.

Der Schwarze Tod

Er gilt als eine der größten Katastrophen der Geschichte. Der Schwarze Tod raffte in Asien und Europa von der Mitte des 14. Jahrhunderts an Millionen Menschen dahin. Parallel begann sich das Klima zu verschlechtern. Die Bevölkerungszahl ging zurück, Siedlungen verfielen. Wie viele Menschenleben die Pest genau forderte, lässt sich nur schätzen. Historiker sprechen für Europa von rund einem Drittel der Bevölkerung. Zuletzt zeigten Analysen fossiler Pollen, dass die Seuche regional mal mehr, mal weniger stark wütete. Doch sie begleitete die Menschen über Jahrhunderte hinweg. Der ganze Kontinent stand bis ins 19. Jahrhundert in ihrem Schatten.

Ab 1500

Erste europäische Kolonien in Übersee

Kaum war Amerika entdeckt, wurde der Kontinent bereits von Europäern besiedelt und für die Heimat ausgebeutet. Die Kolonisatoren verschifften Sklaven aus Afrika nach Übersee. Und auch wenn es sich an der globalen Bevölkerungszahl kaum ablesen lässt: Die Expansion der Europäer hatte für die Einheimischen zum Teil verheerende Folgen. In Spanisch-Amerika zum Beispiel gingen von 1492 bis 1633 fast 90 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung an eingeschleppten Seuchen wie Masern, Pocken oder Typhus zugrunde. Teils war das unbeabsichtigt, teils auch die Folge biologischer Kriegsführung; Indigene sprachen von einem „Zauber“ der Europäer. Die vergleichsweise harmlose Revanche: Aus Südamerika schwappte eine aggressive Variante der Syphilis nach Europa.

1750 n. Chr.

Industrialisierung der Landwirtschaft

Vom 18. Jahrhundert an hat sich die Zahl der Menschen auf der Welt vervielfacht; kurz nach der Wende zum 19. Jahrhundert lag sie erstmals über einer Milliarde. Möglich wurde das wegen mehrerer Neuerungen in der Landwirtschaft. Neue Fruchtfolgen lösten die mittelalterliche Dreifelderwirtschaft ab, die Böden warfen fortan mehr Getreide ab. Chemiker entwickelten künstlichen Dünger und steigerten so zusätzlich die Produktivität, Tiere dagegen landeten zunehmend im Stall. Und Maschinen ersetzten die menschliche Arbeitskraft. Auch deshalb zogen immer mehr Menschen in die Städte und arbeiteten zum Beispiel in Fabriken. Die sogenannte Agrarrevolution hat damit die Industrialisierung möglich gemacht.

1880 n. Chr.

Aufteilung Afrikas

Im späten 19. Jahrhundert teilten die europäischen Mächte den afrikanischen Kontinent formal unter sich auf, auch um Rohstoffe und Absatzmärkte für die kriselnde heimische Wirtschaft zu sichern. Dabei bedeutete die Kolonialherrschaft nicht nur Sklaverei, Entrechtung, Zwangsarbeit, Gewalt und Krieg. Die Europäer brachten nicht zuletzt auch die einheimische Demografie durcheinander. Lebte ein Großteil der Menschen zuvor als Hirten oder Bauern, zogen viele nun in Ballungsräume, in Städte, an die Küsten. Seuchen wie die Schlafkrankheit konnten nun zu Epidemien werden. Und obwohl die medizinische Versorgung zunächst hauptsächlich Europäern vorbehalten war, legten die Kolonialmächte den Grundstein für eine steigende Lebenserwartung. Lebten um 1880 etwa 120 Millionen Menschen in Afrika, waren es rund 100 Jahre später bereits mehr als eine halbe Milliarde.

1945 n. Chr.

Die Weltkriege

Die Rivalität der Europäer hatte ihn entfacht, ausfechten aber mussten den Ersten Weltkrieg Soldaten aus der ganzen Welt. Allein auf Seiten der Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien kämpften mehr als 640 000 Afrikaner und Asiaten an der Front in Europa, Hunderttausende weitere wurden in der Kriegsindustrie eingesetzt. Ungezählte weitere mussten in den Kolonien aufeinander schießen. Im von Hitlerdeutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg war es nicht wesentlich anders. Insgesamt haben die beiden Weltkriege durch Kampfhandlungen, Massenmord und Hungersnöte schätzungsweise mehr als 100 Millionen Menschenleben gekostet.

1965

Babyboom

So schnell wie in diesen Jahrzehnten wuchs die Weltbevölkerung nie zuvor und seither auch nie wieder. In den Sechzigerjahren verzeichneten Europa, Asien und Amerika Rekorde, in den Achtzigerjahren dann Afrika. Die Geburtenrate stieg steil an, die Jahrgänge sind in Europa und Amerika heute noch als „Babyboomer“ bekannt. Zugleich sank die Sterblichkeitsrate, die durchschnittliche Lebenserwartung verdoppelte sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts an. 1959 lebten drei Milliarden Menschen auf der Welt, bereits 1974 waren es vier Milliarden, 1987 schon fünf. Wie es dazu kam? Im Nachkriegseuropa herrschten Aufschwung und Optimismus; dazu kam medizinischer Fortschritt. Und neue Hochleistungspflanzen bescherten vielen Entwicklungsländern Rekordernten.

1990

Demografischer Wandel

Gab es die Kehrtwende schon? Modellrechnungen der Vereinten Nationen legen zumindest nahe, dass sich das Bevölkerungswachstum verlangsamt. Waren Kinder einst wichtig für die eigene Altersvorsorge, ist das in vielen Ländern nun immer weniger der Fall. Andere Faktoren werden wichtiger, etwa die Attraktivität kinderloser Lebensentwürfe, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die finanziellen Kosten von Kindern. In Westeuropa sank die Geburtenziffer bereits Ende der 1960er-Jahre schlagartig. Dafür wurde lange die Erfindung der Antibabypille verantwortlich gemacht; der Knick in der Statistik lässt sich aber auch schlicht als Ende des Babybooms deuten. In Deutschland zum Beispiel sank die Geburtenrate schon seit dem 19. Jahrhundert. Die Gesellschaft altert. Andere Industrieländer entwickeln sich ähnlich.

2011

Die Städte

Sinkende Säuglingssterblichkeit und eine steigende Lebenserwartung weltweit tragen dazu bei, dass die Zahl der Menschen weiter zunimmt – und mit ihnen wachsen die Städte. Mitte der 2010er-Jahre leben weltweit erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Weltweit sinkt die Zahl der Geburten je Frau auf 2,5 Kinder, in Industriestaaten wie Deutschland liegt sie schon länger bei 1,5 Kindern.

2022

Acht Milliarden Menschen

Hat es bis zur ersten Milliarde mehr als 300 000 Jahre gedauert, geht es nun deutlich schneller. Elf Jahre später sind die acht Milliarden erreicht, ein Augenzwinkern in der Geschichte der Menschheit. Eine erstaunliche Zahl, wenn man auf den Boden des Stundenglases blickt: Bisher haben nach unseren Berechnungen (mehr dazu im Methoden-Teil) erst etwa 66,8 Milliarden Menschen gelebt – zählt man die aktuelle Weltbevölkerung dazu, leben derzeit 10,7 Prozent aller Menschen, die je auf diesem Planeten geboren worden sind.

Team
Daten, Recherche und Kalkulation Natalie Sablowski
Text Thomas Gröbner, Jakob Wetzel
Digitales Design Isabel Kronenberger, Julia Schubert
Digitales Storytelling Dominik Wierl
Redaktion Felix Hütten
Schlussredaktion Florian Kaindl
Testing Malte Hornbergs