Teure Heimplätze

Wenn Pflege unbezahlbar wird

Die Kosten für Heimplätze explodieren gerade. Was viele Bewohner nicht wissen: Sie müssen nicht erst ihr ganzes Vermögen aufbrauchen, bevor sie sich Hilfe vom Staat holen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Text: Berrit Gräber, Illustration: Stefan Dimitrov
4. Mai 2023 - 4 Min. Lesezeit

Die Preise für stationäre Pflege sind in den vergangenen Wochen in die Höhe geschossen. Beispiel München: Mussten Senioren in einem Stift bisher 3800 Euro im Monat zahlen, springt der Eigenanteil ab Mai um stolze 500 Euro auf monatlich 4300 Euro hoch - und das nicht etwa für eine Luxusresidenz. Nahezu überall in Deutschland sind die Heimpreise in schwindelerregende Höhen geschossen, wie David Kröll berichtet, Sprecher beim Biva-Pflegeschutzbund. Eigenbeteiligungen um die 4000 Euro im Monat sind längst keine Ausnahme mehr. Wer soll das bezahlen? Heimbewohner müssten nicht ihr Vermögen bis auf den letzten Cent aufbrauchen, bevor sie Hilfe vom Staat holen, sagt Silke Lachenmaier, Juristin bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Anträge auf Sozialhilfe würden meist viel zu spät gestellt. Das seit Januar verdoppelte Schonvermögen sei dann verloren.

Warum sind die Kosten so stark gestiegen?

Gründe für Aufschläge um bis zu 1000 Euro monatlich sind vor allem die gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten wie auch die höheren Löhne der Pflegekräfte. Seit September 2022 werden diese nach Tarif bezahlt. „Viele Pflegebedürftige sind in großer Sorge, dass Rente und Erspartes nicht mehr lang reichen, um die Eigenbeteiligung noch stemmen zu können“, berichtet Kröll. Zwar bekommen Heimbewohner noch einen Zuschuss von der Pflegekasse. Doch die festen Sätze sind gleichgeblieben. Die Verteuerung müssen die Bewohner selbst tragen.

Was tun?

Wird es finanziell eng, sollten sich Pflegebedürftige so rasch wie möglich ans Sozialamt wenden, „auch wenn der Schritt sehr schwer fällt“, sagt Kröll. Dort lässt sich ein Antrag auf „Hilfe zur Pflege“ stellen, eine Leistung der Sozialhilfe. Auf keinen Fall sollte jemand so lange damit warten, bis das gesamte Geld verbraucht ist, warnt Lachenmaier. Viele Senioren wüssten nicht, dass ihnen Vermögensfreigrenzen zustehen, die sie nicht für ihre Pflege antasten müssen. Seit Januar dürfen Alleinstehende ein Schonvermögen von 10 000 Euro behalten, doppelt so viel wie noch 2022. Eheleuten stehen 20 000 Euro zu. Gehen Betroffene erst zum Sozialamt, wenn schon der letzte Notgroschen aufgezehrt ist, „ist das eindeutig zu spät“, sagt Lachenmaier. Verbrauchtes Schonvermögen gibt es nicht zurück.

Wann hilft das Sozialamt?

Wer „Hilfe zur Pflege“ beantragt, muss seine finanzielle Bedürftigkeit nachweisen. Denn: Bevor der Staat hilft, muss das eigene Einkommen und Vermögen eingesetzt werden. Das Sozialamt prüft etwa laufende Einkommen wie Renten und Pensionen, Unterhaltszahlungen von Verwandten, Miet- und Pachteinnahmen, Einkünfte aus Kapitalvermögen oder Nießbrauchrechte. Nur einige wenige Geldleistungen zählen nicht als Einkommen, wie etwa Schmerzensgeld-Renten. Ist ein Pflegebedürftiger verheiratet oder lebt er in einer eheähnlichen Lebenspartnerschaft, werden auch Einkünfte und Vermögen des Partners herangezogen. Neben Bargeld gehört fast alles zum verwertbaren Vermögen, also etwa Wert­papiere, Bauspar­verträge, Ansprüche aus Kapital­lebens­versicherungen, Schenkungen, Erbansprüche, Grundbesitz, Gemälde oder Schmuck. Ausnahmen kann es unter anderem bei Familien- und Erbstücken geben. Dazu zählen etwa alte Möbel oder Kunstwerke - wenn deren Verkauf eine besondere Härte bedeuten würde.

Wie viel geht vom Einkommen drauf?

Leben bereits beide Partner im Seniorenstift, müssen sie ihr regelmäßiges Einkommen, also etwa Renten oder Pensionen, ganz für die gestiegenen Heimkosten verwenden, wie Kröll erläutert. Auch Erspartes muss eingesetzt werden. Unangetastet bleibt das Schonvermögen. Kommt nur einer der Ehe- oder Lebenspartner ins Heim, während der andere zu Hause wohnen bleibt, greift die Pflicht, sich finanziell gegenseitig zu unterstützen. Wer zurückbleibt, muss sich dann an den Heimkosten beteiligen. Aber: Dem, der daheim bleibt, muss so viel Geld übrigbleiben, dass er seine Kosten weiter davon bezahlen kann, etwa für Miete und Verpflegung. Das Sozialamt prüft stets im Einzelfall, wie viel vom gemeinsamen Einkommen für die Heimplatzfinanzierung angemessen ist. Kurz vorher noch schnell Geld abheben und den Partner „ärmer“ rechnen, ist keine gute Idee. Das fliegt in der Regel auf.

Was ist mit der eigenen Immobilie?

Auch die selbstgenutzte Eigentumswohnung oder das eigene Haus müssen notfalls eingesetzt werden, sollten Einkommen und Vermögen nicht reichen, die Heimkosten dauerhaft zu decken. Unumgänglich wird ein Verkauf meist dann, wenn beide Partner ins Heim kommen. Eine Immobilie noch schnell an die Kinder oder Verwandte zu übertragen, bevor der Gang zum Sozialamt ansteht, ist nicht ratsam, warnt Kröll. Das Amt prüft im Pflegefall, ob in den vergangenen zehn Jahren Schenkungen aus dem vorhandenen Vermögen vorgenommen wurden. Ist dem so, wird die Aktion zum Bumerang. Das Amt wird die Schenkung zurückfordern. Anders sieht es aus, wenn einer ins Heim zieht, der andere aber zurückbleibt. Die selbstgenutzte Immobilie bleibt dann unangetastet - vorausgesetzt, sie ist angemessen groß, kein Luxusanwesen und nicht überdurchschnittlich wertvoll. „Es gibt sehr wohl Fälle, wo ein Partner aus dem selbstbewohnten Haus raus musste, um es für die Pflege des anderen zu verkaufen, weil es unverhältnismäßig groß war“, sagt Kröll.

Und die Kinder?

Die meisten sind finanziell fein raus. Wird der Antrag auf „Hilfe zur Pflege“ genehmigt, wird das Sozialamt die Kosten der pflegebedürftigen Eltern übernehmen. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger in Pflegeheimen liegt dem Pflegeschutzbund Biva zufolge bereits bei etwa 40 Prozent. Tendenz steigend. Die Sozialhilfeträger haben meist keine Chance, sich das Geld vom Nachwuchs der Heimbewohner zurückzuholen. Seit 2020 muss der Großteil der erwachsenen Kinder keinen Elternunterhalt mehr zahlen. Nur Topverdiener mit Jahreseinkommen von mehr als 100 000 Euro brutto stecken noch finanziell in der Verantwortung. Gibt es mehrere Kinder, muss lediglich der gutverdienende Nachwuchs zahlen, der über die 100 000-Euro-Grenze kommt. Den Anteil der Geschwister muss er nicht mitübernehmen. Wie viele Kinder ihre Eltern im Pflegeheim freiwillig unterstützen, damit sie nicht zum Sozialamt müssen, ist nicht bekannt.

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